27.06.2024 | Branche

Fachkräftemangel in der Steuerberatung: Ein kontinentales Problem – mit internationaler Lösung?

Gastbeitrag von Sabine Meyer, TaxDome

Der europäische Steuerberatungs-Sektor steht vor einem gravierenden Mangel an qualifizierten Fachkräften – eine Herausforderung, die die operative Kapazität und das Wachstumspotenzial der Kanzleien auf dem ganzen Kontinent bedroht. Der Beitrag gibt einen Überblick über das Ausmaß des Mangels sowie Lösungsansätze, wie Kanzleien Fachkräfte effektiv anziehen und halten können.

(Foto: © iStock.com/koya79)

Das Ausmaß des Mangels

Laut einer Studie der Europäischen Kommission fehlen in Europa bis 2030 8,2 Millionen Fachkräfte in verschiedenen Branchen. Besonders betroffen davon ist der Finanzsektor. Der Mangel an qualifizierten Steuerberatern und Mitarbeitern in der Steuerberatung ist mittlerweile zu einem Problem herangewachsen, das mehrere europäische Länder betrifft. Einige Beispiele:

  • Deutschland: In der Rechts- und Steuerberatung sowie der Wirtschaftsprüfung finden 75,3 Prozent der Kanzleien laut ifo Institut nicht die benötigten Bewerber.
  • Belgien: Fast 50 Prozent der Kanzleien mussten aufgrund von Personalmangel ihre Beratungsleistungen einschränken, fand eine Studie des Institute of Tax Consultants and Accountants heraus.
  • Frankreich: Steuerberatung und Wirtschaftsprüfung gehören laut dem Institut Français des Experts-Comptables et des Commissaires aux comptes mittlerweile zu den 38 Mangelberufen, die nicht genügend Nachwuchs finden.
  • Italien: Zwischen 2022 und 2027 gehen gemäß Regierungsangaben rund 2,8 Millionen Menschen in Rente, was den Mangel verschärft.
  • Vereinigtes Königreich: Eine Studie des Chartered Institute of Personnel and Development (CIPD) zeigt, dass der Rückgang der Nettozuwanderung von EU-Arbeitnehmern zu einem erheblichen Engpass in verschiedenen Branchen geführt hat, einschließlich der Steuerberatung.

Die Ursachen

Mehrere Faktoren tragen zu diesem kritischen Mangel bei:

  • Demografischer Wandel: Die geburtenstarken Jahrgänge der Babyboomer gehen in Rente und es gibt weniger Nachwuchs auf dem Arbeitsmarkt. Europaweit zeigt sich ein ähnliches Bild, da die Altersstruktur in vielen Ländern ähnlich ist. Laut Eurostat wird der Anteil der über 65-Jährigen in der EU bis 2050 auf fast 30 Prozent steigen.
  • Konkurrenzfähige Gehälter in anderen Branchen: Finanzfachleute finden oft besser bezahlte Stellen außerhalb der Steuerberatung. Ein Finanzmanager in Spanien verdient beispielsweise etwa 70.000 Euro jährlich, verglichen mit 42.500 Euro für einen Steuerberater mit ähnlicher Erfahrung. In Frankreich variiert das Gehalt stark zwischen Paris und dem Rest des Landes, wobei Buchhalter in Paris bis zu 55.000 Euro verdienen können, allerdings auch eine kleinere Abgabenlast als beispielsweise in Deutschland besteht.
  • Mangelndes Ansehen des Berufs: Der Beruf des Steuerberaters gilt als weniger attraktiv im Vergleich zu dynamischeren Feldern wie Technologie oder Kreativbranchen – daher stagnieren auch die Zahlen beim Nachwuchs. In der bundesweiten Rangliste der Ausbildungsberufe des Bundesinstituts für Berufsbildung liegen Steuerfachangestellte nur auf Rang 21; laut der Berufsstatistik der Bundessteuerberaterkammer 2023 konnte immerhin ein ganz leichter Zuwachs bei Auszubildenden von 1 Prozent verzeichnet werden.
  • Hohes Maß an Fortbildungsaufwand: Der Beruf erfordert kontinuierliche Weiterbildung, um mit den sich ständig ändernden Gesetzen und Steuerregelungen Schritt zu halten. Dies kann abschreckend auf potenzielle Berufseinsteiger wirken und erhöht den Druck auf Mitarbeitende in Kanzleien.
  • Verschärfter Internationaler Wettbewerb: In Ländern wie Italien und Spanien ist die Abwanderung junger, gut ausgebildeter Arbeitskräfte ein Problem. Viele junge Fachkräfte ziehen es vor, in andere Länder mit besseren Arbeitsbedingungen und höherem Gehalt zu migrieren. Dies verschärft den Mangel an qualifizierten Fachkräften in deren Heimatländern.

Die Folge: Überlastung der aktuellen Fachkräfte – und verpasste Chancen

Eine Umfrage der "globalen Berufskammer" Association of Chartered Certified Accountants (ACCA) unter fast 10.000 Finanzfachleuten aus 157 Ländern ergab, dass 57 Prozent der Befragten unter steigender Arbeitsbelastung und daraus resultierenden psychischen Gesundheitsproblemen leiden. Gleichzeitig hemmt der Mangel mögliche Wachstumspotenziale bestehender Kanzleien.

Strategische Lösungen: Bessere Arbeitsbedingungen und multinationale Teams

Foto: Sabine Meyer, Head of EMEA Market bei TaxDome

Um dem Ressourcen- und Fachkräftemangel in den Steuerberatungsberufen entgegenzuwirken, sollten Kanzleien mit Blick auf die eben genannten Ursachen einen vielschichtigen Ansatz verfolgen. Einerseits gilt es, die Arbeitsbedingungen zu verbessern – andererseits auch unkonventionelle Wege zu gehen.

1. Schaffung eines gesunden Arbeitsumfelds

Förderung einer ausgewogenen Work-Life-Balance durch flexible Arbeitsbedingungen und intelligente IT-Lösungen zur Vermeidung von Burnout: Eine Studie von Deloitte zeigt, dass Unternehmen, die das Wohlbefinden ihrer Mitarbeiter priorisieren, einen Produktivitätsanstieg von 21 Prozent verzeichnen.

2. Angebot von Karrieremöglichkeiten

Implementierung klarer Karrierepfade, einschließlich kontinuierlicher Weiterbildung und der Möglichkeit, Partner zu werden: Eine Umfrage der Beratung PwC zeigt, dass 72 Prozent der Millennials Karrierefortschritt als oberste Priorität sehen.

3. Flexible Arbeitszeitmodelle

Abschaffung traditioneller 9-to-5-Arbeitszeiten zugunsten flexibler und remote Arbeitsoptionen, um jüngere Generationen anzusprechen: Eine Studie von Buffer zeigt, dass 99 Prozent der Arbeitnehmer zumindest teilweise remote arbeiten möchten.

4. Digitalisierung von Prozessen

Investitionen in umfassende digitale Lösungen zur Automatisierung von Routineaufgaben, wodurch Effizienz und Arbeitszufriedenheit gesteigert werden: Laut dem Digital Economy and Society Index (DESI) der Europäischen Kommission sind hoch digitalisierte Unternehmen 2,5-mal wahrscheinlicher wachstumsstark.

5. Förderung einer offenen Feedback-Kultur

Übergang von Top-Down-Management zu einer inklusiven Umgebung, in der Feedback ermutigt und geschätzt wird, was das Engagement und die Zufriedenheit der Mitarbeiter fördert: Laut Gallup haben Unternehmen mit einer offenen Feedback-Kultur eine um 14,9 Prozent niedrigere Fluktuationsrate.

6. Internationalisierung des eigenen Teams

Ausweitung der Suche nach Fachkräften über das eigene Land hinaus: Eine wachsende Zahl von Unternehmen setzen auf Fachkräfte aus dem europäischen oder nicht-europäischen Ausland. Diese sind aufgrund der besseren Gehälter interessiert an Jobs in Deutschland. Mithilfe von mehrsprachigen Tools für die Zusammenarbeit sinkt dabei auch die Sprachbarriere.

Fazit

Der Fachkräftemangel bei Steuerberatern in Europa ist ein dringendes Problem, das strategische Antworten erfordert. Durch die Schaffung eines unterstützenden Arbeitsumfelds inklusive Karrieremöglichkeiten, die Förderung von Flexibilität und die Nutzung digitaler Lösungen können Kanzleien die Auswirkungen dieses Mangels mildern und sogar auf Wachstumskurs gehen.

 

Zur Person

Foto: Sabine MeyerSabine Meyer ist Head of EMEA Market (Leiterin internationale Märkte) bei der digitalen Steuerberatungs-Plattform TaxDome (www.taxdome.com). In ihrer Funktion setzt sie sich mit länderspezifischen Trends des Steuerberatungs-Sektors in Europa auseinander.