30.07.2025 | KI in der Steuerberatung

Zwischen Algorithmus und Augenmaß

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Von Gregor Fischer

Werden Arbeitsschritte an eine KI delegiert, so sollte man das wohlüberlegt tun. Denn verantwortlich bleibt am Ende der Berufsträger. Wer allerdings die Potenziale der KI versteht und verantwortungsvoll nutzt, kann seinen Berufsalltag nachhaltig optimieren und damit viele Freiräume schaffen. Die Zukunft des Berufsstands liegt in der klugen Kombination aus künstlicher Intelligenz und menschlicher Fachkompetenz.

Gregor Fischer
Gregor Fischer ist Leitender Architekt für Künstliche Intelligenz bei Wolters Kluwer Tax & Accounting Deutschland GmbH

Künstliche Intelligenz (KI) verändert die Arbeitswelt in nahezu allen Branchen grundlegend, einschließlich der Steuerberatung. Viele Prozesse, die bisher von Hand erledigt wurden, können durch KI automatisiert oder effizienter gestaltet werden. Die gewonnene Produktivität kann neue Tätigkeitsfelder eröffnen oder dem Fachkräftemangel in der Steuerberatung entgegenwirken.

Um wettbewerbsfähig zu bleiben, ist es essenziell, sich mit KI auseinanderzusetzen und sie zu nutzen. Und auch wenn deutsche Steuerexperten laut einer Studie von Wolters Kluwer mit 36 Prozent dabei den höchsten Anteil in Europa haben, so wirkt sich der durch ChatGPT ausgelöste KI-Boom mit Generativer KI (GenAI) bei deutschen Unternehmen, basierend auf ihrer subjektiven Interpretation, noch kaum aus, wie aus einer ZEW-Studie hervorgeht.

KI spricht Ihre Sprache

Künstliche Intelligenz bietet zahlreiche Möglichkeiten, die Arbeit in einer Steuerkanzlei zu optimieren. Sprachmodelle haben das Verständnis von Text durch IT-Systeme revolutioniert. KI kann Inhalte verstehen und erstellen und damit Prozesse unterstützen, die noch vor wenigen Jahren Menschen vorbehalten waren.

Beispiele:

  • Den Sachverhalt eines Belegs verstehen und steuerlich einordnen.
  • Das Urteil zu einem Steuerverfahren lesen, die Betroffenheit eines Mandanten überprüfen und ihm das Urteil ohne Fachbegriffe und angepasst auf seine konkrete Situation erläutern.
  • Den Mandanten auffordern, Belege nachzureichen und anschließend überprüfen, ob alles Angeforderte auch geliefert wurde.
  • Aufbereiten und Erläutern von Daten sowie Erstellen von Berichtsinhalten.

Alles, was mit textuellen Inhalten und Kommunikation zu tun hat, kann bereits heute mit KI angereichert werden. Besonders die Möglichkeit zur Individualisierung bietet einen erheblichen Mehrwert: Die Berücksichtigung von Vorwissen, Präferenzen und spezifischem Kontext steigert den Wert der Inhalte für Verwender signifikant. Man stelle sich vor, alle Lernmaterialien wären immer genau so aufbereitet, wie man selbst am besten lernt.

Erklären statt nur auswerten

Künstliche Intelligenz ist jedoch nicht nur für die Verarbeitung von Text geeignet. Ursprünglich war Datenanalyse die Paradedisziplin von KI, die jetzt zusammen mit den Sprachfähigkeiten neue Anwendungsmöglichkeiten eröffnet. Die Fähigkeit in einer natürlichsprachlichen Konversation Daten zu analysieren, Muster oder Auffälligkeiten zu erkennen und diese verständlich zu erläutern, eröffnet neue Perspektiven. So lassen sich z.B.

  • Auffälligkeiten und Unregelmäßigkeiten in der Buchführung entdecken,
  • Fehler identifizieren, bevor sie weitergegeben werden,
  • Beratungspotentiale identifizieren und maßgeschneiderte Leistungen anbieten,
  • Prognosen erstellen, Empfehlungen ableiten und Entscheidungen unterstützen.

Das steigert die Qualität der Arbeitsergebnisse, reduziert Risiken und erschließt neue Mehrwerte.

Verantwortung bleibt menschlich

Obwohl der Einsatz von KI großes Optimierungspotential bietet, bringt er auch Herausforderungen mit sich. KI-Modelle sind stochastische Näherungen an die gestellten Aufgaben und können daher Fehler machen. Das ist aber nicht grundsätzlich neu, Fehler passieren jedem. Entscheidend ist vielmehr der Umgang damit und allgemein mit den Konsequenzen des KI-Einsatzes:

  • Qualifikation: Die beruflichen Fähigkeiten und Kenntnisse eines neuen Mitarbeiters sind ein wichtiges Element für dessen Arbeitsergebnisse. Auch KI-Lösungen sollten nach ihren aufgabenbezogenen Fähigkeiten und der Vertrauenswürdigkeit des Anbieters, diese stabil bereitzustellen, ausgewählt werden.
  • Operative Kontrolle: Arbeitsergebnisse müssen, je nach den Erfahrungen, mehr oder weniger intensiv kontrolliert werden. Wie Mitarbeitende entwickeln sich KI-Systeme oft mit der Zeit weiter. Wenn Kontrollmaßnahmen dann regelmäßig überprüft werden, werden sie zur echten Unterstützung.
  • Veränderung der Tätigkeit: Werden Aufgaben delegiert, ändert sich auch die eigene Tätigkeit: Von der Durchführung von Arbeitsschritten hin zu mehr Kontrolle der Ergebnisse. Skeptische Mitarbeitende sind durch geeignete Maßnahmen zu unterstützen.

Werden Arbeitsschritte an eine KI delegiert, so sollte man das wohlüberlegt tun. Von der Auswahl über die Ergebniskontrolle bis zum Changemanagement gibt es jedoch bekannte Ansätze, um Auswirkungen und Risiken zu kontrollieren. Verantwortlich bleibt am Ende der Berufsträger.

Mandantendaten bleiben sensibel

Dem Thema Datensicherheit und Datenschutz muss im Kontext KI noch besondere Beachtung geschenkt werden. Der Schutz sensibler Mandantendaten hat höchste Priorität. Kanzleien und Unternehmen müssen sicherstellen, dass KI-Systeme den gesetzlichen Anforderungen entsprechen, kein unbefugter Zugriff auf vertrauliche Informationen erfolgt und Daten nur zum vereinbarten Zweck verarbeitet werden.

Während sich gerade freie Angebote die Nutzung oft durch Daten bezahlen lassen und daher die Anforderungen häufig nicht erfüllen, gibt es auch vertrauenswürdige Lösungen, die eine konforme Nutzbarkeit ermöglichen. Jede Kanzlei sollte im Rahmen ihrer KI-Richtlinie klarstellen, welche Lösungen geeignet sind.

Gemeinsam lernen und weiterentwickeln

Die Arbeitsprozesse in den Steuerkanzleien werden sich mit dem zunehmenden Einsatz von KI wieder einmal verändern. Um wettbewerbsfähig zu bleiben, müssen Steuerberater und Kanzleimitarbeitende lernen, KI-Systeme effektiv zu nutzen.

KI verstärkt das Potenzial aus der Digitalisierung von Prozessen, ermöglicht die Automatisierung von weiteren Arbeitsschritten und unterstützt die Bearbeitung von Inhalten und Kommunikationsvorgängen. Dennoch bleibt die menschliche Expertise unersetzlich. Zusammen bietet sich eine große Chance auf neue Wertschöpfung.

Glossar

  • Künstliche Intelligenz ist die Imitation menschlicher Fähigkeiten wie logisches Denken, Lernen, Planen und Kreativität durch eine Maschine. In der Automatisierung kann sie eingesetzt werden, um Arbeitsschritte auszuführen und Ergebnisse zu prüfen. So optimiert KI-Prozesse, entlastet Mitarbeiter und steigert die Produktivität.
  • Maschinelles Lernen wird eingesetzt damit KI-Systeme diese Fähigkeiten erlangen. Algorithmen analysieren Trainingsdaten, um Muster zu erkennen, Zusammenhänge zu identifizieren und Prognosen abzuleiten. Spam-Filter für E-Mails nutzen z.B. bereits seit Jahren diese Verfahren.
  • Deep Learning ist eine fortgeschrittene Art von Maschinellem Lernen, die Künstliche Neuronale Netze nutzt, modelliert nach der Funktionsweise des menschlichen Gehirns.
  • Reinforcement Learning beschreibt eine Methode, bei der gewünschte Ergebnisse eines lernenden Systems durch Rückmeldungen verstärkt und unerwünschte vermieden werden. Erfolgt das Feedback durch einen Menschen, spricht man von "Human in the Loop".
  • Generative KI bezieht sich auf KI-Systeme, die neue Inhalte generieren, wie Texte, Gedichte, Bilder, Musik oder Softwarecode. Die mit Deep Learning erlernten Zusammenhänge erzeugen zusammen mit Zufallselementen immer neue Ergebnisse.
  • Sprachmodelle bilden die Grundlage für generative KI-Systeme, die mit Text arbeiten. Sie haben die Bedeutung und Zusammenhänge von Sprachen gelernt. Oft wird mit Reinforcement Learning zusätzlich auch ein bestimmtes Verhalten trainiert, wie z.B. die Beantwortung von Fragen oder das Befolgen von Anweisungen im Text.
  • Multimodale Modelle verarbeiten nicht nur Text, sondern verschiedene andere Eingabetypen. Neben Text können auch Bilder, Audio oder Video als Eingabe- bzw. Ausgabekanal genutzt werden.

Autor

Foto: Gregor Fischer / Quelle: Wolters Kluwer

Gregor Fischer ist Leitender Architekt für Künstliche Intelligenz bei Wolters Kluwer Tax & Accounting Deutschland GmbH (www.wolterskluwer.de).