03.03.2022 | Interview
Von Alexandra Buba / Interview mit RA Dennis Hillemann, Fieldfisher
Die Meldungen über unrechtmäßig beantragte Coronahilfen häufen sich, die Schätzungen zur Höhe der Rückforderungen variieren. Wie sieht es in den Praxen vor Ort aus? Was droht konkret? Den Fachanwalt für Verwaltungsrecht und Partner bei der Kanzlei Fieldfisher in Hamburg, Dennis Hillemann, erreichen täglich Anrufe zum Thema. Mit seiner Kollegin Rechtsanwältin Tanja Ehls hat er ein Webinar für Steuerberater*innen gehalten: "Rückforderung von Corona-Hilfen – was müssen Steuerberater jetzt wissen?", dessen Inhalt wir kostenfrei zur Verfügung stellen.
STB Web:
Herr RA Hillmann, das mediale Bild zum Ausmaß der Coronahilfen-Rückforderungen ist noch unklar, Wirtschaftsminister Robert Habeck sprach von 300 Millionen Euro, es war aber auch schon von Milliardensummen die Rede. Wie viele Mandant*innen sind tatsächlich betroffen?
RA Dennis Hillemann:
Das lässt sich zum jetzigen Zeitpunkt nicht beziffern, da es noch keine zentrale Statistik gibt. In unserer Kanzlei sehen wir, dass die Zahl der Anfragen deutlich steigt, sowohl für den Bereich der Soforthilfen als auch für die November- und Dezemberhilfeprogramme. Gleichzeitig ist klar, dass wir erst am Anfang stehen, da die Überbrückungshilfen noch nicht betroffen sind, die Schlussrechnungen erst bis zum 31.12.22 gestellt werden müssen.
STB Web:
Die Differenzierung nach den einzelnen Hilfsprogrammen ist nicht nur aufgrund des zeitlichen Aspekts von Bedeutung, sondern auch weil die Sachverhalte ganz andere sind. Können Sie das erklären?
RA Dennis Hillemann:
Tatsächlich ist die Beratung sehr kurz, wenn es um die Soforthilfe geht. Die war ausschließlich zur Überbrückung von Liquiditätsengpässen vorgesehen, und die einzige Frage lautet: Hatten Sie Bedarf, weil sie ansonsten Zahlungsverpflichtungen nicht hätten nachkommen können? Falls Sie Rücklagen hatten, bestand kein Anspruch auf Soforthilfe. Das war politisch so gewollt. Komplizierter wir es bei den Überbrückungshilfen und den November- und Dezemberhilfen. Hier wiesen die FAQ der Regierenden viele Ungereimtheiten auf, vor allem bei verbundenen Unternehmen und auch bereits bei der Frage, was überhaupt ein Umsatz ist, der zur Berechnung des Basiswerts hinzugezogen werden kann.
Häufig wurden Umsätze gemeldet, die von der Bemessungsgrundlage ausgeschlossen waren.
STB Web:
Gibt es dafür ein Beispiel?
RA Dennis Hillemann:
Häufig wurden Umsätze gemeldet, die von der Bemessungsgrundlage ausgeschlossen waren. Auf breiter Front ist das im Messebau passiert, da hier oftmals Rechnungen an ausländische Kundschaft ohne Umsatzsteuer gestellt werden, obwohl die Leistung im Inland erbracht wird. Steuerlich ist das wohl in Ordnung. Von den Hilfen waren solche Umsätze aber nicht erfasst, weil nur Umsätze im Inland berücksichtigt wurden. Ein weiteres typisches Problem bei den Überbrückungshilfen ist, dass dafür Umsatzausfälle für die Zukunft prognostiziert werden mussten. Häufig kam es dann gar nicht so schlimm, das Unternehmen erwirtschaftete mehr als gedacht und rutschte plötzlich unter die Schwelle, bis zu der überhaupt ein Anspruch bestand.
STB Web:
Wie poppen solche Sachverhalte jetzt hoch?
RA Dennis Hillemann:
Manchmal sind es die Steuerberater*innen, die von sich aus sagen, da kann irgendetwas nicht gepasst haben. Weitaus häufiger ist es aber so, dass die Finanzbehörden aktiv werden, weil die Beträge in der Umsatzsteuererklärung vom zuvor für den Hilfsantrag erklärten Umsatz abweichen.
STB Web:
Ist das nicht ein Problem, dem sich vorher begegnen lässt? Anders gefragt, stellen nicht bereits die Steuerprogramme vor Abgabe der Erklärung automatisch diesen Abgleich an?
RA Dennis Hillemann:
Das ist eine verblüffend gute Frage, die ich aber leider nicht beantworten kann, da ich keinen Einblick in die Steuersoftware habe. In der Praxis sind dies jedenfalls die häufigsten Fälle. Darüber hinaus haben auch etliche Branchen für die November- bzw. Dezemberhilfe einen Antrag gestellt, die nur indirekt von den Schließungen betroffen waren - etwa Sportartikeleinzelhändler oder Obsthändler, die an Büros liefern. Dadurch, dass Fitnessstudios geschlossen und viele im Homeoffice gearbeitet haben, blieben für sie zwar die Umsätze aus. Antragsberechtigt waren sie aber gemäß der FAQs für die November- bzw. Dezemberhilfe nicht, obwohl sie auch unter den Schließungsanordnungen litten.
Auch wir saßen hier nächtelang über den FAQs.
STB Web:
Sind es überwiegend die Spezifikationen und fortwährenden Anpassungen der FAQs oder gibt es auch andere Aspekte, die für die Vielzahl der falschen Auszahlungen verantwortlich sind?
RA Dennis Hillemann:
Das Gros der Fälle geht wahrscheinlich eher auf das Konto des Zeitdrucks, der hohen Emotionalität und der Komplexität der Materie. Auch wir saßen hier nächtelang über den FAQs und haben beispielsweise diskutiert, was nun als "verbundenes Unternehmen" gilt und was nicht.
Manchmal wundere ich mich aber auch über die Sorglosigkeit der Leute: Da wurde zum Beispiel Geld direkt ins Ausland überwiesen oder für die Rückzahlung von Gesellschaftsdarlehen verwendet. Beides kann eine Fehlverwendung der Mittel darstellen und ist deshalb rechtswidrig. Ich habe auch Leute gesehen, die für so etwas in U-Haft gegangen sind, allerdings waren die Hilfsbeträge da sechs- oder siebenstellig.
STB Web:
Wie schätzen Sie die Rolle der Steuerberater*innen ein?
RA Dennis Hillemann:
Die ganz überwiegende Anzahl hat redlich gearbeitet, obwohl sie wirklich im Feuer stand. Vereinzelt erfahre ich, dass Rückfragen seitens der Finanzverwaltung nicht beantwortet wurden oder auch die Beratung darüber unterblieben ist, was passiert, wenn sich die Umsätze doch besser entwickeln als gedacht.
STB Web:
Was raten Sie Berater*innen, deren Mandantschaft jetzt mit Rückzahlungsforderungen konfrontiert sind?
RA Dennis Hillemann:
Zunächst einmal: ruhig bleiben! Ich habe derzeit überhaupt nicht den Eindruck, dass Finanzverwaltung oder Staatsanwaltschaft daran interessiert sind, redliche Berater*innen oder ihre Mandant*innen wegen Subventionsbetrugs zu belangen. Im ersten Schritt sollten die Beteiligten zunächst den Sachverhalt gründlich aufklären. Dabei geht es auch darum, sich ehrlich zu machen. Denn es wird Fälle geben, in denen etwas nicht stimmt. Es ist daher immer sinnvoll, der Schlussrechnung ein begleitendes Schreiben hinzuzufügen, das den Sachverhalt erklärt. Damit ist es kein Betrug mehr. Und natürlich gilt der wichtige Rat: Im Zweifelsfall sofort einen Anwalt einschalten.
Die Aufzeichnung eines kostenlosen Webinars von RA Dennis Hillemann und RAin Tanja Ehls finden Sie untenstehend verlinkt als Youtube-Video und als PDF-Download.
Es beinhaltet die folgenden Aspekte:
Informationen zur Person:
RA Dennis Hillemann ist Partner im Verwaltungsrecht (vor allem Verwaltungsprozessrecht) im Hamburger Büro von Fieldfisher (www.fieldfisher.com) und berät unterschiedliche Institutionen im öffentlichen Sektor, etwa im Bereich des Informationsfreiheitsgesetzes, aber auch bei Transaktionen, Technologie-Projekten sowie im Beihilfe- und Fördermittelrecht. Zu seinen Mandanten gehören Ministerien und Behörden, Hochschulen und Forschungseinrichtungen sowie Unternehmen in Verwaltungsverfahren.
Das Gespräch führte Alexandra Buba. Sie ist freie Journalistin und spezialisiert auf die Themen der Steuerberatungsbranche (www.medientext.com) und schreibt regelmäßig für die STB Web-Redaktion.
Hinweis: Beachten Sie bitte das Datum dieses Artikels. Er stammt vom 03.03.2022, sodass die Inhalte ggf. nicht mehr dem aktuellsten (Rechts-) Stand entsprechen.