21.09.2011 |

Praxisbewertung ist eine anspruchsvolle Aufgabe!

Prof. Dr. Peter Knief, Köln *

Jeder Steuerberater schuldet seinen Partnern, Nachfolgern und seiner Familie eine faire Bewertung. Mit seinen Urteilen vom 2.2.2011 und 9.2.2011 hat der Bundesgerichtshof (BGH) neue Bewertungsmaßstäbe gesetzt, die im folgenden kritisch diskutiert und anhand konkreter Berechnungsbeispiele veranschaulicht werden. Praktisch bedeuten sie das Aus der Umsatzwertverfahren bei allen freien Berufen.

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Mit Urteil vom 9. Februar 2011 hat der BGH klargestellt, dass der Goodwill einer Arztpraxis grundsätzlich in den Zugewinnausgleich im Falle einer Scheidung einzubeziehen ist. Bei der Bemessung eines solchen Goodwill sei allerdings ein Unternehmerlohn abzusetzen, der sich an den individuellen Verhältnissen des Inhabers orientiert (Az. XII ZR 40/09, STB Web berichtete). Im Familienrecht muss eine Bewertung nunmehr also nach der so genannten „modifizierten Ertragswertmethode“ erfolgen. Eine Bemessung des Wertes allein nach dem Umsatz verbietet sich laut BGH schon deswegen, weil der Umsatz alleine keine sicheren Rückschlüsse auf die Gewinnerwartung und damit auch nicht auf den am Stichtag realisierbaren Wert zulasse. Die jahrelang angewandten Umsatzvervielfältiger sind also rechtlich im „Aus“!

Der Unternehmerlohn im Sinne des BGH hat insbesondere der freiberuflichen Erfahrung und der unternehmerischen Verantwortung Rechnung zu tragen sowie die Kosten einer angemessenen sozialen Absicherung zu berücksichtigen. Von dem ermittelten Wert der Praxis sind unabhängig von einer Veräußerungsabsicht latente Steuern in Abzug zu bringen. Diese sind nach den tatsächlichen und rechtlichen Verhältnissen zu bemessen, die am Stichtag vorlagen.


Zur Ermittlung des individuellen Unternehmerlohns eines Steuerberaters
 

Prof. Dr. Peter Knief

Dass für Zwecke der Praxisbewertung, gleich welcher Methode, ein individueller Unternehmerlohn zu berücksichtigen sei, hat der BGH schon in einem früheren Urteil vom 6.2.2008 (Az. (Az. XII ZR 45/06, vgl. dazu einen früheren Beitrag des Autors bei STB Web) mehr als deutlich verlangt. Wie dieser speziell bei Steuerberatern ermittelt werden kann, hat er mit Urteil vom 2.2.2011 (Az. XII ZR 185/08) gezeigt. Dabei geht er zunächst von dem Gehalt eines erfahrenen Steuerberaters mit zehn Jahren Erfahrung aus. Für die Selbstständigkeit hat er im Scheidungsfall einen Zuschlag von 20 % auf das Bruttoeinkommen für die primäre Altersversorgung und bis zu 4 % für eine zusätzliche Altersversorgung angesetzt.

Praktisch gesehen glaubt der BGH, die Hinweise der Bundesärztekammer von 2008 wären beispielhaft für die Staffelung des kalkulatorischen Unternehmerlohnes nach Umsatz; diese Frage ist schwer zu beantworten; deutlich wird das am Beispiel einer kleinen StB-Praxis mit zum Beispiel 120.000 Euro Umsatz und einer Vergleichspraxis mit 380.000 Euro Umsatz (bundesdurchschnittlicher Umsatz 2009 für Steuerberater). Es dürfte mehr als verständlich sein, dass die hier zitierte kleine Praxis mit einem geringeren Unternehmerlohn geführt werden kann als die größere Durchschnittspraxis; würde man den Unternehmerlohn bei einem Umsatz von 380.000 Euro mit 120.000 Euro ermitteln können, dann wäre linear betrachtet der Unternehmerlohn für die kleine Praxis 12/38-tel, das sind 38.000 Euro. Nur diese quotale (so auch der BGH) Betrachtung gewährleistet richtig, dass auch die kleine Praxis einen Goodwill besitzt:

 
Größere Durchschnittspraxis
Kleine Praxis
Umsatzschnitt der letzten 3 Jahre
380.000
120.000
Kostenschnitt  
228.000
60.000
Gewinn
152.000
60.000
 

Exkurs: Unternehmerlohnermittlung

Gehalt eines angest. StB mit 10 Jahren Berufserfahrung                        

90.000

Sozialversicherungsbeiträge
7.000

Zwischensumme
97.000

Primäre Altersversorgung (20%)
19.400

Zwischensumme
116.400

Zusätzliche Altersversorgung
3.600

Summe
120.000
12/38 davon
 

Anteiliger kalk. StB-Lohn
120.000
38.000
Übergewinn
32.000
22.000
 

Basiszins z.B.
4,0 %
4,0 %
Risikozuschläge (beispielhaft)
4,0 %
5,0 %
Zusammen, vor Steuerbelastung
8,0 %
9,0 %
 

Ertragsteuer: "Fünftel-Regelung" gem. § 34 Abs. 1 EStG, hier pauschal mit 25%
2,0 %
2,25 %
Kapitalisierungszins
6,0 %
6,75 %
Nachhaltig bis an das Ende der Ehe (s.u.)
3 Jahre
2 Jahre
Rentenbarwertfaktor
2,8334
1,936
Familienrechtlicher Ertragswert
90.669
45.592
Im Verhältnis zum Umsatz
23,9 %
38,0 %


Dieses Ergebnis mag überraschen, aber es ist die konsequente Darstellung des BGH. Mit den Umsatzvervielfältigern hat das zumindest im Familienrecht nichts mehr zu tun. Neu ist die Betrachtung ausschliesslich bis zum Bewertungsstichtag mit der Ermittlung der nachhaltigen vergangenen Ertragskraft, die Annahme eines Nachhaltigkeitszeitraumes bis zum Ende der Ehezeit sowie die Anwendung der "Fünftelregelung" gem. § 34 Abs.1 EStG.

Im Familienrecht als lex specialis ist also eine modifizierte Praxisbewertung wie dargestellt begründbar. Damit wird die Bewertung auch etwas „leichter“ durchführbar.

Bewertung bei Kauf, Anteilsübertragung, Schenkung, Vererbung u.a.

Für alle anderen Anlässe der Bewertung gilt - so der BGH seit langem - der IdW S1. Nicht gelöst sind nach wie vor die individuell zu diskutierenden Fragen wie die angemessene Festsetzung der kalkulatorischen Steuerberaterlöhne in Sozietäten untereinander, die Ermittlung eines gewichteten oder durchschnittlichen Steuersatzes in Sozietäten, die Diskussion des richtigen Zinssatzes und der größenordnungsspezifischen Risiken sowie natürlich die Fortführungsdauer, über die jeder der Partner einer Sozietät altersentsprechend eine andere Auffassung hat.

Dass es ratsam sein kann, Sozietäten jährlich zu bewerten, die Methode gesellschaftsrechtlich jeweils für ein Jahr, maximal für 5 Jahre, festzuschreiben, zur Bilanzierung überzugehen und vieles andere, muss selbstverständlich werden. Moderne Praxisbewertungsgutachten können mit Hilfe maschineller Berechnungsmodelle (Excel) mehrere „lästige Fliegen“ mit einem Schlag erledigen: Bewertung nach IdW S1, Bewertung nach §§ 199 ff. BewG,  Ermittlung der Substanz mit dem Formular zu §§ 95-109 BewG sowie Bewertung auch für das Ertagsteuerrecht.

Praxisbewertung wird eine anspruchsvolle Aufgabe! Jeder Steuerberater schuldet seinen Partnern, Nachfolgern und seiner Familie eine faire Bewertung.


* Hinweise zum Autor

Professor Dr. Peter Knief ist heute Unternehmensberater und war Professor für betriebliche Steuerlehre an der EUFH (Europäische Fachhochschule Rhein/Erft) in Brühl. Darüber hinaus ist er Entwickler und Herausgeber zahlreicher betriebswirtschaftlicher Excel-Tools für die Beratungspraxis. Bis 2006 war er Autor des Tabellenjahrbuchs für StB und WP.

Homepage: www.peter-knief.de
E-Mail-Kontakt: dr@peter-knief.de




(STB Web)



Hinweis: Beachten Sie bitte das Datum dieses Artikels. Er stammt vom 21.09.2011, sodass die Inhalte ggf. nicht mehr dem aktuellsten (Rechts-) Stand entsprechen.