27.06.2024 | Fachartikel
Von RA Dennis Hillemann und RAin Tanja Ehls
In vielen Fällen, insbesondere bei Themen wie der Coronabedingtheit des Umsatzeinbruchs und dem Unternehmensverbund aufgrund familiärer Verbindungen, empfiehlt sich ein rechtliches Vorgehen gegen ablehnende bzw. rückfordernde Bescheide zu den Überbrückungshilfen. Bei der Klageerhebung ist jedoch Vorsicht geboten, da verwaltungsgerichtliche Verfahren erheblich von finanzgerichtlichen abweichen. Steuerberater*innen sollten eine eigene Klageerhebung aus vielen Gründen überdenken. Dieser Beitrag gibt dazu einen Überblick.
In verwaltungsgerichtlichen Verfahren gelten die prozessualen Regeln der VwGO. Die Prozessregeln weichen erheblich von denen finanzgerichtlicher Verfahren ab. Eine erfolgreiche Prozessführung hängt von juristischem Fachwissen und anwaltlicher Erfahrung ab. Steuerberater*innen, die Expert*innen im Finanz- und Steuerrecht sind, haben in der Regel keine verwaltungsrechtlichen Kenntnisse und Prozesserfahrung. Fehlendes Fachwissen führt zu folgenden Risiken und Problemen:
Das Einhalten verwaltungsrechtlicher Fristen ist eine wichtige Voraussetzung für jede wirksame Klageerhebung. Die Klagefrist gegen einen ablehnenden Bescheid bzw. den Widerspruchsbescheid beträgt gemäß § 74 Abs. 1 VwGO einen Monat ab Zustellung bzw. Bekanntgabe. Diese Frist ist unbedingt einzuhalten. Wird sie versäumt, ist die Klage unzulässig, und das Verwaltungsgericht hat die Klage abzuweisen. Mit dem Fristversäumnis wird der Bescheid bestandskräftig. Ein Vorgehen gegen den Bescheid ist dann nicht mehr möglich, selbst wenn dieser rechtswidrig ist. Mandant*innen sind verpflichtet, die geforderte Summe zurückzuzahlen.
Die VwGO legt formelle Anforderungen an die Klageerhebung fest. Diese sind zwingend einzuhalten, da die Klage andernfalls formell unwirksam ist und wegen Unzulässigkeit abgewiesen wird. Mangels verwaltungsgerichtlicher Erfahrung kann es passieren, dass Steuerberater*innen prozessuale Formvorschriften übersehen oder falsch handhaben. Die Autor*innen betreuen mehrere Fälle, in denen Steuerberater*innen formell unwirksame Klagen erhoben haben.
In der Praxis sind insbesondere folgende Fälle problematisch:
Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof (BayVGH) wies eine Beschwerde wegen Nichteinhaltung der Formvorschriften durch den Steuerberater bei elektronischer Übermittlung von Schriftsätzen als unzulässig zurück (BayVGH, Beschluss vom 17. Juli 2023 – 22 CS 23.1040).
Der folgende Sachverhalt betraf das Verfahren einer Antragstellerin, die im März 2022 teilweise die beantragte Überbrückungshilfe erhielt, welche jedoch im Januar 2023 abgelehnt und zurückgefordert wurde: Ihr Steuerberater reichte beim Verwaltungsgericht (VG) Klage ein und beantragte, den zurückgeforderten Betrag von der Vollziehung bis zur Entscheidung der Klage auszusetzen. Der Schriftsatz wurde elektronisch über das besondere Steuerberaterpostfach (beSt) übermittelt. Die qualifizierte Signatur nach ERVB fehlte, eine weitere Signatur im Schriftsatz gab es nicht.
Das VG lehnte den Antrag als unzulässig ab, da die Antragsschrift aufgrund der fehlenden qualifizierten elektronischen Signatur die Anforderungen an eine elektronische Einreichung nicht erfülle.
Der Beschluss des VG Regensburg wurde zunächst im März 2023 erfolglos per EGVP und dann am 9. Mai 2023 per Postzustellungsurkunde dem Steuerberater zugestellt. Am 31. Mai 2023 beantragte die Antragstellerin durch ihren Bevollmächtigten per Telefax die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand in die Frist zur Einlegung der Beschwerde.
Der BayVGH wies die Beschwerde als unzulässig zurück, da sie nicht innerhalb der gesetzlichen Frist eingelegt wurde: Der Antrag auf Wiedereinsetzung in die Frist zur Einlegung der Beschwerde sei abgelehnt worden, weil der Steuerberater lediglich vorgetragen habe, dass er die Beschwerde nicht unter Nutzung des beSt habe einlegen können, dabei aber nicht dargelegt habe, weshalb er das Telefax nicht fristgerecht habe übermitteln können. Die Beschwerde sei auch unzulässig, weil die Formerfordernisse nicht entsprechend berücksichtigt worden seien: Seit dem 1. Januar 2023 gelte für Steuerberater*innen die Verpflichtung, vorbereitende Schriftsätze und Anlagen sowie schriftlich einzureichende Anträge gemäß § 86d, § 157e StBerG als elektronisches Dokument zu übermitteln. Herkömmliche (z.B. postalische) Einreichungen von Schriftsätzen seien seither prozessual unwirksam. Eine Ausnahme gelte, wenn eine Übermittlung aus technischen Gründen vorübergehend nicht möglich sei und der Bevollmächtigte das Vorliegen eines solchen Falls ausreichend glaubhaft machen könne.
Aus dem Beschluss ist mitzunehmen, dass wenn der Inhaber eines besonderen elektronischen Steuerberaterpostfachs entgegen seiner Verpflichtung die erforderlichen technischen Einrichtungen für die Nutzung des Postfachs nicht vorhält, dies keine vorübergehende Unmöglichkeit darstellt und somit auch keine Ausnahme von der Verpflichtung gewährt wird.
Ein weiterer Fall betrifft die Frage, ob in einer Steuerkanzlei ein Steuerberater das beSt-Postfach anderer Angestellter nutzen kann, beispielsweise weil sein eigenes beSt-Postfach noch nicht freigeschaltet ist. Ausweilich der Kommentarliteratur, müssen der Postfachinhaber und die unterzeichnende Person übereinstimmen. "Mit der abschließenden Signatur des Dokuments soll dokumentiert werden, dass der vom sicheren Übermittlungsweg ausgewiesene Absender mit dem identisch ist, der das elektronische Dokument verantwortet" (BeckOK VwGO/Schmitz, 69. Auflage, 1. April 2024, VwGO § 55a Rn. 11).
Entsprechend weisen die Verwaltungsgerichte solche so erhobenen Klagen derzeit als unzulässig ab.
Als weiteres Praxisproblem hat sich das von einigen Gerichten etablierte Erfordernis der "Entzifferbarkeit" der Unterschrift erwiesen. Ein Beispiel aus der Praxis: Die Klage wurde über das Postfach eines angestellten Steuerberaters beim Verwaltungsgericht eingereicht. Die eingereichte Klage wurde vom Partner der Steuerberater-Kanzlei unterschrieben, welcher namentlich auf dem Briefbogen erkennbar ist. Die Übermittlung erfolgte über das besondere elektronische Postfach (beSt) des angestellten Steuerberaters, da das Postfach des Partners noch nicht freigeschaltet wurde. Das Verwaltungsgericht beschloss, dass die Klage nicht ordnungsgemäß über einen sicheren Übermittlungsweg an das Gericht übermittelt wurde, weil die Unterschrift nicht leserlich und eine Identitätsfeststellung somit nicht möglich sei.
Die elektronische Einreichung der Klageschrift (hier beSt) richtet sich nach § 55a Abs. 3 VwGO. § 55a Abs. 3 VwGO sieht dafür erstens die Möglichkeit der qualifizierten elektronischen Signatur (Var. 1) oder die Signatur durch die verantwortende Person und die Einreichung auf einem sicheren Übermittlungsweg (Var. 2) vor.
Im vorliegenden Fall lag keine qualifizierte elektronische Signatur vor, womit nur die Möglichkeit der Einreichung auf einem sicheren Übermittlungsweg verblieb. Laut Bundessozialgericht in einem anderen Fall müsse die Signatur aber "entzifferbar" sein und damit "ohne Sonderwissen oder Beweisaufnahme" einer bestimmten (der vom beSt ausgewiesenen) Person zugeordnet werden können. (BSG, Beschluss vom 16. Februar 2022 - B 5 R 198/21 B).
Ein weiterer Formfehler, der in der Praxis bei Klageerhebungen durch Steuerberater*innen vorkommt, kann die rechtlich korrekte Verwendung von Unterschriftenzusätzen wie "i.A." oder "i.V." bedeuten. Im folgenden Fall lehnte das Verwaltungsgericht die Klage als unzulässig ab:
Ein angestellter und nicht im Briefkopf enthaltener Steuerberater der Sozietät erstellte die Klage zwar selbst und übermittelte diese über sein eigenes beSt, stellte der (eigenen) Unterschrift aber "i.A." voraus.
In zivil- und arbeitsgerichtlichen Verfahren hat die Rechtsprechung bzgl. entsprechendem Zusatz folgendes geurteilt:
"Wird die Unterschrift lediglich mit dem Zusatz „i. A.“ geleistet, gibt der Rechtsanwalt damit nach der gefestigten höchstrichterlichen Rechtsprechung regelmäßig zu erkennen, dass er nicht die Verantwortung für den Inhalt des Schriftsatzes übernehmen, sondern gegenüber dem Gericht nur als Erklärungsbote auftreten will." (BGH, Urteil vom 27.2.2018 – XI ZR 452/16, NJW 2018, 1689 ff., Rn. 16.)
Etwas anderes solle nur gelten, wenn der so unterzeichnende Rechtsanwalt Teil der mandatierten Sozietät ist, was sich allerdings aus der Klageschrift ergeben müsste. Im obenstehenden Fall stand der übermittelnde Steuerberater nicht auf dem Briefkopf der Steuerberaterkanzlei und war gerade kein Sozius, sondern ausdrücklich nur angestellt.
Die aufgezeigten Fälle verdeutlichen, wie komplex schon die verwaltungsgerichtliche Klageerhebung ist. Mangels erforderlichen juristischen Fachwissens ist ausdrücklich von einer eigenständigen Klageerhebung durch Steuerberater*innen abzuraten.
Weitere Herausforderungen ergeben sich im Hinblick auf eine erfolgreiche Prozessführung. Steuerberater*innen haben im Regelfall kein juristisches Fachwissen auf dem Gebiet des Verwaltungsrechts noch Prozesserfahrung vor den Verwaltungsgerichten.
Die Coronahilfen sind dem Gebiet des Fördermittelrechts zuzuordnen, diese Materie ist von einer Vielzahl allgemeiner verwaltungs-, haushalts-, verfassungs- und europarechtlicher Bestimmungen abhängig. Ein erfolgreiches Vorgehen gegen rechtswidrige Aufhebungs- und Rückforderungsbescheide erfordert hinreichende Expertise und taktisches Geschick, welches von jahrelanger anwaltlicher Erfahrung abhängig ist.
Die Kernkompetenzen von Steuerberater*innen liegen in finanzieller und steuerlicher Beratung. Bei gleichzeitiger Übernahme komplexer juristischer Aufgaben, kann das zur Vernachlässigung der eigentlichen Aufgaben führen. Insbesondere Steuerberater*innen, die in den Antragsverfahren schon als prüfende Dritte aufgetreten sind, setzen sich Interessenkonflikten und erheblichen Haftungsrisiken aus.
Zudem können Steuerberater*innen, die gleichzeitig Prozessbevollmächtigte sind, im gerichtlichen Verfahren nicht, jedenfalls nicht unbefangen, als Zeug*innen auftreten. Die prüfenden Dritten können als Zeugen aber, indem sie die Glaubwürdigkeit der Antragssteller*innen und die Richtigkeit der Fördersummen darlegen können, ein essenzielles Beweismittel sein.
Fehler im Verfahren können zu zusätzlichen Kosten für die Mandant*innen führen, beispielsweise durch verlorene Prozesse oder zusätzliche Anwaltskosten für nachträgliche Korrekturen.
Es sprechen viele Gründe gegen eine eigene Klageerhebung durch Steuerberater*innen. In vielen Überbrückungshilfefälle, ist die fachliche Expertise auf dem Gebiet des Verwaltungsrechts unumgänglich. Jeder Steuerberater sollte vor einer Klage daher – auch wegen der Gefahr der Haftung – gut überlegen, ob er diesen Weg gehen will.
Über die Autor*innen:
Dennis Hillemann ist Fachanwalt für Verwaltungsrecht und Partner im Verwaltungsrecht (vor allem Verwaltungsprozessrecht) im Hamburger Büro von Fieldfisher (www.fieldfisher.com). Tanja Ehls arbeitet als Rechtsanwältin im Fördermittelrecht und Verwaltungsprozessrecht im Frankfurter Büro von Fieldfisher. Sie beraten gemeinsam Unternehmen und deren Steuerberater*innen bundesweit zu Corona-Überbrückungshilfen, kennen die Praxis der Bewilligungsstellen und vertreten in zahlreichen Widerspruchs- und Klageverfahren. Zudem erstellen Sie Gutachten und begleiten die Schlussabrechnungen.