27.04.2023 | Interview

Fachkräftemangel: Warum der nächste Obstkorb das Problem nicht löst

DKB

Von Alexandra Buba / Interview mit Dr. Michaela Wieandt 

Vier-Tage-Woche, Fitnessstudio und kostenlose Getränke - die Liste der Vergünstigungen, mit denen Kanzleien Fachkräfte locken wollen, ist mittlerweile beachtlich. Doch langfristig helfe all das nicht, sagt Dr. Michaela Wieandt, Karriereberaterin bei der ESCP Business School. Vielmehr gelte es, von einer rein leistungsfixierten zu einer helfenden Unternehmenskultur zu finden.

(Foto: © iStock.com/pixelpot)

STB Web:
Frau Dr. Wieandt, worin liegt Ihrer Ansicht nach das spezifische Problem, das Kanzleien bei der Gewinnung von Fachkräften haben?

Dr. Michaela Wieandt:
Zunächst haben die Steuerberater*innen natürlich die Probleme, die wir in vielen Branchen sehen. Darüber hinaus hat die Branche vielleicht auch ein Imageproblem. Wenn ich durch Berlin radle, und die Plakate der Finanzverwaltung mit den Zeilen 'Wir sorgen für Recht und Ordnung' und 'An uns kommt keiner vorbei' sehe, spricht das junge Leute mehrheitlich wohl eher nicht an. Da habe ich schon die Befürchtung, dass sich dieses Bild auch auf die Steuerberatung überträgt. Auch wenn das gar nicht stimmt. 

STB Web:
Das klingt ernüchternd, was raten Sie Ihren Kunden, um dennoch weiterhin Mitarbeitende von sich und diesem Beruf zu überzeugen?

Foto: © Dr. Michaela Wieandt

Dr. Michaela Wieandt:
Wir versuchen immer zu vermitteln, dass sich das Nachwuchsproblem nicht kurzfristig lösen lässt, und es beschäftigt die Branche auch schon einige Jahre. Der wichtigste Ansatz ist, frühzeitig an die jungen Leute heranzutreten und nicht etwa erst aktiv zu werden, wenn man eine Stellenanzeige schaltet.

Wir raten unseren Kund*innen dazu, an die Universitäten heranzugehen, zu versuchen, Gastvorträge zu halten, einen Lunch zu sponsern und aktiv Praktika anzubieten. Das Ganze funktioniert natürlich besser, wenn es nicht online stattfindet, sondern, wenn man sich nach einem solchen Vortrag auch bemüht, mit den Leuten ins Gespräch zu kommen. Dasselbe gilt im Übrigen auch für Schulen im Hinblick auf die Auszubildenden.

STB Web:
Wie kann das gelingen?

Dr. Michaela Wieandt:
Ich stelle fest, dass viele junge Leute vergleichsweise planlos auf der Suche nach Praktikumsstellen sind. Die Schule ist da manchmal keine große Hilfe, weil die Kapazitäten fehlen, um wirklich Berufsbilder vorzustellen, die dann auch perspektivisch interessant sein können. Das ist eine Riesen-Chance, die hier vertan wird.

Umgekehrt ergibt sich ein immenser Bedarf, den Kanzleien decken können: Gehen Sie in die Schulen, sprechen Sie mit den Schulleitungen, vereinbaren Sie einen Termin bei den Abi- oder Abschlussklassen, um ihr Berufsbild vorzustellen, erklären Sie, was man bei Ihnen in einem Praktikum oder auch in der Ausbildung lernen kann - nicht nur für den Job, sondern auch fürs Leben. Natürlich ist das aufwändig, aber anders funktioniert es nicht.

Sie spielen auf das Social Media-Thema an. Dazu kann ich nur sagen: Es dauert, bis Sie dort eine Sichtbarkeit entwickeln.

STB Web:
Gibt es wirklich keinen einfacheren, sagen wir, digitalen Weg?

Dr. Michaela Wieandt:
Sie spielen auf das Social Media-Thema an. Dazu kann ich nur sagen: Es dauert, bis Sie dort eine Sichtbarkeit entwickeln. Überlegen Sie auf jeden Fall sehr strategisch, wie Sie vermeintlich coole Inhalte auf TikTok oder Instagram posten und gleichzeitig weiterhin als seriöses Unternehmen wahrgenommen werden. Ein weiterer Aspekt ist: Wenn Sie damit anfangen, reicht das reine Posten nicht aus, Sie sollten auch bereit sein, ihre Aktivitäten mit einem Budget und einem guten lokalen Targeting zu hinterlegen.

Recruiting sollte als möglichst lokale Strategie angelegt sein, das gilt nach wie vor, auch in ländlichen Regionen, da die Leute meistens ja nicht umziehen wollen. Trotzdem ist es natürlich wichtig, in den Social Media aktiv zu sein, damit Interessenten sehen, dass man selbstverständlich auch moderne Tools einsetzt.

Berufsinteressenten wollen heute freundlich und transparent umworben werden.

STB Web:
Nun ist die Personalgewinnung über Schulen und Universitäten ja eher langfristig angelegt, was sagen Sie denn denjenigen, die schon jetzt dringend Fachkräfte brauchen?

Dr. Michaela Wieandt:
Natürlich kann ich Vergünstigungen anbieten, flexible Arbeitszeiten, eine Vier-Tage-Woche, eine Mitgliedschaft im Fitnessstudio oder auch über die Anzahl der Urlaubstage nachdenken. Wichtig ist aber vor allem im Gespräch mit Bewerber*innen, darauf zu achten, dass diese nicht wie früher üblich regelrecht gegrillt werden. Berufsinteressenten wollen heute freundlich und transparent umworben werden. Hier müssen Manche ihre Ansprüche eher zurückfahren. Wenn man ehrlich ist, wussten und konnten vielleicht auch früher schon die Leute im Bewerbungsgespräch nicht alles - aber sie haben es eher mal einfach behauptet. Heute ist man da selbstbewusster im Hinblick auf die eigenen Defizite.

STB Web:
Was aber nicht immer gut ankommt seitens der Personalverantwortlichen...

Dr. Michaela Wieandt:
Ich glaube, wir müssen lernen, die Leute da abzuholen, wo sie stehen, und sie bei Defiziten zu unterstützen. Wer heute nicht bereit ist, mit denjenigen Kräften zu arbeiten, die willens sind, in die Kanzlei zu kommen, muss sich fragen, ob sich jemand findet, der besser passt. Häufig ist das aber nicht der Fall.

Sehr bewährt hat sich die Strategie, den Neuen im Team einen Mentor oder eine Mentorin an die Seite zu stellen.

STB Web:
Wie gelingt es, den vielleicht nicht ganz idealen Kandidaten oder die nicht perfekte Bewerberin zu integrieren?

Dr. Michaela Wieandt:
Sehr bewährt hat sich die Strategie, den Neuen im Team einen Mentor oder eine Mentorin an die Seite zu stellen, einfach jemanden, dem man jederzeit Fragen stellen kann und der eine E-Mail noch mal gegenliest, ehe sie an den Mandanten geht. Auch wenn wir in Kanzleien vielleicht gewohnt sind, dass neue Mitarbeitende sehr schnell funktionieren, müssen wir bereit sein, einen Schritt zurückzugehen und das notwendige Wissen und die Fähigkeiten vermitteln - und einplanen, dass es nicht so schnell geht. Damit will ich für eine eher helfende, statt leistungsfixierte Unternehmenskultur plädieren.

STB Web:
Was ja letztlich der Kanzlei als Gesamtheit wieder nützt...

Dr. Michaela Wieandt:
Ja, denn auf diese Weise entsteht eine gute, offene Unternehmenskultur, in der sich jeder zu sagen traut, wenn etwas vielleicht nicht so gut lief. Das bringt die Kanzlei langfristig weiter.

STB Web:
Lassen Sie uns noch einmal auf das Konzept des Mentors, der Mentorin zurück kommen, wer kann in einer kleineren Kanzlei diese Aufgabe übernehmen?

Dr. Michaela Wieandt:
Das muss nicht die Chefin selbst sein, sondern kann zum Beispiel ein Auszubildender im zweiten Lehrjahr sein oder eine andere Mitarbeiterin. Wichtig ist, dass das Vertrauensverhältnis stimmt und tatsächlich Zeit und Raum für diese - zusätzlichen - Aufgaben geschaffen wird. Das ist übrigens auch ein tolles Argument in der Rekrutierung, nach dem Motto: 'Bei uns wirst du mit persönlicher Unterstützung sehr viel lernen - für deinen Job bei uns, aber auch darüber hinaus.'


Zur Person

Stefan KaumeierDr. Michaela Wieandt (LinkedIn-Profil) ist seit 2011 Karriereberaterin und Managerin an der ESCP Business School und Head of Careers am Berliner Standort. Sie hat einen tiefen Einblick in den Arbeitsmarkt und kennt durch ihre Arbeit mit den Big Four auch die spezifischen Herausforderungen der Steuerberatungs- und Wirtschaftsprüfungsbranche.

Alexandra BubaDas Gespräch führte Alexandra Buba. Sie ist freie Journalistin und spezialisiert auf die Themen der Steuerberatungsbranche (www.medientext.com) und schreibt regelmäßig für die STB Web-Redaktion.

 


Hinweis: Beachten Sie bitte das Datum dieses Artikels. Er stammt vom 27.04.2023, sodass die Inhalte ggf. nicht mehr dem aktuellsten (Rechts-) Stand entsprechen.