25.01.2024 | Kanzleimanagement

Mit dem Resilienz-Konzept den Herausforderungen der Branche wirksam begegnen

Von Marion Ketteler, Kanzleiprofiling

Noch nie gab es für Kanzleien so viele unterschiedliche Herausforderungen auf einmal zu meistern wie jetzt: Die Digitalisierung und die Automatisierung müssen bewältigt werden. Neue gesetzliche Anforderungen wie die Einführung der E-Rechnung müssen umgesetzt werden – und das nicht nur in der eigenen Kanzlei. Und das alles bei einem Fachkräftemangel, der jetzt schon eklatant ist und in den kommenden Jahren rasant zunehmen wird.

Foto: Marion Ketteler im Kanzlei-Coaching.

Auch die Unternehmenssteuerung ist längst nicht mehr so berechenbar wie früher. Wo es sonst circa alle drei bis vier Jahre einen Change gab, spricht die Wissenschaft derzeit von drei bis vier Change-Prozessen pro Jahr! Was können Kanzleiinhaber konkret tun, damit die Beschäftigten gesund und motiviert ihre Arbeit erledigen, jeden Change mitgehen und aus sich selbst heraus die Veränderungen mitgestalten? Was ist in der Unternehmenssteuerung nötig, um auch in Zukunft mit weniger Mitarbeitenden erfolgreich zu sein und die kommenden Herausforderungen gut zu meistern? Die Antwort lautet: Resilienz.

Resilienz ist die Fähigkeit, auch in schwierigen Situationen handlungsfähig zu bleiben und proaktiv Lösungen zu entwickeln. Oder anders gesagt: Resiliente Kanzleien haben einen klaren Wettbewerbsvorteil, weil sich die Beschäftigten, die Kanzleileitung und damit die gesamte Organisation schnell auf Veränderungen einstellen und die Zukunft proaktiv gestalten können.

Veränderung ist die neue Konstante

Es geht also um die Entwicklung einer neuen gemeinsamen Haltung, neudeutsch Mindset. Organisationen wie auch die Beschäftigten müssen verinnerlichen, dass Veränderung die neue Konstante ist und ihr Verhalten so anpassen, dass es proaktiv für Veränderungen sorgt. Um das zu erreichen, ist die Entwicklung bestimmter Fähigkeiten und Verhaltensweisen erforderlich:

Resiliente Faktoren auf Ebene der Beschäftigten:

  • Veränderungsfähigkeit und Veränderungsbereitschaft
  • Verantwortungsübernahme für den eigenen Arbeitsplatz und dessen Inhalte
  • Entwicklung eines gesunden Selbstvertrauens
  • Entwicklung einer optimistischen Grundhaltung
  • Selbstwirksamkeitserleben
  • Bereitschaft zur eigenständigen Handlung

Resiliente Faktoren auf Ebene der Führungskräfte und Kanzleiinhaber:

  • Optimismus leben und ausstrahlen
  • Vertrauen schaffen
  • Sinn vermitteln
  • Ambiguitätstoleranz entwickeln
  • Diversität schätzen und fördern
  • Orientierung geben
  • Zutrauen in die Beschäftigten haben
  • Kommunikationsvermögen ausbauen und Kommunikation fördern

Resiliente Faktoren auf organisationaler Ebene:

  • Iterative Prozessentwicklung
  • Laufende Evaluation der entwickelten Prozesse und Strukturen
  • Hohe Innovationsbereitschaft und Innovationsfähigkeit
  • Aktive Marktbeobachtung
  • Etablierung und Überwachung von Wissenstransfersystemen
  • Lernförderliche Arbeitsumgebungen gestalten
  • Wandelbarkeit als erstrebenswerte Eigenschaft etablieren
  • Transparenz schaffen
  • Gute Feedbackkultur etablieren
  • Gutes Fehlermanagement etablieren

Analyse des Ist-Zustands

Marion Ketteler
Foto: Marion Ketteler, Kanzleiprofiling (© Anita Gryz)

Wie macht man eine Kanzlei resilient? Los geht es immer bei den Menschen in der Kanzlei. Die Beschäftigten, Führungskräfte und Kanzleiinhaber ordnen im Rahmen einer Analyse des Ist-Zustands ihre persönlichen resilienten Fähigkeiten ein. Mit dieser Beschäftigung wird gleichzeitig ein gemeinsames resilientes Bewusstsein geschaffen, das es im Nachgang braucht, um die Kanzlei dauerhaft resilienter zu machen.

In einem zweiten Schritt schaut man sich die Organisation unter resilienten Aspekten an. Fragen hierzu könnten beispielsweise lauten:

  • In welchen Abständen und wie werden bestehende Prozesse und Strukturen evaluiert und verändert?
  • Gibt es ein geregeltes Fehlermanagement? Eine gute Fehlerkultur?
  • Gibt es (genügend) Prozessverantwortliche, die aktiv an der Gestaltung der Prozesse arbeiten?
  • Wie wird der Markt beobachtet? Welche Erkenntnisse werden wie behandelt?
  • Wie funktioniert der Wissensaustausch? Gibt es aktiv genutzte Wissenstransfersysteme?
  • Gibt es eine gelebte Feedbackkultur?
  • Welche Ressourcen werden von der Kanzleileitung für die Entwicklung der Kanzlei zur Verfügung gestellt?
  • Was wird für den Zusammenhalt und den Austausch untereinander getan?

Sonderrolle Führungskräfte und Kanzleiinhaber

Führungskräfte nehmen über ihren Führungsstil und mit der Steuerung der Organisation maßgeblichen Einfluss auf die individuelle und organisationale Resilienz. Hier noch einmal gesondert hinzuschauen, kann wichtige zusätzliche Erkenntnisse bringen. Je nach Größe der Kanzlei empfiehlt sich eine separate Betrachtung unter folgenden Gesichtspunkten:

  • Wie werden die Themen Vision, Mission und Werte von den Kanzleiinhabern und Führungskräften vorgelebt?
  • Mit welchen Instrumenten, methodischen Verfahren und Kennziffern steuern und unterstützen Kanzleiinhaber und Führungskräfte den kontinuierlichen Verbesserungs- und Veränderungsprozess?
  • Wie förderlich ist der persönliche Führungsstil in den Bereichen Innovation, Flexibilität und Nachhaltigkeit der Veränderungen?
  • Welche Ressourcen werden aktiv angeboten, damit Veränderungen neben dem Tagesgeschäft ermöglicht werden?
  • Inwieweit beinhaltet die Kanzleistrategie resiliente Faktoren?

Resiliente Kanzleistrategie entwickeln

Nach Erfassung des Ist-Zustands geht es anschließend an die gemeinsame Entwicklung einer resilienten Kanzleistrategie. Hier zeigt sich ein großer Unterschied zur herkömmlichen Strategieentwicklung, bei der die Beschäftigten in aller Regel nicht beteiligt sind.

Da Transparenz ein wesentlicher Resilienzfaktor ist, ist Beteiligung das A und O und umfasst auch die Kanzleistrategie. Durch die gemeinsame Entwicklung erreicht man eine wesentlich höhere Identifikation und Umsetzungsbereitschaft der Werte und Ziele. Letztlich auch alles Faktoren, die auf eine hohe Mitarbeiterbindung einzahlen. Steht die neue resiliente Kanzleistrategie, geht es an die Umsetzung.

Resiliente Maßnahmen beschließen und umsetzen

  • Führungskräfteentwicklung: Da die Führungskräfte den größten Einfluss auf die Beschäftigten und die Organisation haben, sollten diese als erstes geschult werden. Nach der Reflexion des eigenen Führungsverhaltens geht es um die Entwicklung oder Auffrischung von Basis- und Methodenkompetenzen wie zum Beispiel der eigenen Kommunikationsfähigkeiten (inklusive Kritik- und Konfliktvermögen), richtig Feedback geben, Delegation verstehen etc. Anschließend geht es um die Entwicklung eines resilienten Führungsverständnisses wie z.B. dem Vorleben einer optimistischen Grundhaltung. Zuletzt sollten sich die Führungskräfte auf eine einheitliche resiliente Führungskultur festlegen und die korrespondierenden Parameter dazu entwickeln und beschließen.
  • Mitarbeiterentwicklung:Auch für die Beschäftigten ist es wichtig, sich im Kontext der Strategie mit ihrer Resilienz zu beschäftigen und ihre resilienten Fähigkeiten weiterzuentwickeln. Daneben geht es auch um die Entwicklung von Kompetenzen wie Kommunikationsvermögen, Konfliktfähigkeit, Nein-Sagen-Können oder die Annahme und Umsetzung guten Feedbacks.
  • Resiliente Organisation entwickeln: Hier werden konkrete Maßnahmen aufgrund der in der Strategie definierten Ziele festgelegt und deren Umsetzung iterativ geplant. Dabei kommen alle Prozesse, Strukturen und Dienstleistungen auf den Prüfstand. Ressourcen für die Umsetzung und begleitende Evaluationen zu den einzelnen Maßnahmen werden entwickelt und festgelegt. Zuletzt werden Verantwortliche benannt und der Beginn der Umsetzung definiert.

Ergebnisse einer resilienten Kanzlei

Wer seine Kanzlei resilient entwickelt, wird Veränderungen auf vielen Ebenen feststellen:

  • Steigerung der Mitarbeiterzufriedenheit: Die Mitarbeiterzufriedenheit wird bei den Beschäftigten zunehmen, die sich selbst gerne weiterentwickeln und Verantwortung übernehmen. Die anderen brauchen in der Regel etwas länger, um sich im neuen System einzufinden. Es deswegen nicht umzusetzen, ist keine gute Idee, denn: Alle Kanzleien werden sich in einem Maße verändern müssen, wie das niemand gewohnt ist. Mithilfe des Resilienz-Konzeptes werden auch die Veränderungsunwilligen viel besser, weil sie auf der persönlichen Ebene und mit einem guten Konzept mitgenommen werden.
  • Einige Beschäftigte verlassen das Berufsbild: Es ist nicht auszuschließen, dass einige das Berufsbild verlassen werden – einfach, weil sie mit dem äußeren Veränderungsdruck und der Arbeitskomplexität nicht umgehen können. Das ist auch mit dem besten Resilienz-Konzept nicht gänzlich zu verhindern. Es sorgt allerdings dafür, dass diese Entscheidung ganz bewusst getroffen wird und geplant umgesetzt werden kann.
  • Mehr Innovationen und bessere Beratungsangebote durch iterative Prozesssteuerung: Durch iterative Prozesse werden Innovationen zunehmen und Kanzleien entwickeln das Berufsbild aktiv weiter. Neue Beratungsformate können entwickelt und angeboten werden, weil Zeit durch Automatisierung gespart wird.
  • Umsätze steigen oder kompensieren einbrechende Buchführungshonorare: Durch gezieltere und bessere Beratungsangebote steigen die Umsätze. So kann ein höherer Gewinn erzielt oder die Honorarausfälle durch einbrechende Buchführungsumsätze kompensiert werden.
  • Steigerung der Arbeitgeberattraktivität: Durch die Umsetzung des Resilienz-Konzepts steigt der Wert der Arbeitgebermarke, was zu besseren und vermehrten Bewerbungen führen kann, wenn man das für die Außenkommunikation nutzt.
  • Qualität der Zusammenarbeit verbessert sich: Dadurch, dass alle Beschäftigten und alle Führungskräfte geschult sind, steigt die Qualität der Zusammenarbeit und damit auch in der Regel die Ergebnisqualität. Mit guter Führung werden Konflikte besprochen und die Organisation entwickelt. Gutes Feedback hilft jedem, besser zu werden und durch den kontinuierlichen Verbesserungsprozess entsteht eine permanente Arbeitsoptimierung. Das Betriebsklima steigt, weil sich alle besser verstehen und intensiver zusammenarbeiten.
  • Weniger Stress und mehr Wohlbefinden im Arbeitsalltag: Weil proaktiv nach Lösungen für jede Herausforderung gesucht wird, verschwindet das Gefühl der Ohnmacht und ständigen Überforderung. Dadurch minimiert sich das Stresserleben und alle fühlen sich wohler.
  • Mehr Zeit für eine gute Mandantenbindung: Nicht zuletzt kann die Mandantenbindung gesteigert werden, weil einfach mehr Zeit für bessere Beratung zur Verfügung steht.

Fazit:

Eine resiliente Kanzlei hat große Vorteile gegenüber Kanzleien, die nicht wissen, wie sie mit den ständig neuen Herausforderungen umgehen sollen. Sie sind erfolgreich, haben motivierte Beschäftigte und zufriedene Mandanten.

Über die Autorin

Marion Ketteler Marion Ketteler ist Coach und Beraterin für Steuerkanzleien, Ihre Schwerpunkte sind Change-Prozesse, Arbeitsorganisation, Führungkräfteentwicklung und Mitarbeiterführung. Sie kommt selbst aus der Branche und ist Gründerin und Inhaberin des Beratungsunternehmens Kanzleiprofiling (www.kanzleiprofiling.de).