17.12.2014 | Interview/Kommentar

Unternehmenserben: Ende aller Privilegien?

Das Bundesverfassungsgericht hat das geltende Erbschaftsteuerrecht teilweise für verfassungswidrig erklärt. Betroffen sind Familienunternehmen, die die Nachfolge planen und bisher von etlichen steuerlichen Privilegien profitiert haben. Prof. Dr. Jochen Lüdicke, Präsident Bundesverband der Steuerberater, erläutert Einzelheiten.

STB Web:
War das Urteil eine große Überraschung?

Prof. Dr. Lüdicke:

Prof. Dr. Jochen Lüdicke

Das Urteil war nach der mündlichen Verhandlung des Bundesverfassungsgerichts in der Kernaussage so zu erwarten gewesen. Es wäre nicht plausibel gewesen, wenn das Bundesverfassungsgericht nicht die Zulässigkeitsfrage über die Tarifverbindung in § 19 ErbStG positiv beantwortet hätte, nachdem dies in der mündlichen Verhandlung nicht hinterfragt wurde. Auch das Votum, dass das Gesetz verfassungswidrig ist, überrascht nicht. Der Detaillierungsgrad der Vorgaben für den Gesetzgeber erklärt sich im Zweifel daraus, dass die Erbschaftsteuer mindestens seit 1987 auf der Basis jeweils verfassungswidrigen Rechts erhoben wird und das Bundesverfassungsgericht, will es effektiven Rechtsschutz gewähren, die Missachtung der Verfassung nicht dauerhaft tolerieren kann.

STB Web:
Welche Auswirkungen wird das Urteil voraussichtlich in der Praxis haben?

Prof. Dr. Lüdicke:
Ganz wesentlich sind die Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts zur Übergangsregelung. Das Bundesverfassungsgericht ordnet – erneut – die Fortgeltung des verfassungswidrigen Rechts an. Es garantiert den Vertrauensschutz bis einschließlich zum 16.12.2014. Ab diesem Datum kann der Gesetzgeber rückwirkend die Begünstigungstatbestände für Betriebsvermögen durch die getroffene – weniger günstige – Neuregelung ersetzen. Dies bedeutet, dass derzeit Betriebsvermögen außer im Falle kleiner Unternehmen bei aktiver unternehmerischer Tätigkeit der Familie und Fortsetzung der Beschäftigung von Mitarbeitern nicht rechtssicher übertragen werden kann. Besonders misslich ist die Situation für Todesfälle. Das Bundesverfassungsgericht spricht an, dass der Gesetzgeber gegen exzessive Ausnutzung der Befreiungen in der Übergangszeit vorgehen könne. Es steht zu hoffen, dass der Gesetzgeber damit nicht Erbfälle rückwirkend höher belastet, da eine Liquiditätsplanung im Unternehmen ohne gesetzliche Grundlage nicht vorgenommen werden kann.

STB Web:
Halten Sie die Verfassungsgerichtsentscheidung für sachgerecht?

Prof. Dr. Lüdicke:
Im Kern ist die Entscheidung richtig. Es ist nicht gut begründbar, dass die Übertragung eines Unternehmens ebenso steuerfrei bleibt wie die Spende an eine gemeinnützige Organisation. Ich finde es allerdings sehr bedauerlich, dass das Bundesverfassungsgericht die vielen zu Lasten von Familienunternehmen gehenden Regelungen unbeanstandet gelassen hat. Insbesondere die systematische Überbewertung im vereinfachten Bewertungsverfahren (§§ 199 ff. ErbStG), die fehlende Berücksichtigung von Verfügungsbeschränkungen und von latenten Steuern bei der Bewertung der Bereicherung sowie die zu eng gefassten Stundungsvoraussetzungen sollten im Rahmen einer Neuregelung korrigiert werden. Noch besser wäre es, wenn der Gesetzgeber den Mut aufbrächte, ein systematisch einwandfreies Erbschaftssteuerrecht ohne Ausnahmen, wie es der Bundesverband der Steuerberater mit dem 10/10-Modell vorgestellt hat, zu regeln.

Mit Prof. Dr. Lüdicke sprach Viola C. Didier. Das Interview erfolgte auf Grundlage der Presseinformation des Bundesverfassungsgerichts vom 17.12.2014.

 


Zur Person:

Steuerberater und Rechtsanwalt Professor Dr. iur. Jochen Lüdicke, Präsident des Bundesverbandes der Steuerberater e.V., ist Partner der internationalen Sozietät Freshfields Bruckhaus Deringer und Honorarprofessor der Heinrich-Heine-Universität in Düsseldorf.

(STB Web)



Hinweis: Beachten Sie bitte das Datum dieses Artikels. Er stammt vom 17.12.2014, sodass die Inhalte ggf. nicht mehr dem aktuellsten (Rechts-) Stand entsprechen.