29.06.2023 | Fachartikel

Zinseinnahmen aus Privatdarlehen unterliegen nicht immer der Abgeltungsteuer

Otto-Schmidt-Verlag

Von RAin Susanne Christ, Fachanwältin für Steuerrecht

Grundsätzlich unterliegen auch Zinseinnahmen aus Privatdarlehen als Einkünfte aus Kapitalvermögen der Abgeltungsteuer. Vorteilhaft daran ist, dass stets ein proportionaler Steuersatz von 25 % zuzüglich Solidaritätszuschlag und ggf. auch zuzüglich Kirchensteuer auf die Zinseinnahmen erhoben werden. Allerdings gilt die Abgeltungssteuer nicht ausnahmslos: stehen sich die Parteien des Darlehensvertrags nahe, kann es zur Anwendung des progressiv verlaufenden Normalsteuersatzes kommen.

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Geregelt ist dies in § 32 d Abs. 2 EStG. Durch die Schaffung von typisierten Tatbeständen sollen Gestaltungen der Normalbesteuerung unterworfen werden, die typischerweise als Missbrauch der Abgeltungsteuer einzustufen sind. Nach der Regelung des § 32 d Abs. 2 Ziff. 1 EStG soll die Abgeltungssteuer nicht gelten, wenn die Parteien des Darlehensvertrages einander nahestehen und die Zinsaufwendungen auf der Schuldner*innenseite Werbungskosten bzw. Betriebsausgaben darstellen.

Beispiel 1: Die 40jährige Tochter T, Professorin an der Universität Freiburg, erhält von ihren konfessionslosen Eltern ein Darlehen von 300.000 EUR für den Kauf einer Eigentumswohnung. Den Sparerfreibetrag haben die Eltern bereits im Zusammenhang mit anderen Einkünften aus Kapitalvermögen verbraucht. Hier stellt sich die Frage, ob die Zinseinnahmen der Abgeltungsteuer von 25 % zzgl. 5,5 % Solidaritätszuschlag unterliegen, oder ob sie mit dem „Normal“-Steuersatz, der bei den Eltern bei 42 % (Spitzensteuersatz) liegt, zu unterwerfen sind.

Zinsen auf 300.000 EUR bei Zinssatz von 3,5 % = 10.500,00 Euro

  ESt

SolZ

Summe

Steuersatz 42 %

4.410,00 € 242,55 € 4.652,55 €

Abgeltungssteuer 25 %

2.625,00 € 144,38 € 2.769,38 €

Differenz zwischen Spitzensteuersatz (42 %) und Abgeltungssteuer (ohne Kirchensteuer)

1.883,17 €

Können die Zinsaufwendungen nicht als Werbungskosten oder Betriebsausgaben abgezogen werden, unterliegen die Zinseinnahmen stets der Abgeltungsteuer. Hintergrund ist, dass es in diesen Fällen nicht zu einer Einkommensverlagerung kommt, so dass ein Missbrauchstatbestand nicht vorliegen kann.

Zurück zum Beispiel 1: Handelt es sich im Beispielsfall um den Erwerb einer von T privat genutzten Eigentumswohnung, kann T die Zinsaufwendungen nicht als Werbungskosten/Betriebsausgaben abziehen, so dass auf die Zinseinnahmen ihrer Eltern die Abgeltungssteuer anzuwenden ist. Anders ist es, wenn die von T erworbene Eigentumswohnung vermietet ist und T im Zusammenhang mit den von ihr erzielten Vermietungseinkünften die Zinszahlungen an ihre Eltern als Werbungskosten geltend macht. In diesem Fall hängt die Frage, ob die Zinseinnahmen der Eltern der Abgeltungsteuer zu unterwerfen sind, davon ab, ob die Eltern und ihre Tochter „einander nahestehende Personen“ im Sinne des § 32 d Abs. 2 Ziff. 1 EStG sind.

Wer sind "nahestehende" Personen?

Wird einer nahestehenden Person ein Darlehen gewährt, gilt für die daraus erzielten Zinseinnahmen nicht die Abgeltungssteuer, wenn die Zinsausgaben bei der Darlehensnehmer*in Werbungskosten bzw. Betriebsausgaben darstellen. Unklar ist, wer im Sinne des § 32 d Abs. 1 Ziff. 1 EStG einander nahesteht. Nach Auffassung des BFH ist es unzulässig, zur Auslegung dieses Tatbestandsmerkmals auf den Angehörigenbegriff des § 15 AO zurückzugreifen. Denn das hätte zur Folge, dass Familienangehörigen stets die in der Regel günstigere Abgeltungssteuer verwehrt bliebe. Das würde gegen den grundrechtlich geschützten Bereich der Ehe und Familie im Sinne des Art. 6 GG verstoßen und würde auch der Gesetzesbegründung widersprechen, die für das einander Nahestehen ein Beherrschungsverhältnis voraussetzt. Ein bloßes persönliches Näheverhältnis, wie dies bei Familienangehörigen der Fall ist, reicht dazu gerade nicht aus. Notwendig ist vielmehr, dass eine der am Darlehensvertrag beteiligten Partei auf die andere Partei einen beherrschenden Einfluss ausüben kann oder eine dritte Person auf beide Parteien einen beherrschenden Einfluss ausüben kann. Von einer Beherrschung i. d. S. ist nach Ansicht des BFH auszugehen, wenn der beherrschten Person aufgrund eines absoluten Abhängigkeitsverhältnisses im Wesentlichen kein eigener Entscheidungsspielraum verbleibt. Die Finanzverwaltung hat sich dieser einschränkenden Auslegung angeschlossen. Sie ist der Auffassung, dass das erforderliche Abhängigkeitsverhältnis wirtschaftlicher oder persönlicher Natur sein kann, vgl. BMF, 9.12.2014, IV C 1 - S 2252/08/10004 :015.

Leider halten sich sowohl der BFH als auch die Finanzverwaltung mit einer weiteren Konkretisierung des Begriffs „einander nahestehend“ im Sinne des § 32 d Abs. 2 Ziff. 1 EStG zurück. Ein „nahestehendes Verhältnis“ im Sinne des § 32 d Abs. 2 Ziff. 1 EStG wird möglicherweise dann angenommen werden, wenn die Person, der das Darlehen gewährt wird, aufgrund ihrer wirtschaftlichen Verhältnisse kein Darlehen von fremden Personen, insbesondere einem Bankinstitut gewährt würde.

Wann besteht Anspruch auf Anwendung der Abgeltungsbesteuerung?

Besonders hoch ist das Risiko, als einander nahestehend im Sinne dieser Regelung eingestuft zu werden, bei minderjährigen Kindern, die über keine eigenen Einkünfte verfügen und von ihren Eltern ein Darlehen zur Finanzierung einer fremdvermieteten Eigentumswohnung erhalten. Handelt es sich im Gegensatz dazu aber um ein volljähriges Kind, das wirtschaftlich von seinen Eltern unabhängig ist, liegt in der Regel kein Näheverhältnis im Sinne des § 32 d Abs. 2 Ziff. 1 EStG vor.

Praxishinweis: Kann nachgewiesen werden, dass das Darlehen zu vergleichbaren Konditionen auch durch eine Bankinstitut gewährt worden wäre, spricht vieles gegen ein Näheverhältnis im Sinne des § 32 d Abs. 2 Ziff. 1 EStG. Deshalb sollte in Zweifelsfällen eine entsprechende Zusage des Darlehens durch ein Bankinstitut vorgelegt werden. Alternativ, allerdings nicht kostenfrei, kann auch eine verbindliche Auskunft durch die Finanzverwaltung eingeholt werden. Die Privatdarlehen sollten zudem stets auch dem Fremdvergleich standhalten.

Fortsetzung Beispiel 1: Da es sich bei T um eine Person handelt, die wirtschaftlich unabhängig von ihren Eltern ist, stehen sich die Parteien des Darlehensvertrages nicht nahe im Sinne des § 32 d Abs. 2 Ziff. 1 EStG. Somit haben die Eltern Anspruch auf Anwendung der Abgeltungsbesteuerung.

Anders wäre es, wenn das Darlehen einer Person gewährt würde, die von der darlehensgewährenden Person wirtschaftlich abhängig ist.

Beispiel 2: A und B sind miteinander verheiratet, B ist schwerbehindert und verfügt deshalb über keine eigenen Einkünfte. A ist mit einem Jahresbruttogehalt von 150.000 EUR angestellt tätig. A gewährt B ein Darlehen zum Kauf einer fremdvermieteten Eigentumswohnung; die Zinszahlungen werden von B im Rahmen der Einkünfte aus Vermietung als Werbungskosten geltend gemacht, die Zinseinnahmen von A sollen, so der Antrag in der die Zusammenveranlagung beantragenden Einkommensteuererklärung, der Abgeltungssteuer unterworfen werden. In diesem Fall spricht sehr viel für ein Näheverhältnis im Sinne des § 32 d Abs. 2 Ziff. 1 EStG da B wirtschaftlich absolut abhängig von A ist. 

Hinweise für die Gestaltungsberatung 

In der Gestaltungsberatung sollte darauf hingewiesen werden, dass die Finanzverwaltung die Auffassung vertreten kann, dass bei wirtschaftlich abhängigen Personen, bei denen das Darlehen von der wirtschaftlich beherrschenden Person gewährt wird, die Abgeltungsteuer nicht zu gewähren sei. Besonders hoch ist dieses Risiko bei zusammenveranlagten Eheleuten oder eingetragenen Lebenspartner*innen. Denn der sich aus einer solchen Gestaltung ergebende Belastungsvorteil (voller Werbungskostenabzug der Zinszahlungen und Besteuerung der Zinseinnahmen mit der geringeren Abgeltungsteuer) ist innerhalb derselben Einkommensteuerveranlagung gut erkennbar. Handelt es sich bei den Vertragsparteien nicht um Eheleute /eingetragene Lebenspartner*innen, drängt sich das Vorliegen eines Belastungsvorteils nicht so deutlich auf. Gleichwohl: auch in diesen Fällen sollte die Mandantschaft darauf hingewiesen werden, dass nicht in jedem Fall Zinseinnahmen der Abgeltungssteuer unterliegen.

Praxistipp: Werden der wirtschaftlich abhängigen Person zuvor Vermögenswerte, etwa eine Immobilie, geschenkt, aus denen eigene Einkünfte erzielt werden und wird erst im zweiten Schritt ein Darlehen gewährt, sprechen die dann bestehenden eigenen Einkünfte gegen ein Näheverhältnis im Sinne des § 32 d Abs. 2 Ziff. 1 EStG. Gerade im Zusammenhang mit Regelungen zur vorweggenommenen Erbfolge ist die Gewährung eines Darlehens, etwa zum Erwerb einer sich noch im Vermögen der Eltern befindlichen Immobilie, sinnvoll, wenn bereits die schenkungsteuerlichen Freibeträge ausgeschöpft sind.

Zusammenfassung

Nicht immer unterliegen Zinseineinnahmen einkommensteuerlich der Abgeltungssteuer, wie die Regelung des § 32 d Abs. 2 Ziff. 1 EStG zeigt. Die Abgeltungsteuer ist nicht anzuwenden, wenn die Zinszahlungen, die mit den Zinseinnahmen im Zusammenhang stehen, als Werbungskosten oder Betriebsausgaben abziehbar sind und (!) die Parteien sich im Sinne des § 32 d Abs. 2 Ziff. 1 EStG einander nahestehen. Mit einander nahestehend ist jedoch kein Angehörigenverhältnis im Sinne des § 15 AO gemeint (eine solche Auslegung wäre auch verfassungswirdrig, so der BFH), sondern zwischen den Parteien muss ein Beherrschungsverhältis bestehen, oder eine dritte Person muss die Parteien beherrschen. Das ist beispielsweise der Fall, wenn eine Partei wirtschaftlich von der anderen Partei beherrscht wird. Die gute Nachricht: liegt kein Beherrschungsverhältnis vor, können auch nahe Angehörige sich Darlehen gewähren, ohne die Vorteile der Abgeltungssteuer zu verlieren – vorausgesetzt, das Darlehen hält dem Fremdvergleich stand.

Hinweis: Auch bei Darlehen an eine Kapitalgesellschaft durch an der Gesellschaft beteiligte Personen kann es zur Ablehnung der Abgeltungssteuer kommen, vgl. § 32 d Abs. 2 Ziff. 2 EStG. Voraussetzung ist eine Beteiligungsquote von mindestens 10 %.

* Über die Autorin:

Susanne ChristSusanne Christ ist Rechtsanwältin und Fachanwältin für Steuerrecht mit eigener Steuer- und Wirtschaftskanzlei in Köln. Seit Juni 2023 ist sie Sprecherin des Erbrechtsausschusses beim Kölner Anwaltsverein. Daneben ist sie langjährige Fachautorin der Haufe Mediengruppe und bei STB Web sowie Dozentin in den Bereichen Einkommen-, Umsatz- und Erbschaftssteuer. Außerdem ist sie Mitautorin des Kommentars „Nachfolgebesteuerung“ (Schmid, Hrsg.), der 2019 im Nomos Verlag erschienen ist. E-Mail: s.christ@netcologne.de

Hinweis: Beachten Sie bitte das Datum dieses Artikels. Er stammt vom 29.06.2023, sodass die Inhalte ggf. nicht mehr dem aktuellsten (Rechts-) Stand entsprechen.