04.09.2012 | Debatte

Güterichter am Finanzgericht - das Ende der Steuergerechtigkeit?

Von Viola C. Didier *

Auch an den Finanzgerichten soll es in Zukunft Güterichter geben, das regelt das neue Mediationsgesetz vom 25. Juli 2012, das entgegen seiner ursprünglichen Fassung nun die Finanzgerichtsbarkeit ausdrücklich mit einschließt. Im Vorfeld hagelte es diesbezüglich harsche Kritik – nun verrichten die ersten Güterichter ihre Arbeit. STB Web hat vier Finanzrichter zu ihrer Einschätzung befragt.

Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger sieht im neuen Mediationsgesetz einen Meilenstein zur Verbesserung der Streitkultur in Deutschland. Tatsächlich soll der Güterichter mit den Parteien am Verhandlungstisch eine einvernehmliche Lösung finden, ohne den Rechtsstreit letztendlich zu entscheiden. Er kann jedoch – im Gegensatz zum Mediator – eine rechtliche Bewertung vornehmen und darf den Parteien auch eine Lösung des Konflikts vorschlagen. Eine Lösung ist aber nur möglich, wenn beide Streitparteien auch damit einverstanden sind. Und hier liegt auch der Knackpunkt in der Finanzgerichtsbarkeit: BFH-Präsident Rudolf Mellinghoff hat bereits bei seinem Amtsantritt im Januar 2012 im Hinblick auf das Gesetzesvorhaben erklärt, dass es ihm völlig schleierhaft sei, wie der Gesetzgeber für das finanzgerichtliche Verfahren die Gleichmäßigkeit und Gesetzmäßigkeit der Besteuerung derart leichtfertig zur Disposition stellen könne. Das Steuerrecht lebe davon, dass es gesetzmäßig vollzogen werde – und die Steuerschuld gerade nicht einvernehmlich vor einem Güterichter ausgehandelt werden könne. Gegenüber "Focus" betonte Mellinghoff gar, dass sich das Steuerrecht genauso wenig wie das Strafrecht zum Deal eigne – zum einvernehmlichen Handel ohne Gesetzesbindung.


Eine Gefahr für die Steuergerechtigkeit?

Prof. Dr. Lambrecht , Präsident des Finanzgerichts Berlin-Brandenburg.

Mellinghoffs Einwände hält auch Claus Lambrecht, Präsident des Finanzgerichts Berlin-Brandenburg, für berechtigt. „Der Umstand, dass das Finanzgericht Berlin-Brandenburg bislang noch keine Güterichter bestellt hat, zeigt, dass diese Bedenken hier im Hause geteilt werden“, erklärt er. „Das kann und soll aber sicher nicht hindern, dass einzelne Finanzgerichte auf diesem Gebiet versuchsweise neue Wege einschlagen“, sagt Lambrecht. Denn das Finanzgericht Münster hat jüngst mitgeteilt, dass bereits zwei Güterichter ihre Arbeit aufgenommen haben. Johannes Haferkamp, der Präsident des Finanzgerichts Münster, ist zwar auch der Meinung, dass im Steuerrecht kein Platz für "Deals" ist. Der Grundsatz der Gesetzmäßigkeit und Gleichmäßigkeit der Besteuerung verbiete es, eine Lösung außerhalb des Rechts auszuhandeln. „Ich sehe es aber nicht erst seit der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts als Aufgabe der Finanzgerichte an, eine gütliche Beilegung des Rechtsstreites zu befördern“, erklärt Haferkamp. „Mit dem Güteverfahren wird lediglich ein ergänzendes Angebot geschaffen, ein weiterer Weg zur einvernehmlichen Streitbeilegung eröffnet. Einige Finanzgerichte sind bei der Umsetzung schon recht weit, andere mögen da etwas zögerlicher herangehen oder gar von der Einführung von Güterichtern ganz absehen.“


Güterichter als Service-Angebot?

Johannes Haferkamp, Präsident des Finanzgerichts Münster.

„Güterichter am Finanzgericht verfügen - anders als der klassische Mediator - über hohe steuerliche Fachkompetenz. Versucht er im Güteverfahren gemeinsam mit den Verfahrensbeteiligten die bestehenden Konflikte zu bereinigen und eine einvernehmliche interessen- und sachgerechte Streitlösung zu finden, so wird dies innerhalb des rechtlich zulässigen Rahmens geschehen“, betont Haferkamp. Umfasse eine im Güteverfahren gefundene Lösung Themen, die im rechtlichen Sinne nicht "Gegenstand des Klagebegehrens" waren oder die - weil nicht justiziabel - keiner rechtlichen Lösung zugänglich sind, so ist sie an der einen oder anderen Stelle vielleicht "ungewöhnlich" oder "individuell", einen Verstoß gegen den Grundsatz der Gesetzmäßigkeit und Gleichmäßigkeit der Besteuerung sieht Haferkamp darin aber nicht. „Die Aufgabe des Gerichts, den Rechtsfrieden zwischen den Beteiligten wiederherzustellen, erfordert es, im Einzelfall auch Lösungen zu Streitpunkten zu erarbeiten, die über den rein steuerrechtlichen Aspekt des Verfahrens hinausgehen.“


Wenige praktische Fälle

Ulrich Lind, Vorsitzender Richter am Finanzgericht Rheinland-Pfalz.

Mit Blick auf die Praxis dürften gerade in der Finanzgerichtsbarkeit sehr wenige Fälle geeignet für den Güterichter sein. So bietet das Finanzgericht Rheinland-Pfalz bereits seit zwei Jahren eine außergerichtliche Mediation an und wird ab September eine Güterichterin einsetzen. „Aufgrund bisher mit der Mediation gemachten Erfahrungen – und das sind nur sehr wenige Fälle in einem Zeitraum von ca. zwei Jahren – hilft die Güteverhandlung insbesondere in Fällen, in denen beispielsweise emotionale Gegebenheiten Fragen des Steuerrechts überlagern oder auch nur berühren. Dies kann bei Auseinandersetzungen unter den Gesellschaftern bei einem Feststellungsungsverfahren, für einen Elternstreit bei der Kindergeldfestsetzung oder ganz allgemein bei persönlichen Spannungen zwischen den Beschäftigten eines Finanzamts und dem Steuerpflichtigen gelten“, weiß Ulrich Lind, Vorsitzender Richter am Finanzgericht Rheinland-Pfalz. Mit einer merklichen Arbeitsentlastung durch solche Güteverfahren rechnen die Finanzgerichte allerdings allesamt nicht.

„Das Instrument des Güterichters sehe ich schon wegen der nur im geringfügigen Umfang zu erwartenden Fallzahlen allenfalls als Ergänzung des Aufgabenbereichs der Finanzgerichte an“, bestätigt Lind.

Dr. Jörg Grune, Richter am Niedersächsischen Finanzgericht.

„Ich bin allerdings der Ansicht, dass die Einsetzung eines Güterichters schon allein wegen der Chance, Rechtsfrieden ohne ausdrückliche FG-Entscheidungen zu erreichen, sinnvoll sein kann.“


Blick in die Glaskugel – ohne Ergebnis

„Ob das Modell des Güterichters sich generell in der Praxis bewähren wird, muss sich zeigen“, sagt Jörg Grune, Richter am Niedersächsischen Finanzgericht, das in nächster Zukunft Güterichter bestellen will. Man werde erst nach einer Zeit von 1 bis 2 Jahren absehen können, ob sich das „Modell Güterichter“ in der Finanzgerichtsbarkeit bewährt. „Klar ist, dass im Hinblick auf die Gesetzmäßigkeit und Gleichmäßigkeit der Besteuerung ein Aushandeln der Steuerlast nicht zulässig ist. Es kann aber durchaus Fälle geben, in denen sich Sachverhalte im Rahmen eines Güteverfahrens aufklären lassen oder Missverständnisse zwischen Finanzbehörde und Steuerpflichtigen im Rahmen eines Gütetermins ausgeräumt werden können“, so das vorläufige Fazit.

 

* Autorin:

viola_didierViola C. Didier arbeitet in Stuttgart als freie Journalistin für Printmedien, Fachverlage, Online-Portale und Unternehmen. Ihre Spezialgebiete sind Recht und Steuern. Außerdem befasst sie sich mit den Themen Job und Karriere sowie Marketing, PR und Management. Viola C. Didier arbeitet darüber hinaus als freie Redakteurin und Fachlektorin. Die Juristin gründete 2003 das spezialisierte Redaktionsbüro RES JURA für Recht, Steuern und Wirtschaft.


(STB Web)

Hinweis: Beachten Sie bitte das Datum dieses Artikels. Er stammt vom 04.09.2012, sodass die Inhalte ggf. nicht mehr dem aktuellsten (Rechts-) Stand entsprechen.