30.03.2023 | Interview

»Digitalisierung ist bei uns ein Hasswort«

Von Alexandra Buba / Interview mit Stefan Kaumeier

Warum führt Digitalisierung nicht zu deutlich mehr Effizienz? Das fragen sich etliche Kanzleien angesichts einer stetig wachsenden Menge an Arbeit, zu wenig Personal und anspruchsvollen Mandanten. Tatsächlich liegt hier ein Missverständnis vor, wenn man Stefan Kaumeier, Geschäftsführer von dekodi - Deutscher Konverterdienst GmbH aus Fürth, folgt. Denn nicht die Digitalisierung an sich, sondern erst die Automatisierung birgt die Potenziale. Kanzleien steckten aber in der Technizität fest. Doch sie könnten da herauskommen.

(Aktualisierung des Beitrags am 5.7.2023 mit Korrekturen)

"Nicht die Digitalisierung an sich, sondern erst die Automatisierung birgt die Potenziale", sagt Stefan Kaumeier, Geschäftsführer von dekodi - Deutscher Konverterdienst GmbH aus Fürth (Foto: © iStock.com/NicoElNino)

STB Web:
Herr Kaumeier, Digitalisierung und Automatisierung werden oftmals quasi als Synonyme verwendet - das sehen Sie anders. Weshalb?

Stefan Kaumeier:
Digitalisierung ist bei uns ein Hasswort. Denn die Tatsache, dass ich etwas irgendwie elektronisch mache, heißt ja nicht, dass ich es effizient tue. Das Ziel muss Automatisierung sein, das heißt, ich fasse etwas überhaupt nicht mehr an, die Datenströme fließen ungehindert, dahinter liegen dann nur noch Kontrollroutinen - die wiederum automatisiert sind. Das ist keine Zukunftsmusik, sondern Stand der Technik. OCR-Erkennung hingegen ist Technologie aus dem letzten Jahrhundert.

STB Web:
Das überrascht jetzt vielleicht diejenigen Kanzleien, die fleißig Belege scannen und danach Buchungsvorschläge händisch freigeben...

Foto: © Stefan Kaumeier, dekodi

Stefan Kaumeier:
Das liegt daran, dass sich die wenigsten Steuerberater*innen mit diesen Themen auseinander setzen. Es genügt, dass etwas grün ist und aus Nürnberg kommt, sage ich jetzt mal salopp. Es wird einfach auf Technik gesetzt und nicht auf Prozesse, das ist das Kernproblem. Auch die sich zuspitzende Problematik, dass Personal fehlt und gleichzeitig die Aufgaben zunehmen, führt lediglich dazu, dass die Kanzleien versuchen, stärker die Möglichkeiten ihrer Programme auszuschöpfen. Das Ergebnis ist Technizität, die nicht das gewünschte Ergebnis liefern kann.

STB Web:
Sie sehen durch diese Haltung gepaart mit der Innovationskraft anderer noch mehr Probleme als schiere Ressourcenknappheit auf die Kanzleien zukommen - welche sind das?

Stefan Kaumeier:
Noch geht es den Kanzleien sehr gut. Dadurch, dass die Gesamtbranche kaum noch hinterherkommt, ihre Vorbehaltsaufgaben zu erfüllen, kann sie durch den Nachfrageüberhang seitens der Mandanten Preise fast nach Belieben aufrufen. Doch wir sehen auch, dass erste Kanzleien, die noch komplett analog arbeiten, nicht mehr verkäuflich sind.

Es genügt, dass etwas grün ist und aus Nürnberg kommt, sage ich jetzt mal salopp.

Der Kipppunkt kann erreicht sein, wenn über die europäische Ebene eines Tages doch der Vorbehalt der Umsatzsteuervoranmeldung fällt und gleichzeitig gewerbliche Anbieter bereitstehen, die sowohl die Technik als auch die Prozesse beherrschen. Die können sich dann die Rosinen heraus picken und diktieren, mit welchen Steuerkanzleien sie überhaupt noch zusammenarbeiten wollen. Es gibt heute schon einen Abrechner von Wertpapierhändlern, der seinen Kunden nur noch vier Kanzleien für die Zusammenarbeit als Option lässt. Dahin wird sich der Markt mittelfristig entwickeln. 

STB Web:
Wie schaffen es Kanzleien, zu diesem Vierer-Kreis, oder allgemein gesprochen, zu denen zu gehören, die als professionelle Mit-Dienstleister dabei sein werden? 

Stefan Kaumeier:
Indem sie heute ihre Prozesse anschauen. Das hat mit Technik erst einmal gar nichts zu tun, es ist aber vor allem eines: Chefaufgabe und nicht delegierbar. Wir sehen etwa zwei Prozent der Kanzleien, die damit begonnen haben, ihre Lösungen, die sie von den Kanzleisoftwareanbietern bekommen, auf die Kernprozesse zurückzufahren und sich außen herum eine Infrastruktur schaffen, die für sie und ihre Mandanten optimal passt. Denn die Lösungen gibt es ja alle, man findet sie ganz leicht über Google.

STB Web:
Welche Arten von Kanzleien sind das?

Der Mittelstand ist hier im Übrigen viel weiter, ganz einfach weil dort die 'Digitalisierung' Chefaufgabe ist.

Stefan Kaumeier:
Ausdrücklich nicht die großen Verbünde, sondern zumeist Kanzleien mit etwa zwölf bis 20 Mitarbeitenden. Sie durchleuchten im ersten Step ihre Prozesse auf der Suche nach Vorgängen, die sich standardisieren lassen. Danach schaffen sie sich Lösungen dafür. Der Mittelstand ist hier im Übrigen viel weiter, ganz einfach weil dort die 'Digitalisierung' Chefaufgabe ist und weniger an die Mitarbeitenden delegiert wird.

STB Web:
Haben denn die Kanzleien das technische Know-how dafür, die Architektur ihrer Lösungslandschaft in die eigenen Hände zu nehmen?

Stefan Kaumeier:
Mehrheitlich leider nicht. Viele wissen zum Beispiel nicht, dass sich heute aus nahezu jeder PDF-Rechnung auch ohne OCR-Erkennung Daten sauber auslesen lassen oder kennen APIs nicht. Diese APIs sind die Lastenesel der Automatisierung - und relativ einfach anzuprogrammieren. Das merken auch die Steuerfachangestellten, die in unserem 2017 entwickelten Lehrgang ‚Buchhaltroniker®‘ sitzen: Erst heißt es immer 'wir sind doch keine Entwickler'. Das ist dann aber ganz schnell vergessen, wenn sie die Möglichkeiten sehen. Übrigens zahlen viele von ihnen ihren Lehrgang selbst, ganz einfach, weil sie dies als notwendige Investition in ihre berufliche Zukunft sehen.

STB Web:
Der Begriff ‚Buchhaltroniker®‘ und die entsprechende Weiterbildung stammen von Ihnen und Sie qualifizieren damit Kanzleimitarbeiter - wozu genau?

Stefan Kaumeier:
In der Zukunft wird es Mitarbeitende brauchen, die Datenströme sauber steuern können. Heute können viele Kanzleien zum Beispiel kaum eine Datev-Schnittstelle selbst einrichten. Das muss und wird sich ändern. Denn das Ziel ist, dass möglichst viele Daten einfach fließen und kein Eingreifen mehr notwendig ist.

STB Web:
Ist das fehlende technische Wissen die einzige Hürde, die Steuerkanzleien nehmen müssen, um den Sprung in die Zukunft zu schaffen?

Das Ziel ist, dass möglichst viele Daten einfach fließen und kein Eingreifen mehr notwendig ist.

Stefan Kaumeier:
Nein, tatsächlich nicht. Hinzu kommt die mangelnde Bereitschaft, zur Mandantschaft raus zu gehen, ihre Vorsysteme zu analysieren und ihr aufzuzeigen, wie die Zusammenarbeit mit der Kanzlei laufen muss. Das ist eine Frage des Mindsets, das bislang so gepolt war, dass 'der Mandant irgendetwas bringt und wir dann schon machen'. Das funktioniert nicht mehr besonders gut. Richtig deutlich wird das im Onlinehandel, wo es chaotisch wird, wenn ein durchschnittlicher Händler mit vielleicht 15.000 monatlichen Rechnungen keine korrekt eingerichtete Warenwirtschaft hat. Die Steuerkanzleien müssen dahin gehen, wo die Daten wachsen und sie entsprechend ihrer Bedürfnisse einfordern.

STB Web:
Das klingt nach viel Aufwand für wenig Ergebnis...

Stefan Kaumeier:
Wenn Sie sich vorstellen, dass zum Beispiel bei einer Fastfood-Kette die ersten sechs Kreditoren 70 Prozent der gesamten Buchhaltung ausmachen, dann ist da eine Menge Potenzial. Letztlich geht es auch darum, am Ende eine saubere Dienstleistungsdefinition zu haben, mit der Klärung von Bring- und Holschuld und so weiter. Und wenn es nach einigen Anläufen nicht funktioniert, muss man sich auch von einem Mandat trennen.

Wenn es nach einigen Anläufen nicht funktioniert, muss man sich auch von einem Mandat trennen.

STB Web:
Um beim Mentalen zu bleiben: Loslassen ist ja generell ein zentrales Stichwort bei der Automatisierung, oder?

Stefan Kaumeier:
Ja, wir werden in Zukunft Mitarbeitende brauchen, die ihren inneren Frieden damit haben, Buchhaltung zu machen, ohne dabei Belege anzusehen. Parallel dazu läuft ein echtes Kontrollsystem, das viel sauberer das erledigt, was bisher nur über den Tresen gemacht worden ist. Denn hier komme ich noch einmal auf den Onlinehändler zurück: Wenn sie von 15.000 monatlichen Rechnungen ausgehen, bei denen hinter jedem Buchungssatz die Belege dahinter hängen, schaffen sie es nicht, eine statistisch saubere Stichprobe zu machen. Selbst wenn, würde Ihnen das Anschauen des Belegs gar nichts nützen, weil zum Beispiel das Versendungsland nicht drauf steht. Dieses wiederum haben sie aber sehr wohl in den Daten.

Zur Person

Stefan KaumeierStefan Kaumeier ist Geschäftsführer von dekodi - Deutscher Konverterdienst GmbH aus Fürth (www.dekodi.de). Das Unternehmen bietet seit 2014 Konverter- und Schnittstellenlösungen für das prozessoptimierte Rechnungswesen. Im Zentrum steht dabei die betriebswirtschaftliche Perspektive. dekodi beschäftigt 15 Mitarbeitende.

Alexandra BubaDas Gespräch führte Alexandra Buba. Sie ist freie Journalistin und spezialisiert auf die Themen der Steuerberatungsbranche (www.medientext.com) und schreibt regelmäßig für die STB Web-Redaktion.

 


Hinweis: Beachten Sie bitte das Datum dieses Artikels. Er stammt vom 30.03.2023, sodass die Inhalte ggf. nicht mehr dem aktuellsten (Rechts-) Stand entsprechen.