26.10.2011 | Praxiskommentar

Tücken - und Mythen - der Steuerklassenwahl

Von Susanne Christ, Rechtsanwältin/Fachanwältin für Steuerrecht, Köln *


Die Entscheidung für eine bestimmte Steuerklasse hat unterm Strich keinen Einfluss auf die zu entrichtende Einkommensteuer für das betreffende Jahr, jedoch einen entscheidenden Einfluss auf etwaige Lohnersatzleistungen. Deshalb ist es immer wieder verwunderlich, wenn als Entscheidungskriterium für die Wahl der Steuerklasse die Höhe des Arbeitslohnes herangezogen wird. Derjenige - bzw. in vielen Fällen diejenige - mit dem geringeren Arbeitseinkommen soll, so der häufige gegebene Rat, sich in die Steuerklasse V einstufen lassen. Die Auswirkungen dieser Entscheidung auf die Lohnersatzleistungen wird in vielen Fällen gar nicht, bzw. wenn überhaupt, nur am Rande erwähnt.


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Ehegatten, die Anspruch auf Zusammenveranlagung haben, haben die Wahl, sich entweder in die Steuerklassen IV/IV oder III/V einstufen zu lassen. Sind sie beide Arbeitnehmer, können sie bei der Steuerklasse IV/IV das sog. Faktorverfahren anwenden, bei dem die Vorteile des Splittingtarifs bereits unterjährig bei der Berechnung der Lohnsteuer berücksichtigt wird. Wird keine Entscheidung getroffen, werden die Eheleute automatisch in Steuerklasse IV eingestuft; möchten sie eine andere Entscheidung treffen, sind damit manche Tücken verbunden. Und was oft unbekannt ist: wird die Entscheidung für 2012 schon 2011 getroffen, wird dadurch ein für das im Laufe des Jahres 2012 bestehende Wahlrecht nicht verwirkt. Deshalb kann sinnvoll sein, zum Thema Steuerklassenwahl die Mandanten baldmöglich zu beraten.


Höhe der Einkommensteuer wird nicht durch Lohnsteuerklassen beeinflusst

Aber – und das wissen die wenigsten Mandanten – die Wahl der Steuerklasse hat keinen Einfluss auf die tatsächlich für das jeweilige Kalenderjahr zu leistende Einkommensteuer. Diese richtet sich grundsätzlich nach dem zu versteuernden Einkommen der Eheleute und der Frage, ob sie sich gemeinsam oder getrennt zur Einkommensteuer veranlagen lassen. Die Lohnsteuer, die auf Basis der Lohnsteuerklassen erhoben wird, stellt lediglich eine Art Steuervorauszahlung dar. Liegt die für das jeweilige Kalenderjahr zu ermittelnde Einkommensteuer über der bezahlten Lohnsteuer, ist Einkommensteuer nachzuzahlen, ist sie niedriger, werden Einkommensteuern erstattet.


Beispiel 1:

Frau Lena Schneider und Herr Lars Schmidt sind miteinander verheiratet. 2010 werden Einkommensteuern aufgrund des Splittingtarifs in Höhe von 45.000 EUR festgesetzt. Die Eheleute hatten sich in Steuerklasse IV einstufen lassen, so dass die Ehefrau Lohnsteuern in Höhe von 25.000 EUR und der Ehemann in Höhe von 21.000 EUR zahlten. Die Lohnsteuerzahlungen werden auf die Einkommensteuerschuld angerechnet, so dass sich ein Überschuss in Höhe 1.000 EUR ergibt, der den Eheleuten erstattet wird.

zu zahlende Einkommensteuer
45.000,00 €
abzüglich Lohnsteuer Ehefrau, IV
25.000,00 €
abzüglich Lohnsteuer Ehemann, IV
21.000,00 €

46.000,00 €
ESt-Erstattung /Nachzahlung
1.000,00 €


Beispiel 2:

Die Ehefrau war in Lohnsteuerklasse III eingestuft, und zahlte 17.000 EUR Lohnsteuern, der in Steuerklasse V eingestufte Ehemann 26.000 EUR Lohnsteuern. Im Ergebnis müssen die Eheleute 2.000 EUR Einkommensteuern nachzahlen.

zu zahlende Einkommensteuer
45.000,00 €
abzüglich Lohnsteuer Ehefrau, III
17.000,00 €
abzüglich Lohnsteuer Ehemann V
26.000,00 €

43.000,00 €
ESt-Erstattung / Nachzahlung
-2.000,00 €


Die Beispiele zeigen, dass die Lohnsteuerklassen auf die Höhe der Einkommensteuer für das betreffende Jahr keinen Einfluss haben. D.h. die Wahl der Lohnsteuerklassen kann zwar die lohnsteuerliche Belastung im Laufe des Kalenderjahres beeinflussen, sie hat aber keinen Einfluss auf tatsächlich geschuldete Einkommensteuer.


Steuerklassen haben Einfluss auf Elterngeld und Co.

Gleichwohl ist die Steuerklassenwahl nicht bedeutungslos. Denn die Steuerklassenwahl hat Einfluss auf das monatliche Nettoeinkommen des Arbeitnehmers, das bei Steuerklasse III höher ist, als bei Steuerklasse IV und  V. Bedeutsam ist die Steuerklassenwahl und ihr Einfluss auf die Höhe des Nettolohns, weil der Nettolohn als Bemessungsgrundlage für bestimmte Lohnersatzleistungen herangezogen wird. Das gilt insbesondere für das Eltern-, Mutterschafts-, Arbeitslosen- und Krankengeld. Die Höhe des Nettolohns wirkt sich unmittelbar auf die Höhe der Lohnersatzleistungen aus.


Beispiel 3:

Das Bruttogehalt der nicht kirchensteuerpflichtigen Ehefrau Elke Brauer beträgt im September 5.000 EUR, bei Steuerklasse IV werden ihr netto 2.868,18 EUR ausbezahlt. Das Nettogehalt wird für die Berechnung der Lohnersatzleistungen zugrunde gelegt. Je höher das Nettogehalt ist, desto höher ist auch Lohnersatzleistung.

Bruttogehalt = 5.000,00 €


Steuerklasse
III
IV
V
Nettogehalt = Bemessungsgrundlage für Elterngeld, Arbeitslosengeld, Mutterschaftsgeld, Krankengeld
3.301,08 €
2.868,18 €
2.430,79 €
Unterschied zwischen III - V = 870,29 €

Würde Frau Brauer Mutterschaftsgeld erhalten, würde ihr, wenn sie zuvor in Steuerklasse III eingestuft war,  3.301,08 EUR ausgezahlt werden; wäre sie in Steuerklasse IV eingestuft, würde das Mutterschaftsgeld auf 2.868,18 EUR und in Steuerklasse V auf 2.430,79 EUR sinken. Diese Folge lässt sich später nicht mehr rückgängig machen.

Nahezu immer bleibt auch unerwähnt, dass sich die Einkommensteuer der Eheleute endgültig durch die Steuerklassenwahl nicht senken lässt. Unerwähnt bleibt auch der Einfluss der Steuerklassenwahl auf die Zufriedenheit mit der Berufstätigkeit. Wem bei einem Bruttoeinkommen von 5.000 EUR nach Ablauf des Monats 3.301,08 EUR ausbezahlt werden, dürfte mit seinem Beruf erheblich zufriedener sein, als derjenige, dem lediglich 2.430,79 EUR, also 870,29 EUR weniger überwiesen werden.


Entscheidungskriterien für die Wahl der Steuerklassen

Zunächst sollte bei der Entscheidung, welche Steuerklassen gewählt werden, geprüft werden, ob das monatliche Nettoeinkommen der Eheleute für die Bestreitung der laufenden Kosten ausreicht, wenn sich beide in Steuerklasse IV/IV, ggf. unter Anwendung des Faktorverfahrens, einstufen lassen. Reicht das Nettoeinkommen aus, kann im Allgemeinen die Steuerklassenkombination IV/IV, ggf. ergänzt durch die Anwendung des Faktorverfahrens, gewählt werden. Werden aufgrund dieser Steuerklassenkombination zu hohe Lohnsteuerbeträge gezahlt, werden diese im Rahmen der Einkommensteuerveranlagung später wieder erstattet, siehe dazu das Beispiel weiter oben. Der dadurch erzielte Liquiditätsnachteil fällt in den meisten Fällen nicht wirklich ins Gewicht; insbesondere vor dem Hintergrund des derzeitig sehr niedrigen Zinsniveaus.

Wenn bei einer solchen Steuerklassenkombination das monatlich zur Verfügung stehende Einkommen nicht zur Bestreitung des Lebensunterhaltes ausreicht, sollte sich die Steuerklassenwahl nach der Höhe des Gehaltes orientieren: derjenige mit dem höheren Gehalt sollte dann in Steuerklasse III, der andere in Steuerklasse V eingestuft werden. Oftmals hilft aber in diesen Fällen die Anwendung des Faktorverfahrens bei Steuerklassen IV, so dass sich keiner der Ehegatten in die unbefriedigende Steuerklasse V einstufen lassen muss.

Es gilt aber Ausnahmen: Ist zu erwarten, dass einer der beiden Ehegatten in Kürze Lohnersatzleistungen beziehen wird, sollte ihm nach Möglichkeit die Lohnsteuerklasse III zugeordnet werden, um für ihn das höchstmögliche Nettoeinkommen zu erzielen.


Hinweis
:

Die vorgenannten Entscheidungskriterien gelten vor allem, wenn beide Ehegatten angestellt tätig sind; ist nur einer der beiden angestellt tätig, weil der andere z.B. selbständig tätig ist, kann sich der Arbeitnehmer-Ehegatte in Steuerklasse III einstufen lassen. Allerdings werden dann die Einkommensteuervorauszahlungen steigen, die dann nicht ausschließlich durch die selbständigen Einkünfte veranlasst werden.


Achtung! Einwand des Rechtsmissbrauchs beachten

Wird im Laufe eines Kalenderjahres die Steuerklasse geändert, was grundsätzlich je Kalenderjahr 1 x zulässig ist, wird gern eingewendet, der Steuerklassenwechsel sei rechtsmissbräuchlich nur deshalb durchgeführt worden, um höhere Lohnersatzleistungen zu erhalten. Hier gilt folgendes: nicht rechtsmissbräuchlich ist es, wenn von Steuerklasse V in Steuerklasse IV gewechselt wird; wechselt jedoch der geringerverdienende Ehegatte in Steuerklasse III, sind die Gerichte oftmals geneigt, eine rechtsmissbräuchliche Gestaltung anzunehmen, so dass die Lohnersatzleistung nur auf Basis der schlechteren Steuerklasse bewilligt wird.


Tipp
:

Werden die Steuerklassen noch vor Beginn des Kalenderjahres, also etwa noch in 2011 für 2012 geändert, wird der Einwand des Rechtsmissbrauchs in der Regel nicht erhoben. Aus diesem Grunde sollte, sobald sich andeutet, dass ein Ehegatte evt. Lohnersatzleistungen zukünftig beziehen wird, die Steuerklasse sofort entsprechend geändert werden. Betroffene Mandanten sollte daher geraten werden, sofort die Änderung der Steuerklassen für das kommende Jahr beim Finanzamt zu beantragen. Wird die Steuerklassenänderung bereits vor Beginn des Kalenderjahres beantragt, für das die Änderung gelten soll, stellt dies nach Auffassung der Finanzverwaltung keinen Steuerklassenwechsel im Sinne des Lohnsteuerrechts dar. D.h. im laufenden Kalenderjahr darf dann noch einmal gewechselt werden, wenn sich herausstellt, dass die Entscheidung doch nicht so günstig war.


Beispiel 4:

Die Eheleute E sind bislang in die Steuerklassen IV/IV eingestuft; es ist zu erwarten, dass in 2012 die Ehefrau arbeitslos werden wird und Arbeitslosengeld beziehen wird. Beantragen sie noch im Jahr 2011 die Änderung der Steuerklassen ab 2012 für die Ehefrau in III und für den Ehemann in Steuerklasse V, damit das Arbeitslosengeld auf Basis des durch die Steuerklasse III erzielten höheren Nettolohns der Ehefrau berechnet wird,  verwirken sie dadurch nicht das Recht, im Kalenderjahr 2012 ein Mal die Steuerklassen zu wechseln. Bei einem solchen Wechsel der Steuerklassen sollten die Eheleute aber auch eine Regelung darüber treffen, wie die durch den Steuerklassenwechsel verursachten höheren Lohnsteuern des Ehemannes unterjährig ausgeglichen werden.


Praxishinweis
:

Bis Mitte/Ende November 2011 erhalten sämtliche Arbeitnehmer von der Finanzverwaltung Post. Sie werden aufgefordert, ihre gespeicherten Lohndaten (sog. Lohnsteuerabzugsmerkmale) zu prüfen, die ab 2012 der elektronischen Erfassung der Lohnsteuer zugrunde gelegt werden. Grundsätzlich werden die Lohnsteuerklassen des Vorjahres auch im Folgejahr fortgeführt. Ist das nicht gewollt, sollte im Antwortschreiben die gewünschte  Lohnsteuerklassenkombination angegeben werden und um Korrektur gebeten werden. Liegen die rechtlichen Voraussetzungen für diese Steuerklassen vor, müssten die Finanzverwaltung diese dann hinterlegen.


* Über die Autorin:

Susanne Christ ist Rechtsanwältin und Fachanwältin für Steuerrecht. Sie führt eine eigene Steuer- und Wirtschaftskanzlei in Köln und ist die Sprecherin des Erbrechtsausschusses des Kölner Anwaltsvereins. Susanne Christ ist langjährige Fachautorin der Haufe Mediengruppe und Dozentin in den Bereichen Einkommen-, Umsatz- und Erbschaftssteuer. Sie schreibt auch regelmäßig Fachartikel und Kommentare bei STB Web. 

E-Mail: s.christ@netcologne.de


(STB Web)


Hinweis: Beachten Sie bitte das Datum dieses Artikels. Er stammt vom 26.10.2011, sodass die Inhalte ggf. nicht mehr dem aktuellsten (Rechts-) Stand entsprechen.