16.12.2015 | Gesellschaft

Interview: Superselbstbewusste scheitern öfter

von Alexandra Buba **

Erfolg macht sexy, Misserfolg dagegen verschweigt man lieber. Für das Scheitern ist in der modernen Hochleistungsgesellschaft kein Platz. Dabei scheitern wir ständig, beruflich wie privat, da die Ansprüche an uns selbst ständig steigen. Auswege aus dem permanenten Gefühl des Nicht-Genügens kennt die Mannheimer Literatur- und Kulturwissenschaftlerin Dr. Regina Schober, Mitorganisatorin der internationalen Konferenz "The Failed Individual", die im November 2015 an der Universität Mannheim stattfand.

(Foto: © Nalla Padam / photocase.de)

Frau Dr. Schober, wie sehr betrifft uns das Thema Scheitern?

Dr. Schober *: Wir stehen heute beruflich und privat pausenlos unter einem Erfolgsdruck, wie wir ihn in der Vergangenheit nicht kannten. Dabei spielt die Beschleunigung der Arbeitswelt, aber auch der Selbstvermarktungsdruck über die neuen Medien eine Rolle. In allen Lebensbereichen werden wir heute als Selbstunternehmer gesehen, die möglichst überall erfolgreich sein müssen. Das schaffen die Wenigsten. Besonders schwierig aber ist es bei der Vereinbarkeit von Privatem und Beruflichem. Ich muss mich ständig fragen: Wie viel Privates hat eigentlich Platz in meinem Leben? Wie viel will oder muss ich arbeiten? So richtig klappen kann die Balance eigentlich nie, sonst gäbe es nicht ein so großes Angebot an Work-Life-Balance-Kursen.

Warum ist das so?

Schober: Wir haben die Ansprüche, das normative Ideal, das eigentlich ja einmal von außen kam, mittlerweile so verinnerlicht, dass wir da nicht mehr rauskommen. Wir alle leben mit dem Gefühl des ständigen Versagens. In unserer Freiheits- und Leistungsgesellschaft ist Erfolg das Kriterium, mit dem wir uns messen. Das gilt für den Beruf, die aufregenden Reisen, den tollen Körper und die perfekte Familie.

Aber darüber spricht niemand...

Schober: Das ist das Perfide daran. Obwohl wir alle ständig scheitern, ist es ein Tabu. Gesprochen wird darüber nur, wenn das Scheitern Teil einer Erfolgsgeschichte ist, wie etwa bei dem Trend, dass gescheiterte Start-up-Unternehmen ganz offen ihre Pleite thematisieren. Diese Bewegung sehe ich zwar einerseits positiv, weil sie das Tabu bricht, andererseits aber auch kritisch, weil hier nur wieder diejenigen auftreten, die nach einem Rückschlag bereits wieder aufgestanden und vielleicht auch schon wieder erfolgreich sind.

Scheitern ist also nur als Zwischenschritt zum Erfolg gesellschaftlich akzeptiert?

Foto: Dr. Regina Schober von der Univ. Mannheim

Schober: Ja, und diese Sicht lässt ganz Wesentliches außer Acht. So hat das Scheitern zwar tatsächlich auch die Funktion, daraus zu lernen. Darüber darf aber nicht vergessen werden, dass es eine ganze Menge Firmen und Unternehmer gibt, die insolvent werden und nicht wieder aufstehen. Scheitern wird dann zur existenziellen Bedrohung. Eine dritte Funktion des Scheiterns ist übrigens die des Widerstands: Ich scheitere nach äußeren Kriterien ganz bewusst, weil ich nicht alles mitmachen muss, zum Beispiel den Zwang zum permanenten Wachstum.

Ist das Scheitern in der beruflichen oder in der privaten Sphäre stärker negativ besetzt?

Schober: Das ist eine individuelle Frage, die jeder für sich anders beantwortet. Fest steht aber, dass das Gefühl des Scheiterns nicht unbedingt etwas mit dem äußeren Anschein des Erfolgs zu tun haben muss. Denn es gibt auch die Manager in Toppositionen, die ständig meinen, ihren Aufgaben nicht gerecht zu werden, und sich dann als an ihrer Verantwortung Gescheiterte empfinden. Auch ein Problem ist der Zwang zum lebenslangen Lernen. Obwohl das ja zunächst einmal positiv klingt, impliziert der Begriff, dass man nie wirklich qualifiziert genug für die Aufgabe ist, die man gerade zu bewältigen hat. Und dabei spielt es keine Rolle, ob man Topmanager oder Arbeitsloser ist.

Gibt es Dinge, die vor dem Scheitern schützen?

Schober: Tatsächlich gibt es Untersuchungen, die besagen, dass diejenigen Menschen seltener scheitern, die eine realistische Einschätzung von sich, ihren Bedürfnissen und ihrer Leistungsfähigkeit haben. Es sind also gar nicht die Superselbstbewussten die Erfolgreichsten. Umgekehrt darf man sich natürlich auch nicht unter Wert verkaufen. Ein weiterer wichtiger Faktor ist ein stabiles privates Umfeld. Wer dieses hinter sich weiß, setzt nicht alles auf eine Karte, ist dadurch entspannter und verlässt sich darauf, im Zweifelsfall aufgefangen zu werden.

Für welchen Umgang mit dem Scheitern plädieren Sie denn?

Schober: Was wir brauchen, ist ein gelassenerer Umgang mit dem Scheitern, wir sollten es nicht länger als absolut zerstörerisch empfinden. Denn wenn ich heute in einem Lebensbereich vielleicht scheitere, bin ich gleichzeitig in einem anderen erfolgreich. Außerdem müssen wir wegkommen von einer neoliberalen Forderung nach Selbstunternehmertum und Selbstmanagement und uns kritisch fragen: Kann ich durch eine App wirklich meinen Gesundheitszustand dauerhaft so optimieren, dass ich am Ende keine Krankenversicherung mehr brauche? Vermutlich nicht.

Sondern?

Schober: Wir müssen das Individuum aus der alleinigen Verantwortung wieder ein Stück weit entlassen und uns stattdessen die Strukturen anschauen. Wer ist denn am Ende für Arbeitslosigkeit verantwortlich? Der Arbeitslose selbst oder wurden vielleicht bestimmte Bildungschancen verwehrt usw. Nicht jeder hat schließlich dieselben Startvoraussetzungen.

Wie weit ist die Gesellschaft in diesem Bewusstseinsprozess?

Schober: Ich glaube, dass wir durch die Finanzkrise, die Flüchtlingskrise und den weltweiten Terror langsam anfangen, auf gescheitere Strukturen zu schauen und dadurch einen anderen Blickwinkel bekommen. Insofern bin ich optimistisch, dass die Gesellschaft sich auf das besinnen wird, was eigentlich dem Menschen entspricht. Weniger erfreulich finde ich dagegen die technologisch-ökonomischen Entwicklungen, die immer stärker auf die Rationalisierung und Durchoptimierung des gesamten Lebens zielen und den Menschen immer stärker ökonomisieren. Hier sehe ich noch zu wenig kritisches Bewusstsein.

* Info:

Dr. phil. Regina Schober ist akademische Rätin a. Z. an der Universität Mannheim. Sie studierte Anglistik und Musikwissenschaft und promovierte in der amerikanischen Literatur- und Kulturwissenschaft. Derzeit beschäftigt sie sich mit der Frage, wie sich unsere Vorstellungen des (erfolgreichen) Menschen im Zuge der digitalen Medien verändern.


** Das Interview führte:

Alexandra Buba, Nürnberg, ist freie Journalistin und spezialisiert auf die Themen der Steuerberatungsbranche. Ihr besonderer Schwerpunkt sind Management- und IT-Themen (www.medientext.com)



 

 

(STB Web)

Hinweis: Beachten Sie bitte das Datum dieses Artikels. Er stammt vom 16.12.2015, sodass die Inhalte ggf. nicht mehr dem aktuellsten (Rechts-) Stand entsprechen.