23.08.2017 | Beratertipp

Verzicht auf künftigen Pflichtteilsanspruch - Rechtsprechungsänderung und die Folgen für die Praxis

Von Susanne Christ, Rechtsanwältin/Fachanwältin für Steuerrecht, Köln *

Der Bundesfinanzhof (BFH) zieht die Reißleine: Bei einem Pflichtteilsverzicht gegen Abfindungszahlung gelten in Abkehr zur bisherigen BFH-Rechtsprechung für den Verzicht vor dem Tod des Erblassers andere steuerliche Grundsätze als bei einem Pflichtteilsverzicht nach dem Tod des Erblassers.

Vor dem Hintergrund der geänderten Rechtsprechung sollte zukünftig sehr genau geprüft werden, wer die Abfindungszahlung übernimmt. (Foto: © pictworks - Fotolia.com)

Im deutschen Erbrecht haben Ehegatten, eingetragene Lebenspartner, Kinder und ggf. Kindeskinder sowie in bestimmten Fällen auch Eltern einen Pflichtteilsanspruch. D.h. diese Personen erhalten, auch wenn der Erblasser das nicht möchte, einen Anspruch auf Mindestbeteiligung am Nachlass und zwar in Höhe der Hälfte des gesetzlichen Erbteils. Zu Lebzeiten des Erblassers kann auf den zukünftig entstehenden Pflichtteilsanspruch verzichtet werden; ein solcher Verzicht bedarf jedoch wegen seiner Bedeutung der notariellen Beurkundung. In der Praxis wird oftmals ein solcher Pflichtteilsverzicht gegen Zahlung einer Abfindung erklärt. Ebenso wie beim Verzicht des noch nicht geltend gemachten Pflichtteilsanspruchs nach dem Tod des Erblassers löst auch der Pflichtteilsverzicht vor Eintritt des Todesfalls Erbschafts- bzw. Schenkungssteuer aus, wenn für den Verzicht eine Abfindung gezahlt wird.

Verzicht auf künftigen Pflichtteilsanspruch gegen Abfindung

Der BFH hat in Abkehr von seiner bisherigen Rechtsprechung entschieden, dass für die Besteuerung der Abfindungszahlung für den Verzicht auf einen künftig entstehenden Pflichtteilsanspruch nicht das Verhältnis "zukünftiger Erblasser - Verzichtender", sondern "Zahlender - Verzichtender" entscheidend ist (Urteil vom 10.05.2017, Az. II R 25/15).

Im Streitfall hatte die Mutter (zukünftige Erblasserin) einem ihrer vier Söhne (S1) bereits Schenkungen im Wert von mehr als 1 Mio Euro gemacht. Ca. drei Jahre später verzichtete dieser Sohn durch notariell beurkundeten Erbvertrag auf seinen künftig entstehenden Pflichtteilsanspruch gegen Zahlung von jeweils 150.000 EUR Abfindung durch seine drei Brüder S2, S3 und S4. Gegenüber dem Finanzamt beantragte S1 für beide Abfindungszahlungen die Besteuerung nach der Steuerklasse, die ihm gegenüber der künftigen Erblasserin, also seiner Mutter, zusteht, also Steuerklasse I.

Bisherige Rechtslage

Bislang hatte der BFH in solchen Fällen tatsächlich die Steuerklasse angewendet, die bei Zuwendungen durch den künftigen Erblasser zur Anwendung kommt. Der BFH begründete diese Haltung damit, den Pflichtteilsverzicht vor und nach dem Erbfall gleich behandeln zu wollen. Aber der jetzt vorliegende Streitfall zeigte dem BFH, dass eine Gleichbehandlung nicht möglich ist. Würde er im vorliegenden Fall die Steuerklasse I anwenden, würde bei S1 die Vorschenkung seiner Mutter nicht zu berücksichtigen sein; außerdem würden sich, da die Abfindung von den drei Brüdern geleistet würde, Vergünstigungen bei dem progressiven ansteigenden Steuersatz ergeben.

Anders ist es, wenn der Verzicht erst nach dem Tod des Erblassers erklärt wird: Nach dem Todesfall wird die Abfindungszahlung für den noch nicht geltend gemachten Pflichtteilsanspruch, auch wenn sie von den Erben geleistet wird, als Erwerb von der verstorbenen Person eingestuft, so dass Abfindungszahlungen, auch wenn sie von verschiedenen Miterben geleistet werden, zusammengerechnet werden. Auch sind Vorerwerbe durch die Erblasserin zu berücksichtigen. Anlässlich dieses Falls erkannte der BFH, dass bei Anwendung seiner bisherigen Rechtsprechung der Verzicht zu Lebzeiten des Erblassers zu einer erheblich geringeren Steuerlast führen kann als bei einem Verzicht nach dem Tod des Erblassers. Dies bewog ihn zu der Abkehr von seiner bisherigen Haltung.

Nunmehr gilt:

Wird gegen Abfindung auf einen künftig entstehenden Pflichtteilsanspruch zu Lebzeiten des Erblassers verzichtet, richtet sich die auf die Abfindungszahlung zu leistende Schenkungssteuer nach dem Verhältnis des Pflichtteilsberechtigten (hier: S1) und der Person, die die Abfindung zahlt (Mutter oder die drei Brüder). Zahlt der künftige Erblasser, im Beispielsfall die Mutter, die Abfindung, dann richtet sich die Besteuerung nach Steuerklasse 1. Vorerwerbe werden jedoch im Rahmen der Zehn-Jahres-Frist des § 14 ErbStG berücksichtigt. Wird die Abfindung von Geschwistern, wie im Beispielsfall von den drei Brüdern gezahlt, gilt Steuerklasse II und ein mit 20.000 EUR recht magerer persönliche Freibetrag sowie ein relativ hoher Steuersatz.

Im konkreten Fall war die Übernahme der Abfindungszahlung durch die Brüder wegen der Vorschenkung der Mutter an S1 steuerlich trotzdem günstiger (wenn auch nicht in dem Ausmass, wie von den Steuerpflichtigen erhofft), als wenn die Mutter die Abfindungssumme von insgesamt 450.000 EUR an S1 gezahlt hätte. Ärgerlich ist es trotzdem, dass das Verfahren bis zum BFH hochgetrieben wurde; denn die geänderte Rechtsprechung ist vor allem in Fällen, in denen keine Vorerwerbe stattgefunden haben und/oder die Abfindung nur von einer Person gezahlt werden soll, steuerlich teurer als bei Anwendung der bisherigen Rechtsprechung. 

Beispiel: Hätte S1 nur einen Bruder und von seiner Mutter noch keine Vorschenkungen erhalten, und würde der Bruder S1 eine Abfindung von 450.000 EUR zahlen, wären nur ein Mal der persönliche Freibetrag in Höhe von 20.000 EUR zu gewähren und der Steuersatz läge bei 20%. Nach bisheriger Rechtsprechung hätte für die Abfindung, auch wenn der Bruder diese übernommen hätte, der Freibetrag (400.000 EUR) und die Steuerklasse nach der Mutter gegolten, so dass Schenkungsteuer in Höhe von lediglich 3.500 EUR (7% auf 50.000 EUR) erhoben worden wäre.

Praxishinweis:

Vor dem Hintergrund der geänderten Rechtsprechung sollte zukünftig sehr genau geprüft werden, wer die Abfindungszahlung übernimmt. Oftmals werden diese ohnehin von den Eltern, also den künftigen Erblassern, übernommen. Teuer kann es werden, wenn diese keine Abfindung zahlen wollen/können und deshalb die Geschwister als zukünftige Nutznießer des Pflichtteilsverzichts die Abfindungszahlungen übernehmen. Denn Geschwistern wird lediglich ein Freibetrag von 20.000 EUR gewährt und der Eingangssteuersatz beträgt schon 15 % (statt 7 % bei Steuerklasse 1).

 

* Über die Autorin:

Susanne Christ ist Rechtsanwältin und Fachanwältin für Steuerrecht mit eigener Steuer- und Wirtschaftskanzlei in Köln. Sie ist langjährige Fachautorin der Haufe Mediengruppe und bei STB Web sowie Dozentin in den Bereichen Einkommen-, Umsatz- und Erbschaftssteuer. E-Mail: s.christ@netcologne.de

 

Hinweis: Beachten Sie bitte das Datum dieses Artikels. Er stammt vom 23.08.2017, sodass die Inhalte ggf. nicht mehr dem aktuellsten (Rechts-) Stand entsprechen.