16.11.2023 | Überbrückungshilfen & Unternehmensverbund

Die Privilegierung von Schaustellerfamilien als verfassungswidrige Ungleichbehandlung?

Otto-Schmidt-Verlag

Von RA Dennis Hillemann, Fachanwalt für Verwaltungsrecht, und RAin Tanja Ehls

Die Schlussabrechnungen der Überbrückungshilfen werfen eine entscheidende Frage auf: Liegt ein Unternehmensverbund vor? Diese Frage hat erhebliche Auswirkungen. Es gibt eine bemerkenswerte rechtliche Neuerung vom Juni 2023: Die Bevorzugung von Schaustellerfamilien. Während wir uns für die Schausteller freuen, stellt sich gleichzeitig die Frage nach einer möglichen verfassungswidrigen Ungleichbehandlung aller anderen Familien und Unternehmen. Die Autoren erläutern die Problemstellung und geben eine rechtliche Einordnung sowie Tipps für prüfende Dritte.

RA Dennis Hillemann
Foto: RA Dennis Hillemann
RAin Tanja Ehls
Foto: RAin Tanja Ehls

Die Frage, ob ein Unternehmensverbund vorliegt, hat erhebliche Auswirkungen, da ein solcher Verbund nur gemeinsam einen Antrag auf Überbrückungshilfe stellen und somit auch nur gemeinsam eine Schlussabrechnung einreichen kann. Bewilligungsstellen sehen die Unternehmen des Verbunds sogar rechtlich dazu verpflichtet. In diesem Prozess werden Umsätze kumuliert und interne Zahlungen nicht gefördert. Die nachträgliche Annahme eines Unternehmensverbunds kann daher oft zu rechtlichen Nachteilen und hohen Rückforderungen führen. Besonders bemerkenswert ist, dass familiäre Verbindungen zwischen natürlichen Personen (etwa Gesellschafter, Geschäftsführer, aber auch private Vermieter bei Vermietung an ein Unternehmen) aus Sicht der Bewilligungsstellen "unwiderlegbar" eine gemeinsam handelnde Gruppe und damit einen Unternehmensverbund im familiären Kontext begründen.

Eine jüngste Entwicklung wirft jedoch neue Fragen auf: Schaustellerfamilien sind von dieser Annahme ausgenommen. Stellt dies eine verfassungswidrige Ungleichbehandlung dar? Dieser Frage gehen die Autoren Tanja Ehls und Dennis Hillemann in diesem Beitrag nach, gestützt auf ihre Erfahrungen aus der anwaltlichen Praxis.

Der Unternehmensverbund im Kontext der Überbrückungshilfen

Die Prüfung des Vorliegens eines verbundenen Unternehmens ist ein zentraler Aspekt bei der Beantragung von Überbrückungshilfen. Dies liegt daran, dass es einer der Hauptgründe sein kann, warum die beantragte Fördersumme nicht bewilligt wird. Der Grund dafür ist, dass pro Unternehmensverbund nur ein Antrag gestellt werden darf. Viele Bewilligungsstellen neigen dazu, das Vorliegen eines solchen Unternehmensverbundes schnell zu bejahen, was teilweise zu erheblichen Rückforderungen bereits gewährter Fördersummen führt. Daher ist eine gründliche Auseinandersetzung mit diesem Thema - insbesondere für den prüfenden Dritten - dringend empfohlen. 

Nur ein Antrag und eine Schlussabrechnung: Das Unternehmen, das den Antrag stellvertretend für alle Verbundunternehmen eingereicht hat, ist zur Einreichung der Schlussabrechnung verpflichtet. Es erfolgt keine automatische Anrechnung der Pakete untereinander. Da nur ein Antrag gestellt werden durfte, darf auch nur eine Schlussabrechnung eingereicht werden.

Die Kriterien für das Vorliegen von Verbundunternehmen sind in Abschnitt 5.2 der FAQ für Überbrückungshilfen (I-IV) festgelegt. Sie richten sich nach der EU-Definition (Anhang I Artikel 3 Absatz 3 VO (EU) Nr. 651/2014) und der Auslegung im Benutzerleitfaden zur Definition von KMU. Zu den Kriterien gehören die Verpflichtung zur Erstellung eines konsolidierten Jahresabschlusses, die Erfüllung eines Kriteriums aus Anhang I Art. 3 Abs. 3 AGVO oder, so der Unterabschnitt 4 der Vorschrift, das Vorliegen eines Unternehmensverbundes aufgrund einer "gemeinsam handelnden Gruppe natürlicher Personen" und Tätigwerden auf demselben Markt oder benachbarten Märkten bei Erfüllung einer der Kriterien des Anhang I Art. 3 Abs. 3 AGVO.

In der Praxis für Familien besonders bedeutsam ist die Frage des gemeinsamen Handelns. Der Unterabschnitt 4 der vorgenannten Vorschrift lautet:

"Im Zusammenhang mit den gemäß Artikel 3 Absatz 3 des Anhangs der KMU-Empfehlung über natürliche Personen hergestellten Beziehungen gelten familiäre Verbindungen als ausreichend für die Schlussfolgerung, dass natürliche Personen gemeinsam handeln. Des Weiteren sind als gemeinsam handelnd im Sinne von Artikel 3 Absatz 3 Unterabsatz 4 des Anhangs natürliche Personen anzusehen, wenn sie sich abstimmen, um Einfluss auf die geschäftlichen Entscheidungen der betreffenden Unternehmen auszuüben, so dass diese Unternehmen unabhängig vom Bestehen vertraglicher Beziehungen zwischen den fraglichen Personen nicht als wirtschaftlich voneinander unabhängig angesehen werden können."

Familie und Unternehmensverbund

Im familiären Kontext wird eine solch gemeinsam handelnde Gruppe sehr schnell angenommen. Denn die Ziff. 5.2 der FAQ bestimmen hier:

"Familiäre Verbindungen gelten als ausreichend für die Schlussfolgerung, dass natürliche Personen gemeinsam handeln."

Während diese Formulierung noch nahelegt, dass nur eine Vermutung besteht, die widerlegt werden kann, wird in der Praxis anders entschieden: Die Bewilligungsstellen sehen sich – oft mit Verweis auf eine angeblich bindende Vorgabe des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) – verpflichtet, familiäre Verbindungen als "unwiderlegbare" Vermutung für eine gemeinsam handelnde Gruppe anzunehmen.

Das hat erhebliche Folgen. Ein wiederkehrendes Problem ist die Nichtanerkennung von Mietkosten als förderfähig, wenn die Räumlichkeiten innerhalb der Familie vermietet werden. Bereits hier zeigt sich eine Schwierigkeit: Einzelpersonen werden teilweise als Unternehmen betrachtet und somit als Teil eines Unternehmensverbundes gesehen – obwohl sie nach deutschem Steuerrecht kein Unternehmen sind. Nur ein Problem von vielen. Unserer Ansicht nach handelt es sich bei der Vermietung durch diese Einzelpersonen jedoch oft nicht um eine wirtschaftliche Tätigkeit, sondern eher um private Vermögensverwaltung. Das Hauptproblem liegt jedoch woanders: Ein gemeinsames Handeln wird allein aufgrund einer familiären Verbindung angenommen, obwohl in einigen Fällen keinerlei individuelle Einflussnahme auf das Unternehmen möglich ist.

Würde keine familiäre Verbindung bestehen (wie Ehe oder Verwandtschaft), wäre ein Unternehmensverbund in vielen Fällen ausgeschlossen. Dies wirft ernsthafte Fragen zur Gleichbehandlung und Fairness der aktuellen Regelungen auf.
Die Autoren sehen diese Praxis extrem kritisch: Die Frage, ob Personen aufgrund familiärer Verbundenheit gemeinsam handeln, ist eine Frage der Auslegung. Ein wichtiger Bezugspunkt hierfür ist die Entscheidung der Europäischen Kommission vom 7. Juni 2006 - Nordbrandenburger UmesterungsWerke - NUW - (ABlEU 2006 Nr. L 353, S. 60). Dies ist die einzige Entscheidung auf europäischer Ebene, die diese Problematik in nachvollziehbarer Weise behandelt und Argumentationslinien liefert. Dort findet sich die "unwiderlegbare Vermutung" nicht.
Die Auslegung dieser Regelung und der allgemeine Umgang mit der Situation sind gerichtlich noch nicht abschließend geklärt. Die Autoren betreuen viele Klageverfahren, die aufgrund dieser Auslegungsproblematik entstanden sind.

Für eine vertiefte Auseinandersetzung mit diesem Thema verweisen die Autoren auf ihren Aufsatz in der Zeitschrift 'Deutsches Steuerrecht': 'Corona-Überbrückungshilfen: Verbundene Unternehmen allein aufgrund familiärer Strukturen?', DStR 2023, 226.

Eine neue Entwicklung: Bevorzugung von Schaustellerfamilien

Es gibt eine bemerkenswerte rechtliche Neuerung vom Juni 2023. Laut einer Mitteilung des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz sind Schaustellerfamilien von der "unwiderlegbaren Vermutung" ausgenommen, dass bei familiären Verbindungen eine "gemeinsam handelnde Gruppe" vorliegt. In der Mitteilung heißt es wörtlich:

"In der Schaustellerbranche haben sich aufgrund der typischen Weitergabe des Berufs von den Eltern an die Kinder, bei gleichzeitiger Beibehaltung des Geschäfts durch die Eltern, für die Bewilligungsstellen nicht sinnvoll lösbare Abgrenzungsprobleme bei der Anwendung dieser Regelungen gestellt…

Zur Lösung gilt für Anträge von Schaustellenden nunmehr: Ehegatten, die jeweils einen Schaustellerbetrieb führen, müssen für diesen in der Schlussabrechnung der Corona-Überbrückungshilfen weiterhin einen konsolidierten Verbundantrag für beide Unternehmen stellen. Bei engen familiären Verbindungen anderer Art können die Antragstellenden widerlegen, dass sie gemeinsam handeln und damit ein Verbund vorliegt. Dazu müssen Antragstellende bestätigen, dass (a) von diesen Familienmitgliedern keine wesentliche Betriebsgrundlage bezogen wird (Vermietung des betriebenen Fahrgeschäfts, der Zugmaschinen für dessen Transport) und (b) keine anderweitige (maßgebliche) kapitalmäßige oder personelle Verflechtung besteht."

Das bedeutet konkret: Bei familiären Verbindungen innerhalb von Schaustellerfamilien gilt diese "unwiderlegbare Vermutung" einer gemeinsam handelnden Gruppe nicht (mit Ausnahme von Ehegatten, ohne nähere Erläuterung). Schaustellerfamilien werden somit in der Förderung bevorzugt, da sie beispielsweise in den oben beschriebenen Mietkonstellationen (zum Beispiel wenn der Vater das Geschäft an den Sohn vermietet) weiterhin die volle Förderung erhalten, einschließlich der Mietkosten, die im familiären Kontext gezahlt werden. Dies ist eine bemerkenswerte neue Entwicklung.

Verfassungswidrige Ungleichbehandlung?

Während wir uns für die Schausteller freuen, stellt sich gleichzeitig die Frage nach einer möglichen verfassungswidrigen Ungleichbehandlung aller anderen Familien und Unternehmen. Gemäß dem allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 I GG müssen wesentlich gleiche Sachverhalte gleich und wesentlich ungleiche Sachverhalte ungleich behandelt werden. Dies gilt sowohl für ungleiche Belastungen als auch für ungleiche Begünstigungen. Daher ist auch ein gleichheitswidriger Begünstigungsausschluss verboten, bei dem eine Begünstigung einem Personenkreis gewährt, einem anderen Personenkreis aber vorenthalten wird.

Ungleichbehandlungen bedürfen einer verfassungsrechtlichen Rechtfertigung. Ohne diese sind sie verfassungswidrig. Es besteht eine Ungleichbehandlung zu Lasten derjenigen antragsberechtigten Unternehmen, die nicht dem Schaustellergewerbe angehören.

Anhand des Einzelfalls Ihrer konkreten Mandanten ist dabei herauszuarbeiten, warum eine verfassungswidrige Ungleichbehandlung vorliegt. Diese kann darin liegen, dass das Angebot des von Ihnen als Steuerberater*in betreuten Unternehmens vergleichbar ist mit denen von Schaustellern, sowohl im Angebot als auch in der Größe. Oder es kann darin liegen, dass die Konstellation der Vererbung auch in Ihrem Fall vorliegt. Auch kann eine Argumentation aus dem EU-Beihilferecht hergeleitet werden, dass Schausteller ebenfalls nicht besonders privilegiert. Dies sind nur einige der Argumente, die durch Rechtsprechung, Literatur und empirische Daten gestützt werden können.
So lassen sich in vielen Fällen gute Argumentationen finden, die für eine Vergleichbarkeit und damit für eine verfassungswidrige Ungleichbehandlung sprechen.

Die Autoren kommen daher zu dem Schluss, dass die Ungleichbehandlung in vielen Fällen nicht verfassungsrechtlich gerechtfertigt ist. Ihrer Ansicht nach sollte die aktuelle Praxis geändert werden, indem die Privilegierung für Schaustellerfamilien auf alle anderen Unternehmensbereiche und Familien ausgedehnt wird. Damit sollte die Vermutung entfallen, dass eine familiäre Verbindung "unwiderlegbar" eine gemeinsam handelnde Gruppe im Sinne eines Unternehmensverbunds begründet.

Tipps für prüfende Dritte

Prüfende Dritte sollten bei Themen des Unternehmensverbunds daher einerseits große Vorsicht walten lassen, um keine falschen Angaben bei den Schlussabrechnungen zu machen, andererseits auch nicht vorschnell einen Unternehmensverbund insbesondere im familiären Kontext annehmen.

Folgendes ist im Rahmen der Schlussabrechnungen dahingehend zu beachten:

  • Wenn ein Unternehmensverbund bei Ihnen eine Rolle spielen könnte, müssen Sie das Thema bei den Schlussabrechnungen ernst behandeln.
  • Wenn bisher kein Unternehmensverbund angenommen wurde, aber dies aufgrund des hier Ausgeführten noch geschehen könnte, dann sprechen Sie Ihre Mandanten proaktiv an und sensibilisieren Sie diese.
  • Lassen Sie Ihre Mandanten prüfen, ob eine familiäre Verbindung vorliegt und sich das Ergebnis von Ihren Mandanten auch schriftlich bestätigen.
  • Erwägen Sie mit dem Mandanten, ob es sinnvoll sein kann, die Schlussabrechnung mit einem begleitenden Schreiben zu versehen, warum kein Unternehmensverbund vorliegt. Dieses begleitende Schreiben muss zwingend von den Bewilligungsstellen berücksichtigt werden. In großen Fällen, bei denen eine hohe Rückforderung bzw. große Risiken im Raum stehen, kann es sinnvoll sein, sich durch Rechtsanwälte begleiten zu lassen, um die Mandanten und die prüfenden Dritten selbst rechtlich abzusichern – auch vor einer strafrechtlichen Verfolgung wegen vermeintlichem (versuchten) Subventionsbetrug.

Überbrückungshilfe-Netzwerk

Die Autoren laden Sie ein, "Überbrückungshilfe - Das Netzwerk" beizutreten, eine kostenlose Plattform, die von Rechtsanwalt Dennis Hillemann für einen bundesweiten Austausch über Überbrückungshilfen, Widerspruchs- und Klageverfahren gegründet wurde. Schließen Sie sich dem Netzwerk unter

www.überbrückungshilfe-netzwerk.de

an und nutzen Sie die Möglichkeit, aktuelle Rechtsfragen zu diskutieren und von den Erfahrungen anderer zu profitieren!

Über die Autor*innen:

RA Dennis Hillemann RAin Tanja Ehls Dennis Hillemann ist Fachanwalt für Verwaltungsrecht und Partner im Verwaltungsrecht (vor allem Verwaltungsprozessrecht) im Hamburger Büro von Fieldfisher (www.fieldfisher.com). Tanja Ehls arbeitet als Rechtsanwältin im Fördermittelrecht und Verwaltungsprozessrecht im Frankfurter Büro von Fieldfisher. Sie beraten gemeinsam Unternehmen und deren Steuerberater*innen bundesweit zu Corona-Überbrückungshilfen, kennen die Praxis der Bewilligungsstellen und vertreten in zahlreichen Widerspruchs- und Klageverfahren. Zudem erstellen Sie Gutachten und begleiten die Schlussabrechnungen.