24.06.2021 | Abgabenordnung
Das Niedersächsische Finanzgericht hat – soweit ersichtlich als erstes Finanzgericht – zu der Frage Stellung genommen, ob eine Einspruchsrücknahme auch dann noch bis zum Ablauf des Tages des tatsächlichen Zugangs der verbösernden Einspruchsentscheidung wirksam ist, wenn deren Bekanntgabe nach Ablauf der Drei-Tages-Frist erfolgt.
Zuvor hatte der Bundesfinanzhof bereits mit Urteil vom 26.2.2002 (Az. X R 44/00) entschieden, dass – bei Zugang der verbösernden Einspruchsentscheidung innerhalb der Drei-Tages-Bekanntgabefrist – eine vorherige Kenntnis des Inhalts unschädlich und Rücknahme des Einspruchs noch bis zum Ablauf der Drei-Tages-Frist zulässig ist.
Im zugrunde liegenden Sachverhalt hatten die steuerlichen Berater des Klägers – nach vorheriger Androhung einer Verböserung durch das Finanzamt – den Einspruch am 22.10.2019 (Faxeingang beim Finanzamt um 18:57 Uhr) zurückgenommen. Nachdem das Finanzamt den Kläger auf die vermeintlich zuvor erfolgte Bekanntgabe mit Ablauf des drittens Tages nach der Aufgabe zur Post (21.10.2019) und die Unwirksamkeit der Rücknahme hinwiesen hatte, erbrachten die steuerlichen Berater den Nachweis, dass die Einspruchsentscheidung erst am 22.10.2019 tatsächlich in ihrem Büro eingegangen war. Der genaue Zeitpunkt des Zugangs innerhalb des Tages konnte nicht festgestellt werden.
Rücknahme des Einspruchs
Das Finanzamt ging jedoch davon aus, dass der tatsächliche Zugang der Einspruchsentscheidung jedenfalls vor dem Eingang der Rücknahme erfolgt sein müsse und lehnte aufgrund dessen eine Aufhebung der Einspruchsentscheidung ab. Selbst bei Wirksamkeit der Rücknahme müsse die Einspruchsentscheidung bestehen bleiben, denn hierin sei gleichzeitig eine ändernde Festsetzung nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO zu sehen, die noch vor Ablauf der Festsetzungsverjährungsfrist erfolgt sei. Der Kläger vertrat dagegen die Auffassung, dass eine Rücknahme aus Gleichbehandlungsgründen auch bei Bekanntgabe außerhalb der Drei-Tages-Frist noch bis zum Ablauf des Zugangstages möglich sein müsse. In der verbösernden Einspruchsentscheidung sei zugleich kein Änderungsbescheid zu sehen. Ein solcher könne auch nicht mehr ergehen, weil die reguläre Festsetzungsfrist bereits abgelaufen und Festsetzungsverjährung nur wegen des zuvor noch laufenden Einspruchsverfahrens noch nicht eingetreten sei (§ 171 Abs. 3a AO).
Gesetzesauslegung: Gemeint ist der Ablauf des Tages der Bekanntgabe
Das Niedersächsische FG hat der Klage mit Gerichtsbescheid vom 03.05.2021 (Az. 9 K 168/20) stattgegeben. Aus teleologischen, gesetzessystematischen und letztlich auch verfassungsrechtlichen Erwägungen heraus sei es geboten, § 362 Abs. 1 i.V.m. § 122 Abs. 2 AO so auszulegen, dass eine Rücknahme des Einspruchs zur Vermeidung einer verbösernden Einspruchsentscheidung auch dann noch bis zum Ablauf des Bekanntgabetages wirksam ist, wenn der tatsächliche Zugang außerhalb der Drei-Tages-Frist erfolgt. Der Senat geht davon aus, dass der Gesetzgeber in der Vorschrift des § 362 Abs. 1 AO, die die Rücknahme eines Einspruchs „bis zur Bekanntgabe der Entscheidung über den Einspruch“ ermöglicht, durch die Bezugnahme auf den Zeitpunkt der Bekanntgabe den Ablauf des Tages der Bekanntgabe gemeint hat und nicht den stunden-, minuten- und sekundengenauen Zeitpunkt des tatsächlichen Zugangs.
Revision beim BFH anhängig
Das Niedersächsische FG hat die Revision zugelassen, da die streitentscheidenden Rechtsfragen noch nicht Gegenstand der Finanzrechtsprechung gewesen sind (Az. des BFH: IX R 16/21)
(NFG / STB Web)
Hinweis: Beachten Sie bitte das Datum dieses Artikels. Er stammt vom 24.06.2021, sodass die Inhalte ggf. nicht mehr dem aktuellsten (Rechts-) Stand entsprechen.