27.01.2022 | Fachartikel/Urteilsbesprechung
Von RAin Susanne Christ, Fachanwältin für Steuerrecht
In der Praxis besteht häufig das Bedürfnis, zunächst eine erbende Person einzusetzen, zugleich aber festzulegen, dass das ererbte Vermögen bei Tod dieser Person auf eine andere Person, etwa Kinder oder andere nahe Verwandte, übergehen soll. Erbrechtlich bietet sich hier das Institut der Vor- und Nacherbschaft an. Erbschaftsteuerlich ist dieses jedoch problematisch.
Bei der Vorerbschaft erwirbt zunächst die erbende Person das vollständige Vermögen der verstorbenen Person, bekommt also beispielsweise das Eigentum einer zum Nachlass gehörenden Immobilie oder eines Unternehmens übertragen. Dieses Vermögen muss dann aber bei Eintritt eines bestimmten Ereignisses, häufig der Tod der vorerbenden Person, an die nacherbende Person herausgegeben werden. Vorerbende Personen können über das Vermögen also nur beschränkt verfügen; der Umfang der Verfügungsbefugnis richtet sich nach den Anordnungen im Testament (oder anderen letztwilligen Verfügung) und insbesondere auch danach, ob es sich um eine befreite oder nicht befreite Vorerbschaft handelt.
Trotz dieser erheblichen Einschränkungen, die bei einer Vorerbschaft gelten, gibt es gegenüber der Vollerbschaft bei einer Vorerbschaft erbschaftsteuerlich keine Vergünstigungen, wie der nachfolgende Überblick zeigt. Vielmehr wird das Vermögen in vollem Umfang in zwei Erbgängen der Erbschafsteuer unterworfen.
Erbschafsteuerlich wird die Vorerbschaft als Vollerwerb behandelt. D.h., die sich durch die Anordnung der Vorerbschaft ergebenden Beschränkungen werden erbschaftsteuerlich nicht berücksichtigt und rechtfertigen auch keinen Abschlag bei der Bewertung des Vermögens.
Auch die Nacherbschaft wird in vollem Umfang und ohne Bewertungsabschlag der Erbschaftsteuer unterworfen. Bei der Frage, welche Steuerklasse und welcher Steuersatz zur Anwendung kommt, ist grundsätzlich das persönliche Verhältnis zwischen der vorerbenden und nacherbenden Person entscheidend. Allerdings kann beantragt werden, dass die Steuerklasse und der Steuersatz zur Anwendung kommen, die gelten würden, wenn die nacherbende Person von der ursprünglich verstorbenen Person ("Erblasser") geerbt hätte. Erbt sie zugleich auch eigenes Vermögen der vorerbenden Person, kommt es zu einer Zusammenrechnung beider Vermögensmassen.
Beispiel: Der verwitwete Vater (V) von T ist mit Frau L liiert. In seinem Testamt setzt er L als nicht befreite Vorerbin und seine Tochter als Nacherbin ein. Der Nacherbfall soll mit dem Tod von L eintreten. Am 2.1.2010 verstirbt V, L beerbt ihn. Zum Vermögen des V zählt im Wesentlichen eine Immobilie, die 2010 einen Wert von 500.000 EUR hat. L wird in Steuerklasse III eingestuft, ihr persönlicher Freibetrag beträgt 20.000 EUR und ihr Steuersatz beträgt 30 %. Sie muss danach 480.000 EUR versteuern (vereinfachte Berechnung). Ein Abschlag für den Nachteil, dass sie lediglich Vorerbin ist, wird ihr nicht gewährt.
Am 30.11.2021 verstirbt L. Neben der zum Nacherbvermögen zählenden Immobilie (Wert am 30.11.2021: 900.000 EUR) hat L auch eigenes Barvermögen in Höhe von 300.000 EUR. L hat T als ihre Erbin eingesetzt. Somit hat der Gesamtnachlass (Eigenvermögen von L und Wert Nacherbe bei Eintritt des Nacherbfalls) einen Wert von 1.200.000 EUR; T wird zunächst in Steuerklasse III eingestuft und der Gesamtnachlass unterliegt einem Steuersatz von 30 % – nach Abzug des persönlichen Freibetrages von 20.000 EUR. Es ergibt sich folgende (vereinfachte) Berechnung:
Wert des Gesamtnachlasses | 1.200.000 EUR |
Abzüglich persönlicher Freibetrag | ./. 20.000 EUR |
Verbleiben | 1.180.000 EUR |
Steuerklasse III; Steuersatz 30 % = 354.000 EUR Erbschaftsteuer |
Allerdings hat T die Möglichkeit, für das Nacherbvermögen eine Besteuerung nach den persönlichen Verhältnissen zu ihrem Vater, dem ursprünglichen Erblasser, zu beantragen. Stellt sie diesen Antrag, wird für das Nacherbvermögen (Wert der Immobilie) ihr der nach ihrem Vater zustehende Freibetrag von 400.000 EUR und der Steuersatz nach Steuerklasse I gewährt. Bei der Ermittlung des Steuersatzes ist dabei allerdings der Gesamterwerb zu berücksichtigen. Vereinfacht wird wie folgt gerechnet:
Wert der Nacherbschaft im Zeitpunkt Eintritts des Nacherbfalls (2021): |
900.000 EUR |
Eintritts des Nacherbfalls (2021): | |
Abzüglich persönlicher Freibetrag bei Erwerb vom Vater | ./. 400.000 EUR |
Verbleiben | 500.000 EUR |
Berechnung zur Ermittlung des Steuersatz: | |
Wert des Nacherbvermögens nach Abzug persönlicher Freibetrag |
500.000 EUR |
Wert des übrigen Vermögens | 300.000 EUR |
Summe | 800.000 EUR |
Steuersatz Steuerklasse I bei 800.000 EUR: 19 % anzuwenden auf 500.000 EUR = 95.000 EUR |
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Berechnung Erbschaftsteuer auf übrigen, nicht zum Nacherbfall gehörende Vermögen: | |
Wert des übrigen Vermögens: | 300.000 EUR |
Persönliche Freibetrag (da schon bei Nacherbvermögen aufgebraucht): | 0 EUR |
Summe übriges Vermögen: | 300.000 EUR |
Zuzüglich Nacherbvermögen nach Abzug persönliche Freibetrag: | 500.000 EUR |
Summe: | 800.000 EUR |
Steuersatz bei Steuerklasse III auf 800.000 EUR: 30 % anzuwenden auf 300.000 EUR = 90.000 EUR |
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Erbschaftsteuer | 185.000 EUR |
Die Berechnung zeigt, dass es im Beispielsfall sinnvoll ist, den Antrag auf Besteuerung nach den persönlichen Verhältnissen zum Erblasser, dem Vater, zu stellen.
Das Beispiel zeigt aber auch, dass die Anordnung einer Vor- und Nacherbschaft keine Gestaltungsmöglichkeit darstellt, um Erbschafsteuer zu sparen. Denn der Fiskus gewährt trotz der rechtlichen Einschränkungen, der eine vorerbende Person ausgesetzt ist, keinen Abschlag bei der Erbschaftsteuer. Lediglich bei der Nacherbschaft wird eine Vergünstigung gewährt. Die nacherbende Person kann beantragen, dass ihr für das Nacherbvermögen der persönliche Freibetrag und Steuersatz gewährt wird, der ihr vom (ursprünglichen) Erblasser zustehen würde.
Angesichts dieser Rechtslage wundert es nicht, dass andere Gestaltungen gesucht werden, um einen doppelten Erbgang erbschafsteuerlich zu vermeiden.
Nachvermächtnis bringt erbschafsteuerlich keine Vorteile
Aber Achtung! Der Versuch, einen Teil des Vermögens im Erbfall zwar vermächtnisweise auf eine Person zu übertragen, zugleich aber anzuordnen, dass das Vermächtnis erst bei Tod einer anderen Person zu erfüllen ist, stellt da keine gute Idee dar, wie eine im Januar 2022 veröffentlichte Entscheidung des BFH vom 31.8.2021 (Az. II R 2/20) zeigt.
Im dortigen Streitfall hatte der Ehemann seine Frau als Erbin eingesetzt und vermächtnisweise angeordnet, dass eine zum Nachlass gehörende Immobilie sein Neffe erhalten soll. Wäre keine weitere Einschränkung getroffen worden, hätte der Neffe die Immobilie nach dem Tod des Onkels der Erbschafsteuer unterwerfen müssen, die Ehefrau hätte diesen Wert als Nachlassverbindlichkeit bei Ermittlung ihres erbschafsteuerpflichtigen Erwerbs abziehen können. Aber der Ehemann/Onkel wollte, dass seine Frau die Immobilie weiter nutzen kann und ordnete daher an, dass das Vermächtnis des Neffen erst bei Tod seiner Frau zu erfüllen ist. Damit handelt es sich um eine Art Nachvermächtnis, für das das Erbschafsteuerrecht anordnet, dass die Regelungen der Vor- und Nacherbschaft entsprechend anzuwenden sind (vgl. § 6 Abs. 4 ErbStG).
Im konkreten Fall hatte das zur Folge, dass die Ehefrau den Wert des Vermächtnisses nicht als Nachlassverbindlichkeit abziehen konnte. Im Gegenzug musste der Neffe bei Tod des Onkels zunächst das Vermächtnis auch nicht versteuern, wohl aber später bei Tod der Ehefrau/Tante. D.h. die Immobilie wurde bei dieser Gestaltung zweimal der Erbschafsteuer unterworfen.
Der Streitfall war sogar noch komplizierter: Die Tante hatte den Neffen überlebt, so dass die Kinder des Neffen nach dem Tod der Tante das Nachvermächtnis erhielten. Hier entschied der BFH, dass auch für sie die Steuerklasse und die persönlichen Freibeträge nach der Ehefrau/Tante gelten würden, und nicht nach ihrem Vater, den vorverstorbenen Neffen.
Soll durch eine erbrechtliche Gestaltung erreicht werden, dass zunächst eine Person einen Vermögensgegenstand nutzen kann, dieser aber nach dem Tod dieser Person einer anderen Person zustehen soll, kann gegebenenfalls, je nach Art des Vermögens, die Anordnung eines Nießbrauchsvermächtnis ins Auge gefasst werden. Bei einer solchen Gestaltung wird die Person, der das Vermögen endgültig zufließen soll, als Erbin eingesetzt und die Person, die versorgt werden soll, erhält vermächtnisweise den Nießbrauch an der Immobilie, welcher mit dem Tod der nießbrauchsberechtigten Person enden soll.
Beispiel: F und M, kinderlos, sind miteinander verheiratet. F ist Eigentümerin einer Immobilie, die die Eheleute als Eigenheim nutzen. F setzt ihre Nichte N als Erbin ein und wendet M ein lebenslängliches dingliches Nießbrauchsrecht an der Immobilie an. Wenn F verstirbt, kann die Nichte den kapitalisierten Wert des Nießbrauchs an der Immobilie als Nachlassverbindlichkeit von ihrem Erbe abziehen, und muss nur die Differenz der Erbschafsteuer unterwerfen; bei M wird lediglich der Kapitalwert des Nießbrauchsrecht der Erbschafsteuer unterworfen. In der Folge wird der gesamte Nachlass von F nur einmal versteuert und nicht, wie bei der Anordnung einer Vor- und Nacherbschaft zweimal. Weiterer Vorteil: Das Vermögen verteilt sich bei einer solchen Gestaltung auf zwei Personen.
Wem es entscheidend darauf ankommt, eine Gestaltung zu finden, die auch erbschafsteuerlich günstig ist, sollte auf die Anordnung einer Vor- und Nacherbschaft verzichten und andere Gestaltungen wählen. Bei Immobilien bietet sich etwa die vermächtnisweise Einräumung eines lebenslänglichen Nießbrauchsrechts an. Auf diese Weise kommt es nur zu einem Erbgang; außerdem wird der Kapitalwert des Nießbrauchsrechts als Nachlassverbindlichkeit anerkannt und mindert die Bemessungsgrundlage für die Erbschafsteuer bei der erbenden Person. Wichtig ist, bei der Suche nach erbschaftsteuerlich optimierten Gestaltungen die gewünschten erbrechtlichen/zivilrechtlichen Folgen der Testamentsgestaltung nicht aus den Augen zu verlieren. Beratungen dazu sind anspruchsvoll und spannend; erfordern aber auch gute Kenntnisse im Erbrecht und Erbschaftsteuerrecht!
* Über die Autorin:
Susanne Christ ist Rechtsanwältin und Fachanwältin für Steuerrecht mit eigener Steuer- und Wirtschaftskanzlei in Köln. Sie ist langjährige Fachautorin der Haufe Mediengruppe und bei STB Web sowie Dozentin in den Bereichen Einkommen-, Umsatz- und Erbschaftssteuer. Außerdem ist sie Mitautorin des Kommentars „Nachfolgebesteuerung“ (Schmid, Hrsg.), der 2019 im Nomos Verlag erschienen ist. E-Mail: s.christ@netcologne.de
Hinweis: Beachten Sie bitte das Datum dieses Artikels. Er stammt vom 27.01.2022, sodass die Inhalte ggf. nicht mehr dem aktuellsten (Rechts-) Stand entsprechen.