08.02.2016 | Steuerstrafrecht

BGH: Steuerhinterziehung in "großem Ausmaß" einheitlich ab 50.000 Euro

Nach der Abgabenordnung (AO) ist in besonders schweren Fällen von Steuerhinterziehung eine Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren vorgesehen. Um einen besonders schweren Fall handelt es sich in der Regel dann, wenn der Täter in großem Ausmaß Steuern verkürzt oder nicht gerechtfertigte Steuervorteile erlangt. Wann aber liegt ein solches "großes Ausmaß" vor?

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Nach einer aktuell veröffentlichten Entscheidung des Bundesgerichtshofs (BGH) vom 27. Oktober 2015 liegt ein großes Ausmaß im Sinne von § 370 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 AO bei jeder Steuerhinterziehung über 50.000 Euro vor. Damit entwickelt der BGH die bisherige Rechtsprechung fort. Nach der bisher geltenden Rechtsprechung des BGH ist das Merkmal "in großem Ausmaß" zwar dann erfüllt, wenn der Hinterziehungsbetrag 50.000 Euro übersteigt. Beschränkt sich das Verhalten des Täters jedoch darauf, die Finanzbehörden pflichtwidrig über steuerlich erhebliche Tatsachen in Unkenntnis zu lassen und führt das lediglich zu einer Gefährdung des Steueranspruchs, soll die Wertgrenze bei 100.000 Euro liegen.

Einheitliche Wertgrenze von 50.000 Euro angemessen

2011 hat der BGH dies weiter präzisiert: Die Wertgrenze liegt bei 100.000 Euro, "wenn der Steuerpflichtige zwar eine Steuerhinterziehung durch aktives Tun (§ 370 Abs. 1 Nr. 1 AO) begeht, indem er eine unvollständige Steuererklärung abgibt, er dabei aber lediglich steuerpflichtige Einkünfte oder Umsätze verschweigt … und allein dadurch eine Gefährdung des Steueranspruchs herbeiführt". An dieser Rechtsprechung hält der Senat nicht mehr fest. Aus folgenden Erwägungen ist nach seiner aktuellen Auffassung vielmehr eine einheitliche Wertgrenze von 50.000 Euro angemessen.

In seiner Grundsatzentscheidung von 2008 habe der BGH ausgeführt, dass - ähnlich wie beim Betrug - zwischen schon eingetretenem Vermögensverlust und einem Gefährdungsschaden zu differenzieren sei. Diese Erwägung berücksichtige aber nicht hinreichend, dass ein vollendeter Betrug bereits dem Wortlaut nach den Eintritt eines Vermögensschadens voraussetzt. Für den Tatbestand der Steuerhinterziehung genüge dagegen eine tatbestandliche Gefährdung des Steueraufkommens. Steuerhinterziehung und Betrug seien nicht uneingeschränkt vergleichbar, weil die Steuerhinterziehung gegenüber dem Betrugstatbestand "strukturelle Unterschiede" aufweise. 

Differenzierung zwischen Gefährdungsschaden und eingetretenem Schaden nicht gerechtfertigt

Das Gesetz unterscheide in § 370 AO nicht zwischen der Gefährdung des Steueranspruchs und dem Eintritt des Vermögensschadens beim Staat. Diese Gleichsetzung findet ihre Rechtfertigung darin, dass die falsche Steuerfestsetzung nahezu immer zu einem Schaden führen wird, weil eine nicht festgesetzte Steuer auch nicht beigetrieben werden kann und darf. Vor diesem Hintergrund zwischen Gefährdungsschaden und eingetretenem Schaden zu differenzieren, sei deshalb nicht gerechtfertigt. Daher sei auch die Verdoppelung des Schwellenwerts bei dem sog. Gefährdungsschaden nicht zu begründen.

Eine einheitliche Wertgrenze von 50.000 Euro gewährleiste zudem mehr Rechtssicherheit, weil sich die schwierige Differenzierung zwischen nicht erklärten Steuererhöhungsbeträgen und zu Unrecht geltend gemachten Steuerminderungsbeträgen, und in welchen Fällen nun der niedrigere oder höhere Grenzwert gelte, erübrige.

Art der Manipulation ist unerheblich

Die ausschließliche Ausrichtung am Ausmaß des Taterfolgs vermeide beliebige Ergebnisse, weil es eine Frage des Einzelfalls ist, ob das Vortäuschen von Betriebsausgaben oder Vorsteuerbeträgen zu ungerechtfertigten Steuererstattungen oder dem scheinbaren Erlöschen bestehender Steuerforderungen führe. So könne eine Zahllast des Finanzamts, also der sogenannte "Griff in die Kasse des Staates", nicht nur durch das Vortäuschen von Betriebsausgaben oder einer Vorsteuerabzugsberechtigung entstehen, sondern ebenso durch Verschweigen von Betriebseinnahmen oder Umsätzen.

Der Steuerpflichtige erreiche eine zu niedrige Zahllast gleichermaßen durch Manipulationen bei den Betriebsausgaben, der Vorsteuerabzugsberechtigung, den Betriebseinnahmen oder Umsätzen. Bei unterschiedlichen Schwellenwerten würde, anders als im Falle einer Zahllast des Finanzamts, nach der Art der Manipulation differenziert, obwohl nicht sie, sondern ihr Umfang darüber entscheidet, ob es zu einer zu geringen Zahllast des Steuerpflichtigen und damit zu einem Gefährdungsschaden oder zu einer Zahllast des Finanzamts mit einem damit verbundenem Vermögensschaden kommt.

Das Urteil im Volltext: BGH, Urteil vom 27.10.2015, Az. 1 StR 373/15

(STB Web)

Hinweis: Beachten Sie bitte das Datum dieses Artikels. Er stammt vom 08.02.2016, sodass die Inhalte ggf. nicht mehr dem aktuellsten (Rechts-) Stand entsprechen.