21.03.2024 | Fachartikel/Urteilsbesprechung
Von RAin Susanne Christ, Fachanwältin für Steuerrecht
Schenkungsteuer schulden die schenkende und die beschenkte Person gesamtschuldnerisch, auch wenn zivilrechtlich grundsätzlich die beschenkte Person die Schenkungsteuer zu zahlen hat. Zwar können die Beteiligten in dem Schenkungsvertrag davon abweichend festlegen, dass die Schenkungsteuer von der schenkenden Person übernommen wird, das Finanzamt ist aber daran nicht gebunden. In einem vom BFH entschiedenen Fall hatte das Finanzamt allerdings den Überblick verloren, was es teuer zu stehen kam.
Wird aufgrund einer Schenkungsteuerfestsetzung die Steuerzahlung vorgenommen, erlischt insofern der materiell-rechtliche Steueranspruch des Finanzamts auch gegenüber den anderen am Schenkungsvertrag beteiligten Parteien und darf nicht mehr erneut festgesetzt werden. Dies ist das Wesen der gesamtschuldnerischen Haftung. Kommt das Finanzamt allerdings in der Folge zu der Überzeugung, dass es Anspruch auf Zahlung einer höheren Schenkungsteuer hat, darf es selbstverständlich – im Rahmen der Verjährung – den noch nicht festgesetzten Steuerbetrag festsetzen; und zwar auch gegenüber den anderen an der Schenkung beteiligten Parteien. Dabei muss die Finanzverwaltung sehr sorgfältig vorgehen und genau zwischen bereits erloschener und noch nicht erloschener Steuerschuld unterscheiden. Diese Zusammenhänge sind dem Finanzamt im vorliegenden Fall zum – möglicherweise millionenschweren – Verhängnis geworden.
Im Rahmen einer 2009 vollzogenen Schenkung von Unternehmensbeteiligungen unter Nießbrauchsvorbehalt eines Vaters an seinen damals noch minderjährigen Sohn war auch vereinbart worden, dass der Vater die Steuerzahlung übernimmt. Wunschgemäß wurde die Schenkungsteuer gegenüber dem Vater 2009 unter dem Vorbehalt der Nachprüfung festgesetzt und von ihm bezahlt. Dabei hatte das Finanzamt die für Unternehmensschenkungen geltenden Vergünstigungen gewährt und eine Steuer von rund 6 Millionen Euro festgesetzt.
Ein Jahr später änderte das Finanzamt seine Auffassung, und vertrat die Meinung, dass diese Vergünstigungen zu Unrecht gewährt worden seien, richtete diese "Änderung" aber an den Vater als gesetzlichen Vertreter des Sohnes. Den Steuerbescheid gegenüber dem Vater selbst änderte das Finanzamt nicht. In der Folge kam es noch mehrfachen Änderungen der Steuerfestsetzungen gegenüber dem Sohn, unter anderem wurden weitere Steuervergünstigungen zurückgenommen.
Im Rahmen des Rechtsbehelfsverfahrens, das sich über mehrere Jahre hinzog, vertrat das Finanzamt die Auffassung, dass der "Änderungsbescheid", der gegenüber dem Sohn ergangen war, in einen Erstbescheid umzudeuten sei. Damit wollte das Finanzamt Probleme mit dem Ablauf der Festsetzungsverjährung vermeiden, die eingetreten wären, wäre die Umdeutung abgelehnt worden. Der BFH, der sich grundsätzlich offen gegenüber einer Umdeutung zeigte, entschied aber letztendlich zugunsten des Sohnes. Denn die Finanzverwaltung hatte im Tenor des (zuletzt erlassenen) Steuerbescheids die gesamte auf die Schenkung zu zahlende Schenkungsteuer mit rund 15 Millionen Euro festgesetzt, ohne die gegenüber dem Vater bereits festgesetzte, von diesem bezahlte und dadurch bereits erloschene Steuer abzuziehen.
Unter der weiteren Überschrift "Steuerfestsetzung" waren als festgesetzte Steuer circa 9 Millionen Euro ausgewiesen, also der Betrag, auf den das Finanzamt noch materiell-rechtlich Anspruch hatte.
Ein solcher Bescheid, so die Auffassung des BFH, lässt nicht erkennen, dass die festgesetzte Steuerschuld durch die Zahlung des Vaters bereits materiell-rechtlich erloschen war. Ist die Steuerzahlung bereits durch eine (gesamtschuldnerische) Zahlung erloschen, erlischt sie auch gegenüber allen anderen Beteiligten. Der Steuerbescheid ließ nach Meinung des Gerichts nicht erkennen, in welcher Höhe die Schenkungsteuer gegenüber dem Sohn tatsächlich festgesetzt wurde, was auch durch Auslegung nicht zu ermitteln war, weil der Steuerbescheid widersprüchliche Angaben zu der Steuerschuld enthielt. Deshalb leide der Steuerbescheid an einem so schwerwiegenden Mangel, dass er nichtig ist.
Glück für die Steuerpflichtigen, Pech für den Fiskus – und die Allgemeinheit –, wenn durch einen solchen Fehler mutmaßlich mehrere Millionen Euro Steuereinnahmen entgangen sind ("mutmaßlich" deshalb, weil eine Entscheidung über die Frage, ob die Steuervergünstigungen tatsächlich nicht zu gewähren waren, nicht mehr getroffen werden musste).
Für die Beratungspraxis ist der Fall deshalb interessant, weil er zeigt, dass in Schenkungsteuerfällen die Mandantschaft stets darüber zu informieren ist, dass das Finanzamt im Rahmen seines pflichtgemäßen Ermessens berechtigt ist, gegenüber allen an der Schenkung beteiligten Parteien die Schenkungssteuer festzusetzen. Und von dieser Möglichkeit macht das Finanzamt selbstverständlich Gebrauch.
In der Praxis sind es zwar eher die Insolvenzfälle, in denen mehrere Personen nacheinander in Anspruch genommen werden; aber das muss nicht sein. Denn selbst wenn, wie im Streitfall, die festgesetzte Steuer von der zunächst in Anspruch genommenen Person pünktlich gezahlt wird, kann es passieren, dass die Finanzverwaltung sich bei Änderungen an die anderen Beteiligten wendet. Darauf sollte die Mandantschaft vorbereitet sein.
Das Finanzamt muss allerdings, wenn sie sich an verschiedene Personen wendet, sorgfältig zwischen den verschiedenen Steuerpflichtigen unterscheiden und darf diese nicht durcheinander werfen, wie es im Streitfall geschehen ist. Bereits durch Steuerfestsetzung gezahlte Steueransprüche erlöschen materiell-rechtlich und dürfen nicht erneut festgesetzt werden. Das ist auch sachgerecht, zumal durch eine solche Zahlung zivilrechtliche Ansprüche der Beteiligten untereinander entstehen können, während das Finanzamt insoweit ja schon befriedigt ist.
Wird entgegen dieser Grundsätze der gesamte, auf der Schenkung zunächst ruhende Steueranspruch, trotz Erlöschens erneut festgesetzt, ist ein solcher Steuerbescheid zunächst grundsätzlich "nur" rechtswidrig und müsste durch Einspruch angefochten werden. In der Beratung sollte daher in solchen Fällen genau überwacht werden, ob die Finanzverwaltung bereits erloschene Steueransprüche erneut festsetzt.
Nichtig wird ein Steuerbescheid aber dann, wenn das Finanzamt zwischen beiden Beträgen hin- und herspringt. Da auch nach verständiger Würdigung des Bescheids nicht deutlich wurde, welche Summe als Steuerschuld festgesetzt werden sollte, und die Höhe der geschuldeten Steuer gleichwohl elementarer Bestandteil eines Steuerbescheids ist, führte dieser Fehler nach Meinung des BFH zur Nichtigkeit des Steuerbescheides.
Praxishinweis: Auch wenn im Entscheidungsfall der BFH den Steuerbescheid als nichtig eingestuft hat, sind diese Fälle in der Praxis eher selten. Deshalb sollte gegen Steuerbescheide stets fristgerecht Einspruch eingelegt werden, und zwar auch dann, wenn vieles dafür spricht, dass die Festsetzung nichtig ist. Damit werden alle Möglichkeiten offen gehalten und nichts dem Zufall überlassen.
BFH, Urteil von 8.11.2023 – II R 22/20.
Autorin:
Susanne Christ ist Rechtsanwältin und Fachanwältin für Steuerrecht mit eigener Steuer- und Wirtschaftskanzlei in Köln. Seit Juni 2023 ist sie Sprecherin des Erbrechtsausschusses beim Kölner Anwaltsverein. Daneben ist sie langjährige Fachautorin der Haufe Mediengruppe und bei STB Web sowie Dozentin in den Bereichen Einkommen-, Umsatz- und Erbschaftssteuer. Außerdem ist sie Mitautorin des Kommentars „Nachfolgebesteuerung“ (Schmid, Hrsg.), der 2019 im Nomos Verlag erschienen ist. E-Mail: s.christ@netcologne.de
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