18.05.2016 | Reformen, quo vaditis?

Was nun? - Die für die Erbschafsteuerreform gesetzte Frist läuft bald ab, doch eine Änderung ist nicht in Sicht

Von Susanne Christ, Rechtsanwältin/Fachanwältin für Steuerrecht, Köln *

Es war offenbar doch nur ein Lippenbekenntnis: Das sofort nach Bekanntgabe der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) Ende 2014 zur Verfassungswidrigkeit des Erbschafsteuergesetzes gegebene Versprechen, schnell tätig zu werden, hat der Gesetzgeber nicht gehalten. Dabei wird die Zeit allmählich knapp, denn zum 30.6.2016 läuft die Frist, die das BVerfG dem Gesetzgeber gesetzt hat, ab. Bis dahin sollte nämlich das Erbschaftsteuergesetz so geändert werden, dass es nicht mehr durch Gewährung von Vergünstigungen etwa zugunsten von Betriebsvermögen gegen den Gleichheitssatz und damit gegen die Verfassung verstößt.

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Gestört hatte sich das BVerfG in seiner Entscheidung vom 17.12.2014 (BvL 21/12) vor allem an den allzu weitreichenden Vergünstigungen von Betriebsvermögen. Allerdings betonte der Erste Senat des BVerfG, dass es grundsätzlich nicht verboten ist, Betriebsvermögen von der Erbschaft- und Schenkungsteuer zu verschonen, jedoch nur unter der Voraussetzung, dass die vom BVerfG aufgestellten Anforderungen zur Lohnsummenregelung, zum Verwaltungsvermögen und zur Verschonung von großen Unternehmen erfüllt werden.

Im Juli 2015 hatte die Bundesregierung einen Gesetzentwurf vorgelegt (BT-Drucks. 18/5923), die parlamentarischen Beratungen wurden am 25.09.2015 begonnen, aber bislang aus vielerlei Gründen nicht abgeschlossen. Was aber, wenn der Gesetzgeber bis zum 30.6.2016 untätig bleibt?

Diskutiert werden drei Möglichkeiten:

  1. Das Erbschaftsteuergesetz wird mit Ablauf der Frist unwirksam.
  1. Das Erbschaftsteuergesetz bleibt in Kraft, die vom BVerfG für verfassungswidrig eingestuften Vergünstigungen fallen weg.
  1. Das Erbschaftsteuergesetz bleibt bis auf weiteres in seiner bisherigen - verfassungswidrigen - Fassung in Kraft, einschließlich sämtlicher darin vorgesehener Vergünstigungen.

Auch wenn es sich so manche Erbin/mancher Erbe wünschen würde: Dass das Erbschaftsteuergesetz mit dem Ablauf der Frist unwirksam wird (und ab dann keine Erbschafts- bzw. Schenkungsteuer mehr erhoben wird), wird von den wenigsten Experten vertreten.

Vielmehr mehren sich die Stimmen, die bei fehlender Neuregelung die Auffassung vertreten, dass dann das gesamte ErbstG in der bisherigen Fassung, also einschließlich der darin enthaltenen Vergünstigungen, weitergelte würde, vgl. z.B. Drüen, Verfassungswidrige Erbschaftsteuer -weiter so!? NJW-aktuell 19/2016, S. 15. Auch der Berichterstatter in dem Verfahren zum ErbStG beim BVerfG, Prof. Dr. Michael Eichberger scheint diese Ansicht zu teilen. Würde, so seine Antwort auf eine entsprechende Frage auf einem Symposium der Universität Hannover am 21.01.2015 zum Thema „Die Erbschafsteuer nach der Entscheidung des BVerfG“, der Gesetzgeber innerhalb der Frist keine Anpassung des Gesetzes vornehmen, „passiere im Grunde zunächst nichts“. Allerdings gab er zugleich zu bedenken, dass es bislang den Fall, dass eine Fristsetzung des BVerfG ohne Folgen bleibt, noch nicht gegeben habe. Auf die Frage, ob sich das BVerfG dann selbst um die Neuregelung kümmern würde, führte Eichberger aus, dass das BVerfG die Möglichkeit hätte, im Wege eines „Vollstreckungsbeschlusses“ gegebenenfalls durchdachte Übergangsregelungen selbst zu schaffen.

In der Beratung sollte vor dem Hintergrund dieser etwas vagen Antworten sicherheitshalber auch die Möglichkeit in Betracht gezogen werden, dass das Erbschafsteuergesetz zwar in Kraft bleiben wird, aber die darin vorgesehenen Vergünstigungen für Betriebsvermögen nicht mehr gewährt werden, soweit sie vom BVerfG als verfassungswidrig eingestuft wurden. Das macht die Sache zwar kompliziert, zeigt aber zugleich, wie wichtig für Mandanten die umfassende erbschaftsteuerliche Beratung ist.

Praxishinweis: Wegen dieser Unsicherheiten sollten Sie die Aktivitäten des Gesetzgebers in Sachen ErbStG genau beobachten und in der Beratung stets auch die Möglichkeit ins Auge fassen, dass das ErbStG nach dem 30.6.2016 ohne die Vergünstigungen für Betriebsvermögen wirksam bleibt. Gestaltungen, die darauf abzielen, die für verfassungswidrig eingestuften Vergünstigungen über den 30.6.2016 hinaus in Anspruch zu nehmen, sind nur dann zu empfehlen, wenn der Mandant auch mit den steuerlichen Folgen einverstanden ist, sollten die Vergünstigungen danach nicht mehr zur Anwendung kommen. Alternativ können Rückabwicklungsregelungen - soweit zivilrechtlich zulässig und wirtschaftlich sinnvoll - für den Fall, dass die Vergünstigungen nicht gelten, vereinbart werden. Wegen der damit verbundenen Haftungsrisiken sollten Sie diese Aufklärung so erteilen, dass dies später auch nachweisbar ist. Entscheidend ist dabei grundsätzlich der Zeitpunkt der Entstehung der Steuer. Bei Erwerben von Todes wegen ist das in der Regel der Todestag des Erblassers, bei Schenkungen ist im Allgemeinen die Vollziehung der Schenkung maßgebend, vgl. § 9 Abs. 1 Nr. 1a, Nr. 2 ErbStG.

Rückwirkende Verschärfung des ErbStG theoretisch möglich, aber sehr unwahrscheinlich

Das BVerfG hatte es dem Gesetzgeber erlaubt, verschärfende Regelungen auch rückwirkend bis zum 17.12.2014 (Tag der Bekanntgabe des Urteils des BVerfG) einzuführen. Das Bundesfinanzministerium hat diesen Punkt zum Anlass genommen, anzuordnen, dass alle betreffenden Erbschaft- und Schenkungsteuerbescheide nur vorläufig erlassen werden dürfen (gleichlautende Erlasse der OFD der Länder v. 12.03.2015, z.B. FinMin NRW – S 0338 - 26 - V AZ). Allerdings hatte der Gesetzgeber bislang keine Absicht gezeigt, das ErbStG rückwirkend verschärfen zu wollen. Somit ist damit nicht zu rechnen. Dies gilt umso mehr, wenn es bis zum 30.6.2016 nicht mehr zu einer Änderung des ErbStG kommt. Dann würde sich zudem die Frage stellen, ob eine rückwirkende Verschärfung überhaupt noch zulässig ist.

* Über die Autorin:

Susanne Christ ist Rechtsanwältin und Fachanwältin für Steuerrecht. Sie führt eine eigene Steuer- und Wirtschaftskanzlei in Köln und ist die Sprecherin des Erbrechtsausschusses des Kölner Anwaltsvereins. Susanne Christ ist langjährige Fachautorin der Haufe Mediengruppe und Dozentin in den Bereichen Einkommen-, Umsatz- und Erbschaftssteuer. Sie schreibt auch regelmäßig Fachartikel und Kommentare bei STB Web. 

E-Mail: s.christ@netcologne.de

(STB Web)

 

Hinweis: Beachten Sie bitte das Datum dieses Artikels. Er stammt vom 18.05.2016, sodass die Inhalte ggf. nicht mehr dem aktuellsten (Rechts-) Stand entsprechen.