25.04.2012 | Interview

'Das Steuerabkommen ist eine billig erkaufte Absolution'

Das aktuelle Ergänzungsprotokoll zum deutsch-schweizerischen Steuerabkommen soll zu mehr Steuergerechtigkeit führen. Warum Deutschland mit diesem Vertrag stattdessen aber seine Souveränität über sein Steuersystem an die Schweiz abtritt, erläutert Volkswirtschaftsprofessor Manfred Gärtner aus St. Gallen im Interview mit STB Web.

Von Viola C. Didier *

Der Schweizer Staatssekretär Michael Ambühl (rechts) und der deutsche Botschafter Peter Gottwald unterzeichneten das Zusatzprotokoll zum Steuerabkommen am 5. April 2012 in Bern. (Foto: Fabrice Coffrini / AFP / gettyimages)

In einem aktuellen Änderungsprotokoll wurde das deutsch-schweizerische Steuerabkommen ergänzt. Schweizer Banken sollen ab 2013 auf bislang unversteuerte Vermögen von deutschen Steuerhinterziehern statt 19 bis 34 Prozent jetzt 21 bis 41 Prozent an Deutschland zahlen. Mit den geplanten Änderungen soll laut Bundesfinanzministerium mehr Gerechtigkeit hergestellt werden. Ob das Abkommen tatsächlich in Kraft treten wird, hängt jedoch von der Zustimmung der Länder ab.

Doch von den Ländern kommt Kritik. Der baden-württembergische Finanzminister Nils Schmid (SPD) zeigte sich in einem Interview mit der SonntagsZeitung skeptisch: „Nach dem jetzigen Stand wird das Steuerabkommen im deutschen Bundesrat keine Mehrheit finden. Dieses Abkommen wird scheitern.“ Wo die Unzulänglichkeiten des Abkommens liegen und weshalb das Schweizer Bankgeheimnis einen beachtlichen Kritikpunkt darstellt, erklärt nachfolgend Prof. Dr. Manfred Gärtner, der Volkswirtschaftslehre mit besonderer Berücksichtigung der Wirtschaftstheorie an der Universität St. Gallen lehrt. Seine aktuelle Studie „Das ökonomische Einmaleins des Bankgeheimnisses“ befasst sich mit ebendiesem Problem.

Interview mit Prof. Dr. Manfred Gärtner, St. Gallen:

STB Web:
Herr Prof. Gärtner, Sie bezeichnen das bilaterale Steuerabkommen in Ihrer aktuellen Studie als "Flickwerk mit absehbarem Verfallsdatum". Wieso?

Prof. Dr. Manfred Gärtner:

Prof. Dr. Manfred Gärtner

Viele Kritiker haben schon auf die verbleibenden Schlupflöcher hingewiesen und darauf, dass deutsche Steuerhinterziehern mehr als genügend Zeit gegeben wird, ihr Vermögen woanders ins Trockene zu bringen. Mir ist aber ein anderes Argument wichtiger: Deutschland tritt mit diesem Vertrag die Souveränität über sein Steuersystem an die Schweiz ab! Dieser Vorgang ist so ungeheuerlich, gleichzeitig aber auch so offensichtlich, dass es für mich völlig unverständlich ist, dass er in der bisherigen Diskussion überhaupt nicht thematisiert wird.

Der mit der Einführung der Abgeltungsteuer vorgenommene Systemwechsel von einer synthetischen, alle Einkommensarten gleich behandelnden Einkommensteuer zu einem dualen, die Kapitaleinkommen privilegierenden Ansatz wird zementiert. Die Rückführung von Kapitaleinkommen in die Progression der Einkommensteuersätze, ihr Einbezug in die Umverteilungsziele des Sozialstaats, bleibt verwehrt. Dies ist umso gravierender, als der Status quo der Abgeltungssteuer, der die Steuersätze auf Vermögenseinkommen deckelt, ja nicht das vom Souverän gewünschte Optimum ist, sondern eine zweitbeste Lösung. Er ist ein Abwehrdispositiv gegen die von den ausländischen Steueroasen gedeckte Steuerhinterziehung.

STB Web:
Worum geht es überhaupt in der ganzen Diskussion? Um die Besteuerung von Kapitalerträgen, die Besteuerung von Schwarzgeld oder die Verhinderung von Geldwäsche? Welche Lösungsansätze würden sich anbieten?

Prof. Dr. Manfred Gärtner:
Bezüglich Geldwäsche hat die Schweiz grosse Anstrengungen unternommen. Hier muss sie sich vor niemandem verstecken. Es geht in der Tat um die Besteuerung von Schwarzgeld und von Kapitalerträgen. Diese Steuern stehen den Heimatstaaten der Anleger zu. Das bestreitet auch die Regierung der Schweiz nicht. Und selbstverständlich muss es auch diesen Ländern allein überlassen sein, ihr Steuersystem nach den Wünschen und Bedürfnissen ihrer Bürger zu gestalten. Will man diese Selbstbestimmung in der Steuergesetzgebung nicht aufgeben, kann man nicht auf grenzüberschreitenden Informationsaustausch über Vermögen und Vermögenserträge in der einen oder anderen Form verzichten.

STB Web:
Was hält man eigentlich in der Schweiz von solchen Abkommen und wie unterstützt die Schweizer Regierung das Bestreben der anderen Staaten, Steuerbetrüger ausfindig zu machen?

Prof. Dr. Manfred Gärtner:
Bei Steuerbetrug leistet die Schweiz sehr wohl Amtshilfe. Ein einfacher Trick verhindert dies aber in der Praxis weitgehend. Die Schweiz unterscheidet nämlich zwischen Steuerhinterziehung und Steuerbetrug. Auf Steuerbetrug erkennt Sie nur bei aktiven Vergehen wie Urkundenfälschung. „Vergisst‘“ ein deutscher Milliardär lediglich Jahr für Jahr die Meldung 50 Millionen an Zinsen und Dividenden in seiner Steuererklärung, ist dies nur Steuerhinterziehung. Dies ist in der Schweiz kein Straftatbestand, und deshalb gibt es hier keine Amtshilfe. Dies wird nun mit dem paraphierten Steuerabkommen zwar aufgeweicht, gilt aber im Kern weiter.

STB Web:
SPD-Chef Gabriel kritisierte jüngst, dass auch das neue Steuerabkommen „Straftäter schützen" würde. Sehen Sie das ebenso kritisch oder macht die Opposition viel Wind um nichts?

Prof. Dr. Manfred Gärtner:
Herr Gabriel bezieht sich dabei sicher auf Vertragsartikel 17, in dem steht: „Beteiligte an einer Straftat …, die vor Abschluss dieses Vertrags begangen wurde, werden nicht verfolgt.“ Das Abkommen ist in der Tat eine äusserst billig erkaufte Absolution für die Sünden und enormen Schäden der Vergangenheit.

STB Web:
Das zwischen der Schweiz und Deutschland paraphierte bilaterale Steuerabkommen wird Ihrer Ansicht nach den deutschen Finanzämtern nicht annähernd die Steuereinnahmen zuführen, die ihnen zustehen. Wie kommen Sie darauf?

Prof. Dr. Manfred Gärtner:
Man muss sich nur das 2005 in Kraft getretenen Zinsbesteuerungsabkommen zwischen der Schweiz und der EU anschauen. Hieraus steht Deutschland seit 2009 eine Quellensteuer von 20% auf die Zinsen auf deutsche Schwarzgelder in der Schweiz zu – ein Satz der nicht weit unter demjenigen liegt, den das bilaterale Abkommen nun vorsieht. Überwiesen wurden aus der Schweiz für die Jahre 2009 und 2010 jeweils gut 100 Mio. Franken. Zur Erinnerung: Man schätzt, dass deutsche Steuerflüchtlinge 200 Mrd. Franken in der Schweiz verstecken!

Ähnlich dürftig wirkt die zugesagte Nachbesteuerung schwarzer Vermögen in der Schweiz. Steuersätze zwischen 21% und 41% auf die vermuteten 200 Mrd. Franken deutscher Vermögen versprechen hier Nachzahlungen im Bereich zwischen 42 und 82 Mrd. Franken. Die im Abkommen zugesagte Garantiesumme von gerade einmal 2 Mrd. Franken lässt ahnen, dass sich die Vertragspartner bei der Erwartung getroffen haben, dass ein Großteil dieser Vermögen die Zeit bis zum geplanten Inkrafttreten des Abkommens im Jahre 2013 nutzen wird, um sich einer Besteuerung durch Abwanderung in Trusts, Stiftungen, Lebensversicherungen, Schließfächer oder andere Steueroasen zu entziehen.

Aus all diesen Zahlen kann man somit nur schließen, dass dieser Vertrag den Status quo der Steuerhinterziehung nicht nachhaltig verändern oder gar lösen würde.

STB Web:
Die Schweiz hat stets das Bankgeheimnis zugesichert. Ihre Studie legt Schätzungen zur Auswirkung des schweizerischen Bankgeheimnisses auf das Ausland vor und gelangt zu dem Schluss, dass ausländischen Staaten durch das Bankgeheimnis seit Ende des 2. Weltkriegs rund 3 Billionen Euro an Steuereinnahmen allein auf Vermögenserträge entgangen sind. Wie kommen Sie zu diesen Zahlen?

Prof. Dr. Manfred Gärtner:
Für ein einzelnes Jahr sieht die Rechnung wie folgt aus: Man schätzt die ausländischen Privatvermögen in der Schweiz auf 2 Billionen Franken. Unterstellt man eine Rendite von 6 Prozent – der Durchschnitt der letzten Jahrzehnte lag deutlich höher – resultieren daraus jährliche Vermögenserträge von 120 Milliarden Franken. Bei einem Grenzsteuersatz von 50 Prozent fallen darauf 60 Milliarden Franken an Steuern an. Eine ähnliche Zahl ergibt sich, auf heutige Kaufkraft hochgerechnet, für jedes Jahr seit Ende des Krieges. Zählt man dies für über 60 Jahre zusammen, summieren sich die Steuerausfälle auf fast 4 Billionen Franken, also weit über 3 Billionen Euro.

STB Web:
Welche volkswirtschaftlichen Konsequenzen des Bankgeheimnisses sehen Sie für Deutschland?

Prof. Dr. Manfred Gärtner:
Steuern dienen der Finanzierung staatlicher Aufgaben, also von Leistungen, die der Markt nicht bereitstellen kann, oder deren Bereitstellung man dem Markt nicht (vollständig) überlassen will. Führt nun das Bankgeheimnis in Deutschland zu Steuerausfällen, können die von den Bürgern gewünschten staatlichen Aktivitäten nicht mehr wie geplant finanziert werden. Will die Regierung in dieser Situation strukturelle Haushaltsdefizite der öffentlichen Hand vermeiden, muss sie Einnahmen und Ausgaben wieder zusammenführen – durch Erhöhung der Steuersätze auf nicht so leicht zu verbergende Einkommen (sprich: Arbeitseinkommen) und die Reduktion staatlicher Aktivitäten unter das von den Bürgern ursprünglich gewünschte Maß.

Als Folge erhöhter Steuersätze sinken die verfügbaren Arbeitseinkommen, das Arbeitsangebot geht zurück, ebenso das Volkseinkommen, der Konsum, die Spartätigkeit und das Vermögen. Gleichzeitig wird Arbeit für Unternehmen teurer und deren Wettbewerbsfähigkeit leidet. Diese breitgefächerte Dämpfung der Wirtschaftstätigkeit führt im Zusammenspiel mit dem Abbau staatlicher Leistungen zu einem ausgeprägten Wohlfahrtsverlust.

STB Web:
Die USA konnten gegenüber der Schweiz schon vor Jahren durchsetzen, dass Konten von Kunden mit Wohnsitz und Steuerpflicht in den USA automatisch den US-Steuerbehörden zu melden sind. Zwar hat Deutschland inzwischen fast deckungsgleiche bilaterale Steuerabkommen ausgehandelt, jedoch ohne automatischen Informationsaustausch mit der Schweiz. Wieso kapituliert Deutschland vor dem Schweizer Bankengeheimnis?

Prof. Dr. Manfred Gärtner:
Diese Frage kann ich nicht beantworten. Natürlich kann man spekulieren, dass es letztlich um Klientelpolitik geht, dass man gar nicht will, dass hier zu viel in der Vergangenheit herumgestochert, zu viel Licht in diese Angelegenheit gebracht wird. Aber das ist eben nur Spekulation.

STB Web:
Im Rahmen Ihrer Studie führen Sie aus, und Sie haben dies vorhin auch erwähnt, dass das geplante Abkommen Deutschlands Souveränität über das eigene Steuersystem und deutsche Steuersätze untergraben würde. Wie begründen Sie diese Annahme und wie könnte Deutschland Ihrer Meinung nach seine Selbstbestimmung in der Steuergesetzgebung wiedererlangen?

Prof. Dr. Manfred Gärtner:
Wie schon gesagt: Deutschland hätte künftig z.B. nicht mehr die Freiheit, sich für eine progressive Besteuerung von Kapitaleinkommen zu entscheiden. Dies würde ja die individuelle Zurechenbarkeit der Kapitaleinkommen voraussetzen, auf die Deutschland mit diesem Abkommen explizit verzichtet. Will man die Selbstbestimmung in der Steuergesetzgebung nicht aufgeben, kann man nicht auf Informationsaustausch in der einen oder anderen Form verzichten, wie ihn ja die EU-Kommission und die OECD fordern.

STB Web:
Die Schweizer Behörden haben wegen des Ankaufs einer Daten-CD von Steuerhinterziehern Haftbefehle gegen drei deutsche Steuerfahnder erlassen. Wie beurteilen Sie dieses Vorgehen der Schweiz und sollte Deutschland ungeachtet dessen weiterhin angebotene Steuer-CDs ankaufen?

Prof. Dr. Manfred Gärtner:
Die Schweiz verteidigt das Bankgeheimnis mit einer ganzen Batterie von Gesetzen, welche das, was sich um die Entstehung und den Erwerb der Daten-CDs abgespielt hat, unter Strafe stellen. Von daher sind die ausgesprochenen Haftbefehle in der Tat nachvollziehbar. Sie sind vielleicht nicht konsequent. Denn die deutschen Steuerfahnder wollten sich ja nicht selbst bereichern, sondern handelten in Ausübung ihrer Aufgaben und finanziert durch die öffentliche Hand. Konsequenterweise müsste die Schweiz Haftbefehle gegen vorgesetzte Stellen bis hoch zum deutschen Finanzminister ausstellen. Die Haftbefehle sind wohl auch nicht ganz zu Ende gedacht. Man stelle sich nur vor: Deutsche Ermittler stellen sich freiwillig der Schweizer Justiz und reichen Gegenklage ein, wegen gewerbsmässiger Beihilfe zur Steuerhinterziehung im Widerholungsfall. Deutschland zieht den Musterprozess durch alle Instanzen, bis vor den Europäischen Gerichtshof, der die Geschichte des Bankgeheimnisses in allen Details aufrollt.

Lässt man juristische Überlegungen hinter sich, gewinnt die Angelegenheit den Charakter einer Realsatire. Da ermöglicht und schützt ein Land den Diebstahl von hunderten von Milliarden an Steuergeldern in seinem Nachbarland, über Jahrzehnte hinweg, und hält dabei selbst die Hand auf. Und wenn Beamte dieses Nachbarn eine sich ergebende Möglichkeit ergreifen, wenigsten Promilleanteile des entstandenen Schadens zurückzuerhalten, werden diese zu Kriminellen abgestempelt.

Man muss einfach zur Kenntnis nehmen, dass in der Frage, was hier Recht und was hier Unrecht ist, die Mehrheit der Deutschen und die Mehrheit der Schweizer nicht auf dem gleichen Planeten leben. Auf Einsicht und freiwillige Abkehr von liebgewonnenen und einträglichen Praktiken sollte in dieser Angelegenheit niemand zählen.

Die Studie "Das ökonomische Einmaleins des Bankgeheimnisses" von Prof. Dr. Manfred Gärtner(Wirtschaftsdienst 92, Heft 2, 2012) kann für 34,95 EUR bezogen werden.



* Autorin:

viola_didierViola C. Didier arbeitet in Stuttgart als freie Journalistin für Printmedien, Fachverlage, Online-Portale und Unternehmen. Ihre Spezialgebiete sind Recht und Steuern. Außerdem befasst sie sich mit den Themen Job und Karriere sowie Marketing, PR und Management. Viola C. Didier arbeitet darüber hinaus als freie Redakteurin und Fachlektorin. Die Juristin gründete 2003 das spezialisierte Redaktionsbüro RES JURA für Recht, Steuern und Wirtschaft.

 

(STB Web)



Hinweis: Beachten Sie bitte das Datum dieses Artikels. Er stammt vom 25.04.2012, sodass die Inhalte ggf. nicht mehr dem aktuellsten (Rechts-) Stand entsprechen.