29.08.2024 | Fachartikel/Urteilsbesprechung
Von RAin Susanne Christ, Fachanwältin für Steuerrecht
Bei schenkweiser (unentgeltlicher) Übertragung eines Unternehmens auf eine andere Person wird in der Regel auch vereinbart, dass sämtliche Aktiva und Passiva übergehen sollen. Bei Passiva werden dabei Freistellungsvereinbarungen getroffen. Was folgt aber, wenn die beschenkte Person der Freistellungsverpflichtung, etwa wegen einer Insolvenz, nicht nachkommt?
Aktiva können zivilrechtlich grundsätzlich ohne Zustimmung der Schuldner auf eine andere Person übertragen werden; bei Passiva ist das ohne Zustimmung der Gläubiger grundsätzlich nicht möglich. Hier hilft sich die Praxis mit Freistellungsvereinbarungen, nach denen die das Unternehmen übernehmende Person die übergebende Person von der Inanspruchnahme freizustellen hat. Der BFH hatte sich aktuell mit der Frage zu beschäftigen, ob bei der schenkenden Person nachträgliche Betriebsausgaben entstehen, wenn die beschenkte Person der Freistellungsverpflichtung, etwa wegen einer Insolvenz, nicht nachkommt bzw. nicht nachkommen kann.
Eine Tochter übertrug 2004 ein Einzelunternehmen unentgeltlich auf ihren Vater (zurück), der auch sämtliche Aktiva und Passiva übernahm und sich verpflichtete, seine Tochter von Passiva, deren Schuldnerin die Tochter zivilrechtlich blieb, freizustellen. Zeitgleich und nach der unentgeltlichen Übertragung führte die Tochter mit der Urlaubskasse Rechtsstreitigkeiten über nicht geleistete Beiträge für den Zeitraum bis 2004 und wurde rechtskräftig verurteilt, diese nachzuentrichten. Einen Teil der Schulden glich der Vater im Rahmen seiner Freistellungsverpflichtung aus, infolge seiner Insolvenz zahlte die Tochter als zivilrechtliche Schuldnerin den Restbetrag von knapp 30.000 Euro in den Veranlagungszeiträumen 2014 bis 2016. Finanzamt und Finanzgericht verwehrten ihr den Abzug dieser Aufwendungen als nachträgliche Betriebsausgaben aus ihrer früheren Unternehmenstätigkeit, weil sie ihre Verbindlichkeiten gegenüber der Urlaubskasse bereits im Zeitraum ihrer eigenen Unternehmenstätigkeit bis 2004 als Rückstellungen hätte steuermindernd erfassen können.
Dieser Auffassung erteilt der BFH mit Urteil vom 6.5.2024 (Az. III R 7/22) eine Absage. Zwar sei es richtig, dass für diese Verbindlichkeiten Rückstellungen hätten gebildet werden müssen; die Bilanzen könnten aber wegen formeller Bestandskraft nicht mehr geändert werden. Durch die Unternehmensübertragung können diese Verbindlichkeiten gar nicht mehr als Rückstellungen erfasst werden; wenn, hätte der Vater Rückstellungen für bestehende Freistellungsverbindlichkeiten bilden können. All das ändert aber ohnehin nichts an den zivilrechtlichen Wirkungen.
Verbindlichkeiten eines Einzelunternehmens bleiben zivilrechtlich Schulden der Unternehmerin, die diese Schulden begründet hat. Eine Freistellungsvereinbarung bewirkt lediglich, dass im Innenverhältnis die das Unternehmen übernehmende Person diese Schulden zu zahlen hat. Soweit es tatsächlich zu einer Freistellung durch die übernehmende Person kommt, stehen den nachträglichen Betriebsausgaben nachträgliche Betriebseinnahmen gegenüber, so dass sich die nachträglich entstehenden Betriebsausgaben bei der schenkenden Person grundsätzlich steuerlich nicht auswirken.
Kommt es jedoch, wie im Streitfall, nicht vollständig zu einer Freistellung durch die beschenkte Person, handelt es sich um nachträgliche Betriebsausgaben, die nach § 24 Ziff. 2 i.V.m. § 4 Abs. 4 EStG im Zeitpunkt der Zahlung als nachträgliche Betriebsausgaben steuermindernd anzusetzen sind. Und zwar auch dann, wenn zuvor die Bildung von Rückstellungen versäumt wurde. Die bis zum Betriebsübergang unterlassene Passivierung der Beitragspflichten führt nicht, wie der BFH ausdrücklich betont, zu einer Sperrwirkung für den Abzug nachträglicher Betriebsausgaben. Eine solche Sperrwirkung ist im Gesetz nicht vorgesehen. Da die an die Urlaubskasse geleisteten Zahlungen durch die betriebliche Tätigkeit der Tochter unstreitig veranlasst worden seien, und eine Übernahme durch den Vater (Freistellung) nicht erfolgt sei, handele es sich eindeutig um Betriebsausgaben, die nachträglich entstanden sind.
Unentgeltliche Betriebsübergaben haben im Zusammenhang mit der Regelung vorweggenommener Erbfolgen hohe praktische Bedeutung. Bei einer Betriebsübertragung eines Einzelunternehmens können – das wird häufig in der Praxis nicht ausreichend beachtet - Schulden des Unternehmens nicht ohne Zustimmung der Gläubiger auf eine andere Person schuldbefreiend übertragen werden. Dieser Grundsatz gilt selbstverständlich auch, wenn ein Unternehmen übertragen wird. Einer Gläubigerin soll nicht ohne deren Zustimmung ein neuer Schuldner aufgezwungen werden.
Wird ein Einzelunternehmen mit allen Aktiva und Passiva auf eine andere Person übertragen, bleibt die bisherige Unternehmerin zivilrechtlich Schuldnerin; mit der übernehmenden Person kann – und das ist in der Praxis auch üblich – eine Freistellungsvereinbarung getroffen werden, nach der die Schulden intern von dem neuen Unternehmen getragen werden sollen. Dabei handelt es sich lediglich um eine schuldrechtliche Vereinbarung; scheitert die Freistellung, geht das zulasten der bisherigen Unternehmensinhaberin. Wem das zu unsicher ist, kann Sicherheiten, etwa eine Bürgschaft oder Grundschuld vereinbaren; dies ist in der Praxis bei einer schenkweisen Übertragung eines Unternehmens aber eher unüblich.
Kommt es aber aufgrund dieser zivilrechtlichen Regelung zu einer Inanspruchnahme der bisherigen Betriebsinhaberin, sind diese Aufwendungen steuerlich als nachträgliche Betriebsausgaben bei ihr entsprechend dem Zufluss- und Abflussprinzips im Zeitpunkt der Zahlung nach § 24 Ziff. 2 EStG steuerlich abziehbar. Dies soll auch dann gelten, wenn es versäumt wurde, für diese Verbindlichkeiten zuvor Rückstellungen zu bilden.
Autorin:
Susanne Christ ist Rechtsanwältin und Fachanwältin für Steuerrecht mit eigener Steuer-, Erb- und Wirtschaftskanzlei in Köln. Seit Juni 2023 ist sie Sprecherin des Erbrechtsausschusses beim Kölner Anwaltsverein. Daneben ist sie langjährige Fachautorin der Haufe Mediengruppe und bei STB Web sowie Dozentin in den Bereichen Einkommen-, Umsatz- und Erbschaftssteuer. Außerdem ist sie Mitautorin des Kommentars „Nachfolgebesteuerung“ (Schmid, Hrsg.), der seit 2019 im Nomos Verlag erscheint. E-Mail: s.christ@netcologne.de