28.01.2021 | Betriebswirtschaft

Die BWL ist eine reine Profitlehre

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Von Prof. Dr. Daniel Deimling *

Die Ausblendung der gesellschaftlichen und ökologischen Folgekosten unternehmerischen Profitstrebens ist in den Grundlagen der klassischen und vorherrschenden Betriebswirtschaftslehre zentral angelegt. Dr. Daniel Deimling – selbst Professor für Betriebswirtschaft – unterzieht diese Grundannahmen einer fundamentalen Kritik und zeigt Wege zu einer lebensdienlichen Ökonomie und nachhaltigen Unternehmensführung auf.

Prof. Dr. Daniel Deimling
(Foto: © Prof. Dr. Daniel Deimling)

Die BWL ist eine reine Profitlehre mit einem narzisstischen Menschenbild. Der »homo oeconomicus«, der der BWL zu Grunde liegt, handelt vollkommen rational und will ausschließlich seinen eigenen Nutzen maximieren. Niemand wollte mit so einem Menschen, so es ihn in der Realität denn gäbe, irgendetwas zu tun haben. Er würde ständig versuchen, Kapital aus seinen Mitmenschen zu schlagen und Freundschaften nur in dem Maße pflegen, in dem sie ihm zum (materiellen) Vorteil gereichen würden. Er würde natürlich auch keine Kinder kriegen oder er würde, wenn er welche bekäme, versuchen, sie gewinnbringend zu verkaufen. Natur und Gesellschaft kennt er nicht, der narzisstische Bursche, den einzigen Kontext, den er kennt und wahrnehmen kann, ist »der Markt«. Für ihn ist auch klar, dass Unternehmen nur ein Ziel haben können: die Maximierung ihres Gewinns. Der homo oecnomicus betrachtet ausschließlich Zahlungsströme – um die Erstellung von »Werten« für die Gesellschaft (die ihm ohnehin unbekannt ist) schert er sich nicht. Unternehmen sollen seiner Ansicht nach alles produzieren, das sich verkaufen lässt, ungeachtet des Nutzens und ungeachtet der (ökologischen und gesellschaftlichen) Schäden, die Produkte anrichten können. Wenn es gewinnversprechend ist, fälscht er Studien über die Gefahren von Glyphosat oder manipuliert Abgaswerte.

Gewinnmaximierung als oberstes Unternehmensziel

Hier sind wir an einem wichtigen Punkt: Die BWL ist kein Glasperlenspiel, deren Bedeutung nicht über den universitären Elfenbeinturm hinausreicht, noch eine bloße Beschreibung der ökonomischen Realität. Sie hat vielmehr eine gestalterische Kraft, die gar nicht groß genug eingeschätzt werden kann. Der große John Maynard Keynes schrieb einst über den Einfluss ökonomischer Theorien: Die Ideen der Nationalökonomen und Philosophen wirken stärker als allgemein angenommen wird und zwar sowohl, wenn sie recht haben, als wenn sie irren. Tatsächlich wird die Welt kaum von etwas anderem regiert. Das gleiche gilt für die Ideen der Betriebswirte. Tatsächlich wird die Unternehmenswelt kaum von etwas anderem regiert, um Keynes zu paraphrasieren. Horden von BWL-Studierenden, die später in den Führungsetagen der Unternehmen sitzen, haben im Studium nicht nur gelernt, dass der Mensch egoistisch und das oberste Unternehmensziel die Gewinnmaximierung ist, sondern auch, dass das gut so ist. Natürlich wird das ein Stück weit zu einer »Selffulfilling Prophecy«, wenn die Betriebswirte die Unternehmen nach diesen Vorstellungen prägen.

Die »unsichtbare Hand« legitimiert grenzenlosen Egoismus

Die BWL legitimiert das unbändige Profitstreben der Unternehmen, indem sie behauptet, die Profitmaximierung käme der Allgemeinheit zu Gute. Es gibt da nämlich die »unsichtbare Hand des Marktes«, die auf wundersame Weise den uneingeschränkten Eigennutz von Menschen und Unternehmen so kanalisiert, dass er ausschließlich dem Gemeinwohl dient. Die These der unsichtbaren Hand ist nichts anderes als die ethische Legitimation des grenzenlosen Egoismus. Karl Homann und Christoph Lütge, zwei der einflussreichsten deutschen Wirtschaftsethiker, schreiben in ihrem Lehrbuch »Einführung in die Wirtschaftsethik«, „unbändiges Vorteilsstreben“ von Unternehmen sei legitim, weil alle davon profitierten. Unternehmen hätten gar die „moralische Pflicht“, ihre Gewinne zu maximieren. Ein BWL-Absolvent, der nicht versucht, den Gewinn zu maximieren, handelt demnach unmoralisch und wird zum Staatsfeind. Das ist keineswegs eine Übertreibung. Horst Albach, lange Jahre Herausgeber der Zeitschrift für Betriebswirtschaft und einer der bedeutendsten Vertreter der deutschen BWL schrieb im Jahre 2005:

„Die Behauptung, es sei Aufgabe des Vorstands, die vielfältigen (verschiedenen) Interessen der Stakeholder am Unternehmen zu einem gerechten Ausgleich zu bringen, ist daher wohl nur ein Alibi-Argument für die Befriedigung von Eigeninteressen der Top-Manager. Solche Äußerungen sind (...) Ausdruck dessen, was man die »Ökonomie der Habgier« nennen kann. Es bedarf keiner unternehmensethischen Überlegungen um zu erkennen, daß derartige Verhaltensweisen von Vorstands- und Aufsichtsratsmitgliedern unmoralisch sind.“ (Horst Albach, Zeitschrift für Betriebswirtschaft, 09/2005)

Man muss sich einmal verdeutlichen, was einer der einflussreichsten BWLer hier schreibt: Wenn sich eine Unternehmensleitung an den Interessen ihrer Mitarbeiter oder ihrer Kunden orientiert, nicht nur an den Interessen der Aktionäre, ist dies unmoralisch und Ausdruck individueller Habgier von Managern. Das ist insofern stringent, als eine der zentralen Thesen der BWL lautet, die höhere Vernunft des Marktes mache verantwortungsvolles, moralisches Handeln der individuellen Akteure sowie der Unternehmen überflüssig. Verantwortung und Moral seien keine Kategorien, die für Unternehmen relevant seien, da der Markt an sich eine moralische Instanz sei. Horst Albach formuliert es unmissverständlich: „Die Beschäftigung mit Unternehmensethik ist überflüssig.“

Warum halten sich diese absurden Annahmen so hartnäckig? Zum einen, weil sie die Unternehmen aus jeglicher Verantwortung entlassen und ihnen das Leben leicht machen. Wenn die höhere Vernunft des Marktes moralisches Handeln überflüssig macht, kann ich guten Gewissens den maximalen Profit anstreben und muss mich nicht um Umweltschutz und ähnliches kümmern. Das muss aus Unternehmenssicht natürlich um jeden Preis konserviert werden. Horst Albach selbst schreibt, dass die These der unsichtbaren Hand des Marktes eine „Entlastung für die Unternehmen“ sei. „Das einzelne Unternehmen braucht bei seinen Entscheidungen nicht zu prüfen, ob sie moralisch in dem Sinne gerechtfertigt sind, daß sie das bonum commune gefördert haben.“ Oder um es mit Milton Friedman zu sagen: The social responsibility of business is to increase its profits.

Durch und durch metaphysisch – man muss daran glauben

Ein anderer Grund dafür, dass die BWL nach wie vor unbehelligt ihre kruden Thesen verbreiten kann, ist, dass ihre Grundannahmen durch und durch metaphysisch sind und man sie deshalb nicht falsifizieren kann. Man kann nicht beweisen, dass die unsichtbare Hand des Marktes nicht existiert, ebenso wie man nicht beweisen kann, dass Gott nicht existiert. Der Wirtschaftsethiker Ulrich Thielemann teilt die Metaphysik der BWL in zwei Paradigmen ein: den Ökonomismus und den Separatismus. Beide Ansätze rechtfertigen den uneingeschränkten Eigennutz. Der Ökonomismus ist der Glaube an die unsichtbare Hand und damit die höhere Vernunft des Marktes.

„Man muss nicht wollen und selber dafür sorgen, dass bei der Geschäftstätigkeit alles mit ethisch rechten Dingen zugeht. Dafür hat schon eine andere Kraft gesorgt, nämlich die unsichtbare Hand des Marktes in ihrer unergründlichen Weisheit. Und diese wirkt eben nur, oder gar um so besser, je konsequenter sich die Akteure auf die Steigerung des Gewinns und sonst gar nichts konzentrieren. Es handelt sich hierbei um eine Ethik ohne Moral.“ (Ulrich Thielemann, System Error – Warum der freie Markt zur Unfreiheit führt).

Der Separatismus besagt, dass Unternehmen gar nicht moralisch handeln können, weil sie sonst aus dem Markt ausscheiden müssen. Eine eigenständige Unternehmensethik müsse, so Homann und Lütge, an der Logik des Wettbewerbs scheitern, denn:

„Wenn ein (...) Unternehmen aus moralischen Gründen kostenträchtige Vor- und Mehrleistungen erbringt, gerät es im Wettbewerb gegenüber den weniger moralischen Konkurrenten in Nachteil und muss unter Umständen sogar aus dem Markt ausscheiden.“ (Karl Homann und Christoph Lütge, Einführung in die Wirtschaftsethik)

Systematisch betrachtet, so Ulrich Thielemann, wird hierbei einer Zwei-Welten-Konzeption gehuldigt: Hier die Ethik, dort die Wirtschaft. Das Wirtschaften selbst wird auf diese Weise der ethisch-kritischen Reflexion entzogen. Theoretisch legitimiert wird der Separatismus durch »die große Sachzwangerzählung«, also der These, dass die Gewinnmaximierung alternativlos sei. Wie bei jeder metaphysischen Theorie muss man an sie glauben. Der Glaube an die unsichtbare Hand und die Vernunft des Marktes ist eine Art Religion. Der Journalist Alois Weber veröffentlichte im Jahre 2006 einen lesenswerten Artikel, der dieses Thema aufgreift, mit dem schönen Titel: »Und der Markt ist Gott geworden – Geburt einer Weltreligion«. Der Ökonom Hans-Christoph Binswanger beschrieb diesen Umstand ebenfalls eindrucksvoll in seinem lesenswerten Buch »Die Glaubensgemeinschaft der Ökonomen« (1998, München).

Bankrotterklärung einer Theorieschule

Das gesamte metaphysische Theoriegebäude der klassischen BWL wird in Schutt und Asche gelegt, wenn es die unsichtbare Hand des Marktes nicht gibt. Die Gewinnmaximierung der Unternehmen ist ohne die unsichtbare Hand des Marktes in keiner Weise irgendwie legitimierbar und die Forderung, dass Unternehmen moralisch handeln, tritt zwangläufig an ihre Stelle. Das muss von den profitorientierten Unternehmen natürlich dringend verhindert werden, weshalb sie fleißig Geld (so genannte Drittmittel) für betriebswirtschaftliche Forschungsprojekte ausgeben, die die gegenwärtigen ökonomischen Verhältnisse zementieren.

Es ist jedoch nur eine Frage der Zeit, bis der BWL das droht, was der VWL seit der Finanzkrise 2008 widerfährt: Die Studierenden stehen auf und wehren sich gegen die Studieninhalte. Sie fordern eine neue, zeitgemäße, progressive VWL, die tatsächlich versucht, die ökonomische Realität abzubilden. Auch die klassische BWL ist völlig überlebt. Ihre Vertreter kämpfen mit den letzten ihnen zu Verfügung stehenden Mitteln, um ihr Paradigma noch irgendwie zu retten. Die aktuelle Strategie ist, zu konstatieren, dass man selbstverständlich wisse, dass die Gewinnmaximierungsthese sowie der homo oeconomicus nichts mit der Realität zu tun haben, dass die BWL aber eine Heuristik sei – also eine starke Vereinfachung der komplexen Realität zum Zwecke der Theoriebildung. Das ist die Bankrotterklärung dieser Theorieschule.

Unternehmen dürfen und sollen Gewinne erzielen

Eine theoretische Alternative zur klassischen BWL ist die »Integrative Unternehmensethik« von Peter Ulrich. Der Kern dieser Theorie ist schnell erklärt: Unternehmen dürfen und sollen Gewinne erzielen, nicht jedoch ihre Gewinne maximieren. Gewinnerzielung soll ein gleichberechtigtes Ziel neben anderen sein.

„Vielmehr muss der Gewinn überhaupt entthront werden. Er muss vom Status des übergreifenden Prinzips in den Status eines Gesichtpunktes neben anderen überführt werden. Vieles, vielleicht das meiste, von dem, was zu tun oder zu unterlassen als »unmöglich« erklärt wird, wird dann sofort »möglich«. Es wird nämlich möglich gemacht, vor allem durch Unterlassungen – nämlich durch den Verzicht darauf, alles auszunutzen, was sich ausnutzen lässt.“ (Ulrich Thielemann, a.a.O)

Unternehmenszecke müssen ethisch legitim sein

Legitimes Gewinnstreben ist stets moralisch begrenztes Gewinnstreben. Ein Unternehmen soll all jenen dienen, die mit ihm verbunden sind, inklusive derer, die von seinen Handlungen negativ betroffen sind und nicht nur den Shareholdern. Ethik darf nicht von der Rentabilität abhängig gemacht werden, sondern umgekehrt unternehmerischer Erfolg von der moralischen Verantwortbarkeit der Geschäfte. Gewinnerzielung ist nur legitim, wenn die Folgen, die durch die Wertschöpfung entstehen, ethisch verantwortbar sind. Jede ernsthafte BWL beginnt mit dem Grundsatz, dass Unternehmer nur solche Unternehmenszwecke und Handlungsorientierungen verfolgen sollen, die ethisch legitim und verantwortbar sind. Es geht somit um nicht mehr und nicht weniger als darum, das unternehmerische Erfolgs- und Gewinnstreben kategorisch der normativen Bedingung der Legitimität unterzuordnen. Darin ist das oberste betriebswirtschaftliche Prinzip zu erkennen und nicht in der Gewinnmaximierung.

Das bedeutet auch, dass Unternehmen aufhören, ungebremst zu wachsen – Wachstum ist nur in dem Maße legitim, in dem es dem Gemeinwohl zu Gute kommt. Es gibt bereits heute Unternehmen, die vorleben, dass man langfristig erfolgreich stagnieren kann. Es gibt keinen Wachstumszwang für Unternehmen. Diese »Postwachstumsunternehmen« konzipieren ihre Gebrauchsgüter so, dass sie maximal langlebig und reparabel sind – ohne Sollbruchstellen, ohne mangelnde Leistungsfähigkeit von Materialien (werkstoffliche Obsoleszenz), ohne mangelnde Interoperabilität von Software und Hardware (funktionale Obsoleszenz), ohne subjektiv bedingte künstliche Veralterung (psychologische Obsoleszenz). Die Wertschöpfung dieser Unternehmen verlagert sich dadurch von der Neuproduktion auf produktbezogene Dienstleistungen wie Instandhaltung und Überarbeitung.

Das Gemeinwohl-Postulat ist übrigens Verfassungsnorm

Wer das alles für Idealismus hält, sollte einmal in unser Grundgesetz schauen: Der Zweck unserer Wirtschaft ist im Grundgesetz und auch in verschiedenen Landesverfassungen festgeschrieben. Artikel 14 Absatz 2 Grundgesetz sagt klar: „Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohl der Allgemeinheit dienen.“ Es geht hier natürlich um das Eigentum an Produktionsmitteln und also die Verantwortung der Unternehmen. In der bayrischen Landesverfassung heißt es in Art. 151 Absatz 1: „Die gesamte wirtschaftliche Tätigkeit dient dem Gemeinwohl, insbesondere der Gewährleistung eines menschenwürdigen Daseins für alle und der allmählichen Erhöhung der Lebenshaltung aller Volksschichten.“

Fazit

Unternehmen, die zum Zwecke der Gewinnmaximierung Mitarbeiter ausbeuten, Ressourcen verschwenden, unsere Ökosysteme schädigen oder Kunden gesundheitlich gefährden, verstoßen gegen das Grundgesetz und mehrere Landesverfassungen. Wir müssen die Unternehmen endlich darauf verpflichten, dass sie dem Gemeinwohl dienen. Hierfür braucht es eine BWL, die nicht auf dem homo oeconomicus und dem Glauben an die unsichtbare Hand des Marktes fußt, sondern auf einem gesunden Menschenbild und einer realistischen Einschätzung dessen, wie Unternehmen zum Gemeinwohl beitragen können.

* Über den Autor:

Prof. Dr. Daniel DeimlingDaniel Deimling ist Professor für Betriebswirtschaftslehre und kritisiert ihre Glaubenssätze fundamental. Er tritt für eine integrative Wirtschaftsethik ein.

 

 

Hinweis: Beachten Sie bitte das Datum dieses Artikels. Er stammt vom 28.01.2021, sodass die Inhalte ggf. nicht mehr dem aktuellsten (Rechts-) Stand entsprechen.