09.03.2023 | Rechtsgutachten

Vermögensteuer verfassungsrechtlich gut begründbar

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Eine Vermögensteuer ist mit dem Grundgesetz vereinbar und verfassungsrechtlich auch gut begründbar angesichts von großen finanziellen Aufgaben und hoher Ungleichheit. Sie könnte auch zur Verwirklichung grundlegender verfassungsrechtlicher Prinzipien beitragen. Zu diesem Ergebnis kommt ein aktuelles Rechtsgutachten.

Prof. Dr. Alexander Thiele
Prof. Dr. Alexander Thiele, © Foto: Bogdan Hinrichs

Bei der Ausgestaltung einer Vermögensteuer hat die Gesetzgebung einen erheblichen Spielraum, zeigt die von der Hans-Böckler-Stiftung geförderte Untersuchung von Prof. Dr. Alexander Thiele, Professor für Staatstheorie und Öffentliches Recht an der Business & Law School der Hochschule für Management und Recht in Berlin.

Richtig sei zwar, dass das Bundesverfassungsgericht im Jahr 1995 die damalige Vermögensteuer für verfassungswidrig erklärt hat. Ebenso richtig sei allerdings, dass sich dieser Beschluss keineswegs gegen eine Besteuerung von Vermögen an sich, sondern lediglich gegen die damalige konkrete Ausgestaltung richtete. Das Grundgesetz stehe einer Vermögensbesteuerung insofern nicht prinzipiell entgegen, betont Thiele, zumal sie dort sogar „ausdrücklich als eine prinzipiell zulässige Steuerart aufgelistet“ wird.

Prinzip der Leistungsfähigkeit verwirklichen

Darüber hinaus würde die Vermögensteuer dazu beitragen, das Fundamentalprinzip gerechter Besteuerung, das Prinzip der Leistungsfähigkeit, besser zu verwirklichen: Gleich Leistungsfähige müssen danach gleich, unterschiedlich Leistungsfähige unterschiedlich besteuert werden. Es liege auf der Hand, dass eine Person, die beispielsweise monatlich 5000 Euro verdient, zusätzlich aber ein Vermögen von einer Million Euro besitzt, leistungsfähiger ist als jemand, der „nur“ 5000 Euro im Monat verdient. Die Einkommensteuer allein bilde diese unterschiedlichen Leistungsfähigkeiten insofern nicht angemessen ab. Mit Blick auf das Fundamentalprinzip der Leistungsfähigkeit sei es daher auch kein Widerspruch, wenn der Staat sowohl eine progressive Einkommenssteuer als auch eine Vermögenssteuer erhebt. Eine Doppelbesteuerung könne darin nicht gesehen werden.

Auch das Sozialstaatsprinzip in Artikel 20 des Grundgesetzes liefert nach Thieles Analyse verfassungsrechtlich jedenfalls dann Argumente für eine Besteuerung von Vermögen, wenn die Ungleichheit ein nicht mehr zu rechtfertigendes Ausmaß erreicht hat. Eine zu hohe soziale Ungleichheit ist in einer demokratischen Ordnung ein Problem. Wenn die Vermögen derart ungleich verteilt sind, „droht die soziale Ungleichheit aufgrund der damit einhergehenden kränkenden Wirkung das einigende Band der Gemeinschaft zu zerreißen, da deren Mitglieder nicht mehr in der Lage sind, sich als politisch gleich und folglich als Angehörige der gleichen politischen Gemeinschaft (noch) zu erkennen“, schreibt der Rechtswissenschaftler. In diesem Fall sei der Gesetzgeber verfassungsrechtlich gehalten, Maßnahmen zu ergreifen, um die Ungleichheit auf ein begründungsfähiges Niveau zu bringen.

Eigentum nicht uneingeschränkt geschützt

Die Gesetzgebung habe bei der Erhebung einer Vermögensteuer allerdings einen großen Spielraum, so Thiele. Eigentum sei zwar durch das Grundgesetz besonders geschützt, allerdings nicht uneingeschränkt. Steuern stellen nach weit verbreiteter Ansicht keinen Eingriff in die Eigentumsfreiheit dar, schon gar keine Enteignung. Schließlich heißt es auch im Grundgesetz: „Eigentum verpflichtet“. Jeder soll, gemessen an seiner Leistungsfähigkeit, einen Beitrag zur Finanzierung des Gemeinwesens leisten. Allenfalls die Frage, wie hoch dieser ausfallen darf, ist unter Expert*innen umstritten. Steuern dürfen indes keine „erdrosselnde Wirkung“ haben.

Besteuerung von Sollerträgen versus Vermögenssubstanz

Verfassungsrechtlich unproblematisch ist nach diesen Maßstäben die Besteuerung von Sollerträgen aus Vermögenswerten, analysiert der Juraprofessor. Besteuerungsgrundlage wären danach die aus dem Vermögen erzielbaren Erträge, zum Beispiel potenzielle Mieteinnahmen und Zinseinkünfte, nicht hingegen die Vermögenssubstanz. Aber auch eine darüber hinaus gehende Substanzbesteuerung sei nicht per se ausgeschlossen – zu rechtfertigen sei sie „in Zeiten erheblicher und nur schwer begründungsfähiger Vermögensungleichheit“ – wenn durch die Ungleichheit also eine Gefährdung des demokratischen Versprechens der demokratischen Gleichheit drohe.

Bei der Ausgestaltung der Vermögensteuer sind jedoch weitergehende verfassungsrechtliche Vorgaben zu beachten, zeigt Thiele: So müssen neben den privaten Vermögen im Grundsatz auch Betriebsvermögen einbezogen werden. Allerdings müssen Betriebsvermögen nicht zwingend in der gleichen Höhe wie private Vermögen besteuert werden. Es sei möglich, Betriebsvermögen zu privilegieren, da diesem eine besondere Bedeutung für die Prosperität einer Gesellschaft zukomme, so der Rechtswissenschaftler.

Marktgerechte Bewertung von Vermögensgegenständen

Essenziell sei außerdem, dass Vermögensgegenstände so erfasst würden, dass sie annähernd dem Marktwert entsprechen. Werden bei der Erfassung unterschiedliche Maßstäbe angelegt, stünde dies im Konflikt mit dem Gleichheitsgrundsatz – genau hier lag das Problem der bis in die 1990er-Jahre erhobenen Vermögensteuer, über die das Bundesverfassungsgericht zu entscheiden hatte.

Eine Schwierigkeit damals wie heute: Bei Bargeld oder Aktien ist die Bewertung vergleichsweise einfach, komplizierter wird es beispielsweise bei Kunstgegenständen und anderen Sachgütern, ebenso bei Immobilien. Hier ist der Staat auf die Ehrlichkeit der Steuerpflichtigen angewiesen, wobei allerdings zu betonen ist, dass die unzutreffende Angabe von relevanten Steuersachverhalten eine Straftat darstellt.

„Unschärfen“ verfassungsrechtlich zulässig

Zudem seien gewisse „Unschärfen“ bei der Bewertung von Vermögensgegenständen verfassungsrechtlich zulässig: Abweichungen von bis zu 20 Prozent vom „tatsächlichen“ Wert seien verfassungsrechtlich denkbar, so Thiele. Außerdem sei es im Steuerrecht nicht unüblich, dass mit Pauschalierungen gearbeitet werde. Auch sei die Tatsache, dass eine Steuer nicht leicht zu erheben ist, kein sachgerechter Grund, sie nicht zu erheben, betont der Gutachter.

Abgesehen davon ließen sich die verfassungsrechtlichen Probleme entschärfen, wenn man lediglich eine Sollertragsteuer einführen würde, da sich zum einen Einkünfte einfacher ermitteln und besser bewerten lassen als Gesamtvermögen. Zum anderen bleibe dabei die Vermögenssubstanz dann prinzipiell unangetastet, sodass der damit bewirkte Eingriff in die Eigentumsfreiheit verfassungsrechtlich keine Probleme bereite.

Weitere Informationen:

Alexander Thiele: Der grundgesetzliche Rahmen für die Wiedereinführung einer Vermögensteuer, Kurzgutachten im Auftrag der Hans-Böckler-Stiftung, Februar 2023.

(Böckler / STB Web)

Hinweis: Beachten Sie bitte das Datum dieses Artikels. Er stammt vom 09.03.2023, sodass die Inhalte ggf. nicht mehr dem aktuellsten (Rechts-) Stand entsprechen.