21.03.2016 | Reformen, quo vaditis?

Modernisierung des Besteuerungsverfahrens: Entscheidende Punkte noch ungeklärt

Noch im Sommer soll es verabschiedet werden und ab 2017 schrittweise in Kraft treten: das "Gesetz zur Modernisierung des Besteuerungsverfahrens". Seit Februar liegt der aktuelle Regierungsentwurf vor. Aus Sicht von Steuerrechtlerin Prof. Dr. Johanna Hey sind entscheidende Punkte jedoch noch ungeklärt, und gerade aus rechtlicher Sicht bestehe Verbesserungsbedarf – unter anderem beim Datenschutz. "Solch große Datenaggregationen haben ein enormes Gefährdungspotenzial", betonte die Direktorin des Instituts für Steuerrecht an der Universität Köln jetzt bei einer Veranstaltung der Volksbank Bielefeld-Gütersloh.

Die geplante Modernisierung des Besteuerungsverfahrens ist komplex – und bot auch nach der Veranstaltung reichlich Diskussionsstoff: Volksbank-Vorstandsvorsitzender Thomas Sterthoff (v.l.) und Referentin Prof. Dr. Johanna Hey im Gespräch mit Steuerberater Volker Ervens. (Foto: © Volksbank Bielefeld-Gütersloh)

Das ostwestfälische Kreditinstitut hatte rund 60 Steuerberater aus der Region zum aktuellen Steuerberater-Forum eingeladen. Sowohl Hey als auch Volksbank-Vorstandsvorsitzender Thomas Sterthoff urteilten: Bis zu einer echten, vereinfachten neuen Finanzverwaltung ist es noch ein langer Weg. Langfristig funktioniere das nicht ohne ein vereinfachtes Steuerrecht, so Sterthoff.

"Finanzverwaltung 4.0 – Was bedeutet das für die Steuerberatung?"

Die Kölner Steuerrechtlerin, unter anderem Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats des Bundesministeriums für Finanzen, sprach während ihres Vortrags unter dem Motto "Finanzverwaltung 4.0 – Was bedeutet das für die Steuerberatung?" gleich mehrere Knackpunkte an. Viele Ansätze des Gesetzes seien zwar gut, so Hey in ihrem einstündigen Vortrag. Als positiv bewertete sie beispielsweise die allgemeine Fristverlängerung bei Abgabe der Steuererklärung durch den Berater bis zum 28. Februar des zweiten Folgejahres (§149 III AO-E). Insgesamt sprach die Fachfrau aber lieber von einer "Evolution" als "Revolution" des Besteuerungsverfahrens. "Es ist keine grundlegende Reform. Das Modernisierungsgesetz schreibt viele Dinge fest, die eigentlich schon Alltag sind." Und: "Die Automatisierung kann die materielle Steuervereinfachung nicht ersetzen."

Geheime Risikomanagement-Parameter sind ein No-Go

Neben einem Überblick über den Status quo und die Kernpunkte der Reform sprach sie vor allem die aus ihrer Sicht problematischen Punkte an – etwa das vollautomatisierte Risikomanagement, bei dem die entscheidenden Parameter nicht veröffentlicht werden sollen. "Das ist so zu hart. Wenn das Risikomanagementsystem bei der automatischen Prüfung ausschlägt, dann müssen Sie auch in der Lage sein, dieses System zu hinterfragen", betonte Hey gegenüber den anwesenden Steuerberatern. "Es kann nicht sein, dass ein geheim gehaltenes Computersystem eventuell sogar zu strafrechtlichen Konsequenzen führt und es für den Steuerberater nicht möglich ist, dies zu hinterfragen." Die Überprüfungsmöglichkeit im sogenannten In-camera-Verfahren sollte gesetzlich geregelt werden.

Ähnlich akut sei die Haftungsfrage bei einer fehlerhaften Dateneingabe in die elektronische Maske. "Wer trägt hier das Risiko für Fehler? Wie werden diese korrigiert?", fragte Hey. Bisher berücksichtige die Regelung im neu geschaffenen §173a AO-E nur Schreib- und Rechenfehler. "Aber was ist mit Übernahmefehlern? Diese sind durch den Wortlaut nicht gedeckt." Hier fehle eine entsprechende Vorschrift. Am besten wäre eine vollständige Orientierung an § 129 AO, was allerdings auch die Frage aufwirft, ob es wirklich zweier Vorschriften bedarf. Ein weiteres Problem – die Kenntlichmachung abweichender Rechtsauffassungen – sei hingegen mehr oder weniger behoben. Hier sehe der Regierungsentwurf nun sogenannte Freifelder in der Steuererklärung (§150 VII AO-E) vor – das sei neu. Dort kann der Steuerpflichtige weitergehende Angaben machen, aber auch auf abweichende Rechtsauffassungen hinweisen. In solchen Fällen erfolgt die Prüfung dann nicht automatisch, sondern durch den Finanzbeamten.

Steuerrechtlerin Hey: "Jeder hat das Recht auf Akteneinsicht"

Viele weitere Punkte sind indes weiterhin offen. Hey: "Es gibt durchaus Bereiche, die einer rechtlichen Korrektur bedürfen, die aber noch nicht aufgegriffen wurden." An erster Stelle stehe hier das Thema Datenschutz. "Große Datenaggregationen haben ein enormes Gefährdungspotenzial", so Hey. Zumal 2017 auch der internationale Austausch von Finanzkontendaten einsetzt. "Deutschland kann gar nicht gewährleisten, dass die einzelnen Daten überall geschützt sind." Gleichzeitig müsse jeder Bürger das Recht auf volle Akteneinsicht haben. "Wenn wir wirklich irgendwann einmal beim papierlosen Finanzamt sind, bei dem es nur noch elektronische Akten gibt, dann gibt es keinen Grund, aus dem der Steuerpflichte keine Einsicht nehmen sollte."

Aus Sicht von Hey ebenfalls rechtlich bedenklich: die Verzinsung von Steuernachforderungen nach §238 AO (I). Diese beträgt nach wie vor sechs Prozent. Dem steht die aktuelle Niedrigzinspolitik der Europäischen Zentralbank gegenüber. "Mit dem Saldo zwischen Erstattungs- und Nachforderungszinsen macht der Fiskus jährlich eine Milliarde Euro Gewinn", kritisierte die Professorin. "Die Politik brüstet sich mit einem ausgeglichenen Haushalt, erzielt aber Zinsgewinne auf dem Rücken der Steuerzahler."

Nicht alle Möglichkeiten ausgeschöpft

So oder so sei es bis zu einer "echten", voll digitalen und gerechten Finanzverwaltung 4.0 noch ein langer Weg. Volksbank-Vorstandsvorsitzender Thomas Sterthoff fand dies bedauerlich. "Die Digitalisierung stellt eine riesige Chance dar, auch in der Zusammenarbeit zwischen uns Kreditinstituten und Ihnen. Noch längst ist nicht alles ausgeschöpft, was möglich ist", sagte der Gastgeber des Steuerberater-Forums. Die Banken sind selbst von der Modernisierung des Besteuerungsverfahrens betroffen – so ändern sich etwa die Bedingungen für die Datenübermittlung durch Dritte. "Hier wurden die Prozesse endlich vereinheitlicht", sagte Sterthoff über die jüngsten Änderungen am Gesetzentwurf. "Das ist natürlich gut." Grundsätzlich bemängelte er aber die immer komplizierter werdende Rechtslage in der Steuergesetzgebung. "Will der Gesetzgeber das Besteuerungsverfahren nachhaltig vereinfachen, kommt er langfristig nicht an Änderungen des Steuerrechts vorbei", schloss sich Sterthoff der ähnlichen Forderung von Hey an. Und auch ihn beschäftigte als Bankvorstand der Niedrigzins. "Wir glauben nicht, dass sich die Situation in absehbarer Zeit verändern wird – mit allen Konsequenzen, die das hat", sagte er. "Für Menschen, die etwas in Sachen Altersvorsorge tun wollen oder eine Stiftung betreiben, ist das ein Desaster."

Hinweis: Beachten Sie bitte das Datum dieses Artikels. Er stammt vom 21.03.2016, sodass die Inhalte ggf. nicht mehr dem aktuellsten (Rechts-) Stand entsprechen.