29.06.2023 | Fachartikel

Überbrückungshilfen: Wie mit Rückforderungen umgegangen werden sollte

Von RA Dennis Hillemann, Fachanwalt für Verwaltungsrecht und RAin Tanja Ehls

Viele Steuerberater*innen und Unternehmen erreichen derzeit überraschende Bescheide: Corona-Überbrückungshilfen werden zurückgefordert, oft vollständig oder jedenfalls substantielle Beträge. Dieser Beitrag berichtet aus der anwaltlichen Praxis. Er zeigt auf, warum viele dieser Rückforderungsbescheide rechtswidrig sind und wie Steuerberater*innen und Unternehmen mit den Bescheiden umgehen sollten.

RA Dennis Hillemann
Foto: RA Dennis Hillemann
RAin Tanja Ehls
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Alle Corona-Überbrückungshilfen wurden unter ausdrücklichem Vorbehalt einer späteren Überprüfung, spätestens im Rahmen einer Schlussabrechnung, gewährt. Die Bestimmungen der Bescheide, die Mandanten erfahrungsgemäß selten lesen, halten ausdrücklich fest, dass kein Vertrauen in den Bestand der Entscheidung bestehen dürfe. Während 2020 und 2021 im Angesicht der Pandemie und der Sorge um einen wirtschaftlichen Zusammenbruch Deutschlands die Hilfen auf Druck der Bundesregierung oft schnell gewährt worden sind (jedenfalls für deutsche Verhältnisse), hat sich das Blatt nun in 2022 und 2023 deutlich gewendet.

Die Bewilligungsstellen haben spätestens bei den Überbrückungshilfe IV-Anträgen begonnen, die Anträge genauestens zu prüfen. Nunmehr finden auch Abgleiche in Handelsregistern und Transparenzregistern statt, werden Bilanzen geprüft und Anträge verschiedener miteinander in möglicher Beziehung stehender Unternehmen gegenübergestellt. Die Nachfragen gehen in die Tiefe, selbst einzelne Rechnungen werden angefordert und das Geschäftsmodell eingehend beleuchtet. Dabei kommen die Bewilligungsstellen nicht nur häufig zu dem Ergebnis, dass die Überbrückungshilfe IV nicht gewährt werden wird. Sie wenden zudem die "Erkenntnisse" aus dem Überbrückungshilfe IV-Verfahren nachträglich auf die bereits gewährten Hilfen an mit dem Ergebnis, dass sie diese nun zurückfordern.

Schlussabrechnungen verschärfen das Problem

Zum 31.8.2023 (ehemals 30.6.2023) läuft die reguläre Frist zur Einreichung der Schlussabrechnungen aus. Viele Unternehmen haben diese Frist über ihre prüfenden Dritten auf den 31.12.2023 verlängert. Doch schon die Erfahrungen aus den ersten eingereichten Schlussabrechnungen lassen nichts Gutes erahnen: Auf einmal werden Sachverhalte, die 2020 oder 2021 bereits bekannt waren, nachträglich anders bewertet. Die Bewilligungsstellen berufen sich dann darauf, dass nie ein Vertrauen in eine bestimmte Bewertung habe bestehen dürfen und dass bestimmte Sachverhalte 2020 oder 2021 nie geprüft worden waren, so dass sich die Bewilligungsstellen auch nicht widersprüchlich verhalten würden. In einigen Fällen wird auch ganz offen dargestellt, dass sich die Verwaltungspraxis angeblich verändert habe und damit eine Rückforderung geboten sei. Viele Unternehmen könnten daher nach den Schlussabrechnungen noch "böse Überraschungen" erleben.

Typische Fallkonstellationen

Die Autoren sehen in ihrer anwaltlichen Praxis eine Vielzahl unterschiedlicher Konstellationen. Doch es gibt einige typische Fallkonstellationen, die derzeit besonders herausstechen:

Ein Hauptthema bleibt die Frage des Unternehmensverbundes. Wie bekannt, dürfen Unternehmen, die zusammen einen Unternehmensverbund im Sinne der FAQ bilden, nur gemeinsam einen Antrag auf Überbrückungshilfe stellen. Zahlungen zwischen solchen Unternehmen, zum Beispiel für Mieten oder Pachten, seien nicht als Fixkosten förderfähig. Die Bestimmung, was ein Unternehmensverbund ist, soll sich dabei nach dem europäischen Recht richten. Doch genau hier liegen die Probleme: Diese Auslegung des europarechtlichen Begriffs hat sich seit 2021 offenbar bei den Bewilligungsstellen erheblich gewandelt. Gesellschaftsrechtliche Beteiligungen, die bereits 2020/21 klar waren (und sich insbesondere aus dem Handelsregister ergaben), werden nun plötzlich anders bewertet, Unternehmensverbünde dort angenommen, wo Unternehmen vorher Einzelanträge gestellt haben. Die Folgen sind oft finanziell dramatisch, weil sich die Hilfen bei einer solchen Betrachtung erheblich reduzieren oder ganz entfallen. Besonders betroffen sind Konstellationen mit Familienbezug; die Bewilligungsstellen sind der Ansicht, dass familiäre Verbindungen zwischen Einzelpersonen und Unternehmen "unwiderlegbar" einen Unternehmensverbund begründen. Sehr viele Konstellationen, zum Beispiel, wenn ein Ehegatte Immobilien an die GmbH des anderen Ehegatten vermietet, werden nun als Unternehmensverbund betrachtet – und es gibt viele Rückforderungen.

In anderen Konstellationen wird dagegen plötzlich der für die Anträge erforderliche coronabedingte Umsatzeinbruch verneint, nachdem er von den Bewilligungsstellen im Antragsverfahren noch bejaht wurde. Bei der Überbrückungshilfe IV waren viele Unternehmen schon harte Auslegungen dieser Voraussetzung gewöhnt und mussten Ablehnungen hinnehmen (die nun in vielen Fällen von Gerichten auf ihre Rechtmäßigkeit geprüft werden). Doch nun geraten auch die Überbrückungshilfe III und III Plus in den Fokus. Die Investitions- und Förderbank in Hamburg beispielsweise vertritt in mehreren Fällen, die die Autoren betreuen, auf einmal eine sehr enge Auslegung des Begriffs des coronabedingten Umsatzeinbruchs bei der Überbrückungshilfe III Plus. So sollen nur solche Unternehmen antragsberechtigt sein, die direkt von staatlichen Schließungsanordnungen betroffen waren. Das stand so nie in den FAQ – die Auslegung wird aber im Inbrunst der Überzeugung vertreten.

Schließlich gibt es auch Fixkosten-Positionen, die plötzlich in Zweifel gezogen werden. Das betrifft beispielsweise die Angemessenheit von Mieten und Pachten oder die Notwendigkeit von Reparaturen oder Hygienemaßnahmen. Die Autoren betreuen Fälle, bei denen die Bewilligungsstellen die Webseiten von Lieferanten der Antragsteller prüfen und der Ansicht sind, dass die in Rechnungen aufgeworfenen Positionen dort gar nicht angeboten sind oder Preise zu hoch seien und fordern dann extensive Nachweise an, dass die Kosten tatsächlich angefallen sind. Rechnungen würden dazu nicht ausreichen. Manchmal müssen sogar Fotos von Reparaturarbeiten eingereicht werden. Woher die Bewilligungsstellen die Fachkenntnis haben, die Richtigkeit und Angemessenheit von Einzelpositionen Tausender unterschiedlicher Unternehmen zu beurteilen, wissen die Autoren nicht. Wir sind oft verblüfft, welche harschen Positionen vertreten werden.

Viele Bescheide rechtswidrig – Rechtsbehelf hat aufschiebende Wirkung

Doch Steuerberater*innen und Unternehmen, die solche Rückforderungsbescheide erreichen, sollten diese kritisch prüfen. Viele der Rückforderungsbescheide sind rechtswidrig – aus ganz unterschiedlichen Gründen, auf die wir gleich eingehen.

Die wichtigste Nachricht vorab: Rechtsbehelfe wie Widerspruch oder Klage haben aufschiebende Wirkung. Das bedeutet: Solange die Bewilligungsstelle nicht die sofortige Vollziehbarkeit der Rückzahlung anordnet (was wir bisher nicht gesehen haben), führen die Einlegung von Widerspruch oder Klage dazu, dass die betroffenen Unternehmen für die Dauer eines solchen Rechtsbehelfsverfahrens keine Rückzahlung vornehmen müssen. Auch so können überraschende Liquiditätsengpässe, die manchmal existenzbedrohend sind, vermieden werden.

Unzureichende Begründungen

Viele Rückforderungsbescheide sind aus unserer Erfahrung heraus bereits formell rechtswidrig. So sticht die Rechtswidrigkeit einer ganzen Reihe solcher Bescheide bereits beim ersten Lesen ins Auge. Denn die Bewilligungsstellen (und die von ihnen beauftragten Beratungsgesellschaften mit Hunderten von Mitarbeitern) arbeiten extensiv mit Textbausteinen bei der Erstellung solcher Bescheide. Uns liegt eine ganze Reihe von Bescheiden vor, die im Sachverhalt oder in der rechtlichen Würdigung offensichtliche Fehler erhalten. So finden sich etwa Fragezeichen ("???") in den Bescheiden. In anderen Bescheiden sind die internen Anweisungen an die Bearbeiter noch enthalten und werden einfach mitgeschickt an die betroffenen Unternehmen. Solche Bescheide lassen weder auf eine sorgfältige Bearbeitung der wichtigen Angelegenheit schließen noch auf eine Fehlerkontrolle vor Versand der Bescheide.

Andere Bescheide enthalten Begründungen, die mit keinem Wort auf die Argumente und den Vortrag des Unternehmens und des prüfenden Dritten eingehen. Sie wirken, als hätte es umfangreiche Korrespondenz im Antragsverfahren nicht gegeben und als sei "von der Stange" entschieden worden. In diesen Fällen kann es sinnvoll sein, schon aus formellen Gründen gegen die Bescheide vorzugehen.

Viele Fragen in der Sache streitig

Davon unabhängig sind viele Rechtsfragen bei den Überbrückungshilfen streitig und beschäftigen die Verwaltungsgerichte – und mit Entscheidungen über diese Punkte ist erst in Zukunft zu rechnen.

Das beginnt schon bei der Frage, was die vermeintliche "Verwaltungspraxis" ist, die zu der Entscheidung geführt habe. Die Bewilligungsstellen berufen sich oft auf die "Verwaltungspraxis", erklären diese aber nicht näher. Wer weiß, ob die "Verwaltungspraxis" tatsächlich so ist bei anderen Unternehmen, wie von der Behörde behauptet? Darauf sollte kein Unternehmen blind vertrauen.

Doch selbst wenn es eine solche Verwaltungspraxis geben sollte – was nur selten positiv belegt wird von den Bewilligungsstellen -, stellt sich die Frage, ob sie rechtmäßig ist. Anders als viele andere Förderprogramme weisen die Überbrückungshilfen strukturelle Besonderheiten auf. Das beginnt von den oft unklaren FAQ mit ihren vielen Verweisungen in das Europarecht und endet bei der Rolle des prüfenden Dritten, dem viele Pflichten auferlegt werden.

Die europarechtliche Auslegung des Begriffs des Unternehmensverbundes ist keineswegs so klar, wie die Bewilligungsstellen das oft darstellen. Das betrifft insbesondere die Konstellationen mit Familienbezug. Eine Vielzahl von Klagen sind anhängig, die sich gegen die überzogene Anwendung des Begriffs durch die Bewilligungsstellen wehren. Denn wer in das Europarecht in den Richtlinien und den FAQ verweist, muss sich hieran auch festhalten lassen. Hier gibt es viele Angriffspunkte.

Und wieso sollte dem prüfenden Dritten misstraut werden, wenn dieser den "coronabedingten Umsatzeinbruch" bestätigt? Anders als die Bewilligungsstellen kennen die Steuerberater*innen ihre Mandanten. Es ist eine Hybris, einerseits den Steuerberater*innen so viele Pflichten aufzubürden, ihnen andererseits so tief zu misstrauen. Auch hiergegen gehen wir für unsere Mandanten vor.

Und schließlich: Der Vertrauensschutz spielt entgegen der Meinung der Bewilligungsstellen doch eine überragende Bedeutung bei den Überbrückungshilfen und wird viele Gerichte beschäftigen. Der Gedanke, dass wir auf den Bestand von behördlichen Entscheidungen vertrauen dürfen, folgt direkt aus dem Rechtstaatsprinzip. Und wenn Sachverhalte 2021 bereits bekannt waren, warum sollten sie nun ohne nähere Begründung 2023 nachträglich anders beurteilt werden?

Prüfung und Fristen

Daher der Rat für Steuerberater*innen: Legen Sie Mandanten, die Rückforderungsbescheide erhalten, nahe, diese anwaltlich prüfen zu lassen – auch zur eigenen Absicherung, dass nicht hinterher der Mandant meint, Sie hätten falsche Anträge gestellt. Wichtig ist dabei: Fristen beginnen bereits zu laufen, wenn der Bescheid bei Ihnen als prüfenden Dritten eingeht. Der Zugang bei Ihnen wird dem Mandanten zugerechnet.

Wenn Sie selbst Widerspruch oder Klage erheben wollen für den Mandanten, bedenken Sie bitte Folgendes: Zum einen gibt es Formvorschriften, die besonders zu beachten sind und vom finanzgerichtlichen Verfahren abweichen können. Das beginnt schon bei der Notwendigkeit der elektronischen Erhebung der Klage (so jedenfalls einige Verwaltungsgerichte zu Steuerberatern, die Klagen nur per Telefax erhoben haben). Zum anderen: Wenn Sie selbst Klage erheben, können Sie nicht als prüfender Dritte wie sachverständige Zeugen im Verfahren auftreten, weil Sie schon Prozessbevollmächtigte sind. Das kann für Mandanten nachteilig sein. Und schließlich müssen Sie sich auch die Frage stellen, ob sie überhaupt zur Erhebung einer solchen Klage für Ihren Mandanten berufsrechtlich befugt sind.

Wichtig: Wer einen Rückforderungsbescheid erhält und sich nicht dagegen wehrt, kann sich nicht später auf abweichende gerichtliche Entscheidungen berufen. Die Rückforderungsbescheide haben dann Bestandskraft. Solange daher die Rechtslage nicht eindeutig geklärt ist, kann in vielen Fällen einiges dafür sprechen, Rechtsbehelfe zu ergreifen.


Über die Autor*innen:

RA Dennis Hillemann RAin Tanja Ehls Dennis Hillemann ist Fachanwalt für Verwaltungsrecht und Partner im Verwaltungsrecht (vor allem Verwaltungsprozessrecht) im Hamburger Büro von Fieldfisher (www.fieldfisher.com). Tanja Ehls arbeitet als Rechtsanwältin im Fördermittelrecht und Verwaltungsprozessrecht im Frankfurter Büro von Fieldfisher. Sie beraten gemeinsam Unternehmen und deren Steuerberater*innen bundesweit zu Corona-Überbrückungshilfen, kennen die Praxis der Bewilligungsstellen und vertreten in zahlreichen Widerspruchs- und Klageverfahren. Zudem erstellen Sie Gutachten und begleiten die Schlussabrechnungen.

Hinweis: Beachten Sie bitte das Datum dieses Artikels. Er stammt vom 29.06.2023, sodass die Inhalte ggf. nicht mehr dem aktuellsten (Rechts-) Stand entsprechen.