25.04.2024 | Fachartikel/Kommentar
Von Andreas Hermanutz, Wolters Kluwer
Keine Veranstaltung, auf der dieses allgegenwärtige Thema nicht angesprochen wird: Der Fachkräftemangel bei den steuerberatenden Berufen. Kreative Benefits liegen im Trend, das Problem erfordert jedoch eine komplexere Betrachtung. Der Autor hat jenseits aller Obstkörbe einen klaren betriebswirtschaftlichen Blick auf das Thema.
Die Folgen des Fachkräftemangels sind teilweise schon heute gravierend: Potenzielle Neumandate können nicht aufgenommen werden und beratungsintensive Sonderthemen bringen manche Kanzlei an oder gar über die Belastungsgrenze.
Abhilfe schaffen neue Mitarbeiter, doch diese zu finden gilt flächendeckend als die größte Herausforderung in der Branche der steuerberatenden Berufe. Dabei geht die Arbeitgeberkonkurrenz weit über die eigene Branche hinaus, weil ausgebildete Mitarbeiter aus der Steuerberatung bei anderen Industriezweigen genauso gefragt sind.
Im Umkehrschluss heißt das: Die Kanzleien konkurrieren längst nicht mehr nur mit den üblichen Arbeitsbedingungen der eigenen Branche, sondern mit denen von Großunternehmen: Fragen rund um Wochenarbeitszeiten, flexible Arbeitszeit- und Arbeitsplatzmodelle, Karrieremöglichkeiten, die Arbeitsausstattung, das Kanzlei-Image, diverse Benefits und letztlich Verdienstmöglichkeiten rücken in den Fokus der Bewerber.
Zwar gibt es bereits viele Kanzleien, die sich diesen Themen angenommen haben, und vor allem für junge Leute moderne und absolut konkurrenzfähige Arbeitsbedingungen bieten; doch insgesamt besteht in der Branche an vielen Stellen noch Aufholbedarf.
Ein Beispiel: Motivierende Umsatzbeteiligungen für Mitarbeiter sind längst nicht branchenüblich – obwohl hinsichtlich der Art der Aufgaben und Tätigkeiten viel dafürspricht.
Ein anderes Beispiel: Das mobile Arbeiten. Obwohl viele Kanzleien – insbesondere während der Corona-Pandemie – die Erfahrung gemacht haben, dass die Mitarbeiter freiwillig gern ins Büro kommen, war das Angebot, situativ und so weit machbar mobil zu arbeiten, nicht nur aus epidemiologischer Sicht verantwortungsvoll, sondern für die Mitarbeiter wichtig: Sie konnten sich im Freundeskreis unterhalten und "mithalten", weil ihr Arbeitgeber ebenfalls Homeoffice oder mobiles Arbeiten ermöglichte.
Am Ende will fast jeder stolz auf seinen Arbeitgeber sein und durchaus damit "prahlen", wie gut es ihm geht. Hört man immer nur die Lobeshymnen von anderen, wächst die Motivation sich auf dem Arbeitsmarkt nach Alternativen umzuschauen. Für manche Kanzleien stellen die genannten Punkte kein Problem dar: Es herrscht ein sehr gutes Betriebsklima, die Mitarbeiter fühlen sich wertgeschätzt, vermeintlich kleine Gesten und Anerkennungen sind oft mehr wert als unpersönliche "Benefit-Angebote" großer Konzerne, moderne Arbeitsgeräte und Möglichkeiten zur flexiblen Arbeitsplatz- und Arbeitszeitgestaltung sind gegeben. Viele andere Kanzleien haben an dieser Stelle jedoch Nachholbedarf.
Am Ende gilt auch für die steuerberatenden Berufe ein zentrales Gesetz der Marktwirtschaft: Ist die Nachfrage groß und das Angebot überschaubar, steigt der Preis; das gilt auch für Fachkräfte. Dementsprechend konnte man in den vergangenen Jahren eine spürbare Steigerung der Personalkostenquote in den Kanzleien beobachten. Wenn die Umsätze in gleichem Maße stiegen, würde die Quote – unter sonst gleichen Bedingungen – gleich bleiben. Das heißt, die absoluten Personalaufwendungen können dann steigen, wenn auch der Umsatz steigt. Die oben bereits erwähnte Umsatzbeteiligung wäre dann ein adäquates Mittel, um das unternehmerische Risiko einzudämmen und gleichzeitig Mitarbeiter zu motivieren.
Und es kommt darauf an, wie wertig die Leistungen sind, die die Mitarbeiter erbringen. Anders ausgedrückt: Welchen Verkaufspreis kann die Kanzlei für die eingesetzte Stunde erzielen? Wenn die Personalkosten für Fachkräfte steigen, sollten diese wirklich nur die Tätigkeiten ausführen, bei denen man ihr Fachwissen benötigt.
Häufig erleben wir in Kanzleien, dass hoch qualifiziertes Fachpersonal stundenweise Aufgaben bearbeitet, die entweder weniger qualifiziertes Personal oder anders qualifiziertes Personal, wie IT-Fachkräfte, erledigen könnte.
Viele Kanzleien sind aus diesem Grund bereits arbeitsteiliger geworden: Um das Einspielen von Datensätzen zur Vorbereitung der Buchhaltung kümmern sich speziell ausgebildete Kräfte, die Anforderung von Belegen oder die Beantwortung von einfachen Mandantenanfragen übernehmen Bürokaufleute. Das steuerlich qualifizierte Personal erzielt deutlich höhere Pro-Kopf-Umsätze.
Doch nicht nur durch Arbeitsteilung kann die Produktivität erhöht werden: Auch durch den Einsatz der IT können Mitarbeiter wesentlich produktiver arbeiten. Das ist wichtig, denn steigt die Produktivität der Mitarbeiter, kann die Kanzlei höhere Personalkosten kompensieren. Dabei ergeben sich bei vielen Kanzleien durch die Möglichkeiten der Digitalisierung und Automatisierung enorme Potenziale.
Je nach Ausgangssituation sind hier Produktivitätssteigerungen von 20 Prozent und mehr keine Seltenheit. Dabei gilt: Gerade am Anfang erzielt die Kanzlei schnell sichtbare Ergebnisse und Fortschritte. Automatisiert sie viele repetitive Tätigkeiten, digitalisiert und modernisiert viele Prozessabläufe, dann können zusätzliche Mandanten aufgenommen werden und Mitarbeiter sich auf höher abrechenbare Tätigkeiten, vor allem in der Beratung, konzentrieren. Erfreuliche Begleiteffekte gibt es auch: Die Kanzlei stellt sich gegenüber Mitarbeitern und Mandanten modern, digital und innovativ dar.
Das Argument, dass viele Mandanten beispielsweise für die digitale Zusammenarbeit nicht bereit sind, widerlegen Beispiele von Kanzleien, die es konsequent angegangen sind. Dafür reicht oft ein erster, einfacher Schritt mit großer Wirkung: Auswertungen werden nur noch über ein sicheres Online-Portal zur Verfügung gestellt, etwa ADDISON OneClick. Bei ausdrücklichem Mandantenwunsch wird jede Druckauswertung mit einer zusätzlichen Gebühr berechnet.
Sollte es Mandanten geben, die gar nicht mitziehen und womöglich ohnehin zu den C-Mandanten mit hohem Zeitaufwand und wenig Umsatz gehören, dann ist es rein betriebswirtschaftlich sinnvoll, an der ein oder anderen Stelle das Mandat niederzulegen und eine der neuen Mandantenanfragen anzunehmen.
Das Thema Digitalisierung und Automation hat eine starke Wechselwirkung mit dem Thema Fachkräftemangel. Nicht nur wegen des wirtschaftlichen Zwangs zu höherer Produktivität, sondern in Bezug auf die Attraktivität als Arbeitgeber. Aber auch darüber hinaus müssen die Arbeitsbedingungen zwischenzeitlich mit denen großer Industriekonzerne standhalten können.
Berufe im steuerberatenden Umfeld sind hochattraktiv und krisensicher – das hat sich nicht erst im Rahmen der Pandemie gezeigt. Sie sind abwechslungsreich, die Sinnstiftung der Arbeit ist klar und sofort erkennbar, die Kollegialität in vielen Kanzleien durch die kurzen Wege und flachen Hierarchien oft sehr hoch und in vielen Fällen gibt es moderne Arbeitsbedingungen und große Flexibilität. Wenn dann attraktivere Konditionen dazu kommen, haben Kanzleien gute Chancen bei Fachkräften zu punkten.
Autor
Andreas Hermanutz ist Geschäftsführer bei der Wolters Kluwer Tax & Accounting Deutschland GmbH (www.wolterskluwer.de).
Hinweis: Beachten Sie bitte das Datum dieses Artikels. Er stammt vom 25.04.2024, sodass die Inhalte ggf. nicht mehr dem aktuellsten (Rechts-) Stand entsprechen.