28.01.2021 | KMU-Beratung

Keine Angst vor dem Sorgfaltspflichtengesetz

Teletax

Von Alexandra Buba / Interview mit Erik Wessels

In Deutschland rückt die menschenrechtliche Sorgfalt immer mehr in den Vordergrund und somit auch die Debatte um das Sorgfaltspflichtengesetz, oft Lieferkettengesetz genannt. Besonders kritisiert wird das Gesetz seitens der Wirtschaftsverbände. Dabei bestimmen oft Missverständnisse die Kommunikation und viele Unternehmen haben in der Praxis längst menschenrechtliche Sorgfaltsprozesse umgesetzt. Unterstützung erhalten sie dabei vom Helpdesk Wirtschaft & Menschenrechte der Bundesregierung - vertraulich, kostenlos und individuell, wie dessen Leiter Erik Wessels erklärt.

Können KMU wirklich Details ihrer Lieferketten kontrollieren, etwa wenn sie Schrauben von einem großen Händler in Übersee bestellen? (Foto: © iStock.com/Maksim Safaniuk)

STB Web:
Herr Wessels, Helpdesk wurde 2017 als Teil der Agentur für Wirtschaft und Entwicklung eingerichtet - hatten Sie seither eine nennenswerte Anzahl an Anfragen seitens der Unternehmen zum Thema "Menschenrechte"?

Erik Wessels:
Und ob – bisher haben wir 900 Einzelberatungen durchgeführt und eine Vielzahl von Veranstaltungen organisiert. Grob kann man sagen, dass sich die Zahl der Unternehmen, die unsere Beratungsleistungen in Anspruch nehmen, pro Jahr verdoppelt. Dabei sind DAX-Firmen genauso vertreten wie Einzelunternehmer, etwa ein Friedhofsverwalter, der sicherstellen wollte, dass die Grabsteine nicht mithilfe von Kinderarbeit hergestellt werden.

STB Web:
Sie richten sich bewusst an Unternehmen aller Größenordnungen...

Ein Unternehmen allein kann die Welt nicht retten.

Erik Wessels:
Genau richtig. Unser Angebot richtet sich an kleine und mittelständische Unternehmen (KMU) ebenso wie an große Unternehmen. Ein Unternehmen allein kann die Welt nicht retten, deshalb richten wir uns an alle. Natürlich ist der Leverage größer, wenn wir Unternehmen mit über 500 Mitarbeitenden beraten. Doch gerade die kleineren Firmen haben oft nicht die Ressourcen, menschenrechtliche Sorgfaltsaspekte in Eigenregie zu berücksichtigen.

STB Web:
Das kritisieren KMU ja häufig auch, wenn es um das geplante sogenannte Lieferkettengesetz geht. Was halten Sie davon?

Foto: Erik Wessels, Helpdesk Wirtschaft & Menschenrechte der Bundesregierung

Erik Wessels:
KMU unter 500 Mitarbeitenden sind ja erst einmal von einem geplanten Gesetz nur indirekt betroffen. Zudem ist der Nationale Aktionsplan Wirtschaft und Menschenrechte (NAP) sehr klar darin, dass Unternehmen der menschenrechtlichen Sorgfalt in einer ihrer „Größe, Branche und Position in der Liefer- und Wertschöpfungskette angemessenen Weise“ Rechnung tragen sollen. Damit setzt der NAP die VN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte um. Oft haben auch KMU schon Prozesse – z.B. im Bereich Umwelt oder Arbeitssicherheit – die menschenrechtliche Aspekte adressieren. Sie fangen also nicht bei „null“ an.

STB Web:
Andere fürchten aber ein Bürokratiemonster...

Weniger als 20 Prozent der Unternehmen erfüllen derzeit die Anforderungen.

Erik Wessels:
Klar ist, dass die bisherige Freiwilligkeit noch nicht den erwünschten Effekt hatte: Der NAP-Monitoring-Prozess kam zu dem Ergebnis, dass weniger als 20 Prozent der Unternehmen die NAP-Anforderungen erfüllen – womit der von der Bundesregierung gesetzte Zielwert von 50 Prozent „NAP-Erfüllern“ verfehlt wurde. Außerdem geht es nicht darum mehr Papier zu produzieren. Es gibt viele Unternehmen, die eine gesetzliche Regelung befürworten. Sie ärgern sich momentan darüber, dass sie mit Wettbewerbern konkurrieren, die sich eben nicht an menschenrechtlichen Aspekten orientieren.

Es soll keine Haftung für das Verhalten Dritter geben.

STB Web:
Aber können KMU wirklich Details ihrer Lieferketten kontrollieren?

Erik Wessels:
Wie aus Verhandlungskreisen bekannt ist, soll es keine Haftung für das Verhalten Dritter geben. Außerdem ist keine Erfolgs- sondern nur eine Bemühungspflicht vorgesehen. Natürlich ist es schwierig, Einfluss auf die Löhne oder Arbeitszeiten in anderen Ländern nehmen zu wollen – diese jedoch als Risiko zu identifizieren und Maßnahmen zur Risikominimierung einzuleiten, ist jedem Unternehmen möglich.

STB Web:
Es muss also keiner fürchten, dass er chinesische Lieferanten verprellt, wenn er nach Menschenrechten fragt?

Erik Wessels:
Hier gilt ganz klar: Die größeren müssen aufgrund ihrer Marktstellung mehr machen. Wenn ein deutsches KMU ein paar Schrauben von einem großen Händler in Übersee bestellt, dann ist klar, dass es kaum Einflussmöglichkeiten hat – und auch keinen Dialog darüber aufnehmen muss. Wichtig ist zuerst einmal eine solide Risikoanalyse, die die Risiken für Menschenrechtsverletzungen im eigenen Unternehmen und in den Geschäftsbeziehungen aufzeigt. Welche Maßnahmen das Unternehmen dann ergreifen sollte, hängt von mehreren Faktoren ab, darunter die Schwere der (potenziellen) Menschenrechtsverletzung und die Einflussmöglichkeiten des Unternehmens.

Die Firmen wollen als deutsche Abnehmer ja nicht als „Ausbeuter“ auftreten.

STB Web:
Größere Unternehmen wissen aber, wie man diese Dinge bespricht?

Erik Wessels:
Schon jetzt bemühen sich viele Unternehmen Menschenrechte zu achten und haben etwa durch Trainings und Engagement vor Ort einiges in Entwicklungs- und Schwellenländern bewegt. Die Firmen wollen als deutsche Abnehmer ja nicht als „Ausbeuter“ auftreten, sondern verlässliche, faire und langfristige Lieferbeziehungen etablieren. Ganz abgesehen vom Reputationsrisiko möchte niemand dafür verantwortlich sein, dass in Bangladesch eine Fabrik abbrennt und dort Arbeiter*innen sterben, da keine Notausgänge vorhanden sind wie beim Beispiel Rana Plaza im Jahr 2013.

STB Web:
Noch einmal zurück zu den kleineren Unternehmen und ihren Beratern – was empfehlen Sie diesen?

Erik Wessels:
Sich dem Thema in wenigen konkreten Schritten zu nähern. Einen guten Einstieg bietet hier unser kostenloses Online-Tool für KMU. Wir stellen in unseren Beratungen fest, dass manchmal schon kleine Umstrukturierungen genügen, um Fortschritte zu erzielen.

Es geht nicht darum alles von heute auf morgen umzusetzen, sondern um kontinuierliche Verbesserung. Sobald die ersten Schritte gemacht wurden, stellen sich die weiteren Fragen, die einen tiefer in den Prozess führen. Hier agiert der Helpdesk als Sparringspartner und begleitet KMU gerne durch die Veränderungsprozesse.

Neben unseren Beratungen gibt es aber auch diverse Brancheninitiativen, die sich für Menschenrechte und Sozialstandards in den Lieferketten einsetzen – wie etwa das Bündnis für nachhaltige Textilien oder Together for Sustainability in der Chemieindustrie.

STB Web:
Keine Angst also vor dem "Lieferkettengesetz"?

Erik Wessels:
Nein, das geplante Sorgfaltspflichtengesetz sorgt nicht nur für eine stärkere Berücksichtigung der Menschenrechte, sondern letztlich für faire Wettbewerbsbedingungen, von denen deutsche Unternehmen profitieren werden. Denn immer weniger Verbraucher*innen ist die Herkunft der Produkte, die sie kaufen, egal. Beinahe allen ist heute klar, dass Kinderarbeit oder 72-Stunden-Arbeitswochen für Näherinnen unethisch sind. Und davor kann man in einer informierten Welt schlichtweg nicht mehr die Augen verschließen.

Kostenlose Angebote für Unternehmen

Der Helpdesk Wirtschaft & Menschenrechte in der Agentur für Wirtschaft & Entwicklung (AWE) berät Unternehmen kostenfrei, individuell sowie vertraulich rund um das Thema menschenrechtliche Sorgfalt. Neben dem Beratungsangebot bietet der Helpdesk seit 2021 maßgeschneiderte Schulungen für Unternehmen an. Hinzu kommen zwei umfangreiche Online-Tools:

KMU Kompass: ein kostenloses Informations-Portal für kleine und mittelständische Unternehmen. Das Tool bietet Praxishilfen sowie konkrete Anleitungen und Tipps für die Umsetzung eines nachhaltigen Lieferkettenmanagements. Zudem navigiert es KMU Schritt für Schritt durch die fünf Säulen der Sorgfalt basierend auf dem NAP.

CSR Risiko-Check: ein kostenloses Online-Tool zur besseren Einschätzung der Menschenrechts-, Governance-, Umwelt- und Sozialrisiken weltweit. Nur wenn Unternehmen die eigenen Menschenrechts-und Umweltrisiken in der Liefer- und Wertschöpfungskette kennen, können sie angemessene Maßnahmen dagegen ergreifen.

Alexandra BubaDas Gespräch führte Alexandra Buba. Sie ist freie Journalistin und spezialisiert auf die Themen der Steuerberatungsbranche (www.medientext.com) und schreibt regelmäßig für die STB Web-Redaktion.

Hinweis: Beachten Sie bitte das Datum dieses Artikels. Er stammt vom 28.01.2021, sodass die Inhalte ggf. nicht mehr dem aktuellsten (Rechts-) Stand entsprechen.