29.10.2020 | Gestaltungsberatung
Von RAin Susanne Christ, Fachanwältin für Steuerrecht
In der Beratung zu vorweggenommenen Erbfolgen wird gern übersehen, dass auch im engeren Familienkreis längst nicht immer hohe Freibeträge bei der Erbschafts- und Schenkungsteuer gewährt werden. So wird bei Schenkungen von Kindern an ihre Eltern lediglich ein Freibetrag von 20.000 EUR gewährt, bei Erwerben von Todes wegen auch nur 100.000 EUR. Und auch Enkel- oder Urenkelkinder kommen in der Regel nicht in den Genuss der für Kinder gewährten Freibeträge von 400.000 EUR, wie eine aktuelle Entscheidung des BFH sehr deutlich zeigt.
Im Streitfall hatte eine Urgroßmutter zwei Urenkelkindern Miteigentumsanteile an Eigentumswohnungen geschenkt und zugleich ihrer Tochter (also der Großmutter der beschenkten Urenkelkinder) das Nießbrauchsrecht daran eingeräumt. Das Finanzamt gewährte den beiden Urenkelkindern einen Freibetrag von jeweils 100.000 EUR und erhob im übrigen Schenkungsteuer. Gegen die Festsetzung der Schenkungsteuer wurde von beiden Urenkelkindern nach Ablehnung des Einspruchs Klage beim FG Düsseldorf erhoben und zugleich die Aussetzung der Vollziehung der festgesetzten Schenkungsteuer beantragt.
Der Antrag auf Aussetzung der Vollziehung wurde vom Finanzamt und dem Finanzgericht Düsseldorf abgelehnt, die Entscheidung in der Hauptsache durch das Finanzgericht Düsseldorf steht noch aus. Gegen die Ablehnung der Aussetzung der Vollziehung wurde in einfacher Streitgenossenschaft nach § 59 FGO i.V.m. § 59 Alternative 2 ZPO Beschwerde beim BFH eingelegt. Der BFH, der die einfache Streitgenossenschaft als zulässig einstufte, setzte sich in seinem Beschluss sehr ausführlich mit der Steuerklassen- und Freibetragsregelung der §§ 15, 16 ErbStG auseinander und kam zu dem klaren Ergebnis, dass bei Schenkungen an Urenkelinnen und Urenkel lediglich ein Freibetrag von 100.000 EUR zu gewähren ist. Somit bestehe an der Festsetzung des Finanzamtes kein ernstlicher Zweifel, einen Anlass, die festgesetzte Schenkungsteuer auszusetzen, gebe es daher nicht.
Der BFH begründete seine Entscheidung vor allem mit der Überlegung, dass § 15 ErbStG, der die Steuerklassen im Erbschafsteuerrecht regelt, zwar zwischen Kinder/Stiefkindern und Abkömmlingen unterscheide; zugleich aber alle Abkömmlinge einer Person, unabhängig davon, wieviel Generationen zwischen der schenkenden und beschenkten Person liegen, stets in die erbschafsteuerliche Steuerklasse I eingestufe. Anders hingegen sei die Systematik in dem die persönlichen Freibeträge regelnden § 16 ErbStG. Darin gelten auch für in der Steuerklasse I eingestufte Personen unterschiedliche Freibeträge: Kinder/Stiefkinder erhalten einen Freibetrag von 400.000 EUR, Kinder der Kinder, also Enkelkinder 200.000 EUR bei Erwerben unter Lebenden und bei Erwerben von Todes wegen (also wenn die Mutter oder der Vater vorverstorben ist) den grundsätzlich Kindern zustehende Freibetrag von 400.000 EUR. Den höchsten Freibetrag von 500.000 EUR erhalten die ebenfalls in die Steuerklasse I eingestuften Eheleuten und eingetragenen Lebenspartner*innen. Alle anderen in die Steuerklasse I eingestuften Personen wird ein Freibetrag von 100.000 EUR gewährt. Dazu zählen beispielsweise Eltern, wenn ihr Kind vorverstorben ist, also bei Erwerben von Todes wegen.
Schenkt ein Kind zu seinen Lebzeiten seinen Eltern etwas, gilt lediglich ein Freibetrag von 20.000 EUR. Denn dann sind die Eltern in die Steuerklasse II eingestuft, vgl. § 15 Abs. 2 Steuerklasse II Ziff. 1 ErbStG und werden so den Geschwistern bei Erwerben unter Lebenden gleichgestellt. Aber auch bei einem Erwerb von Todes wegen, bei dem den Eltern ein Freibetrag von 100.000 EUR gewährt wird, ist dieser nicht gerade üppig. Das ist vor allem bei Beratungen im Zusammenhang mit vorweggenommenen Erbfolgen zu beachten. Denn dass die Eltern stets vor den Kindern versterben, ist, auch wenn eine gewisse Wahrscheinlichkeit dafür spricht, im Einzelfall nicht gesichert. Deshalb sollte in den Beratungen auch immer der Fall des Vorversterbens des Kindes mit durchgespielt werden. Immerhin: die genannten Freibeträge gelten je Elternteil.
Der BFH ließ sich in seiner Entscheidung vor allem von dem Gedanken leiten, dass in den §§ 15, 16 ErbStG die Begriffe „Kind“ und „Abkömmling“ zielgenau verwendet würden. Meint das ErbStG sämtliche nachfolgenden Generationen in direkter Linie, wird der Begriff „Abkömmling“ verwendet, meint er lediglich die Kinder der Kinder, hat das Gesetz dies zumindest in den §§ 15 und 16 ErbStG so auch formuliert. Es gibt, so der BFH, keinen gesetzestechnischen Anknüpfungspunkt, dem Begriff „Kind“ in den betreffenden Regelungen punktuell ein anderes Verständnis beizulegen. Die bei der Beschwerde antragstellenden Urenkelkinder hatten darauf abgestellt, dass die Regelung für Enkelkinder („Kinder der Kinder“) in § 16 Abs. 1 Ziff. 1 ErbStG auch für Urenkelkinder gelten würde.
Dies folge auch daraus, dass bei vorverstorbenen Eltern und Großeltern der in § 16 Abs. 1 Ziff. 2 ErbStG für Enkelkinder, deren Eltern vorverstorben sind, angeordnete erhöhte Freibetrag von 400.000 EUR auch für Urenkelkinder gelte, wenn die vorhergehenden Generationen vorversterben.
Der BFH sah das anders. Einerseits sei nicht endgültig geklärt, dass § 16 Abs. 1 Ziff. 2 ErbStG auch auf Urenkelkinder anzuwenden sei und anderseits meine § 16 Abs. 1 Ziff. 3 ErbStG eindeutig ausschließlich Enkelkinder. Es würden eben nicht alle Abkömmlinge bei den persönlichen Freibeträgen gleichgestellt, sondern die Freibeträge würden mit jeder Generation, die übersprungen werde, abschmelzen. Dass sich der Freibetrag mit jeder Generation halbiere, läge daran, dass die Gesetzgeberin bei Fassung der Regelung von einer Normfamilie mit jeweils zwei Kindern ausgegangen sei. Die persönlichen Freibeträge des § 16 ErbStG dienten der Sicherung des Familienvermögens und hätten, wenn für alle Abkömmling dieselben Freibeträge gewährt würden, eine Vervielfältigung der Freibeträge und Überbegünstigung zur Folge. Deshalb sei es auch sachgerecht, Urenkelkindern einen geringeren Freibetrag zu gewähren als Enkelkindern oder Kindern.
Erbschafsteuerliche Freibeträge der Personen der Steuerklasse I | ||
Eheleute/eingetragene Lebenspartnerschaften | § 16 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG | 500.000 EUR |
Kinder/Stiefkinder | § 16 Abs. 1 Nr. 2 ErbStG | 400.000 EUR |
Kinder verstorbener Kinder (also in Fällen, in denen die Tochter/der Sohn der Großeltern vorverstorben ist) | § 16 Abs. 1 Nr. 2 ErbStG | 400.000 EUR |
Urenkelkinder, bei den Tochter/Sohn und Enkelin/Enkel der Urgroßeltern vorverstorben sind | § 16 Abs. 1 NR. 2 ErbStG (Anwendung umstritten) | 400.000 EUR (umstritten!) |
Enkelkinder, deren Eltern nicht vorverstorben sind | § 16 Abs. 1 Nr. 3 ErbStG | 200.000 EUR |
Urenkelkinder (bei vorverstorbenen Generationen ggfs. § 16 Abs. 1 Nr. 2 ErbStG, strittig, s.o.) | § 16 Abs. 1 Nr. 4 ErbStG | 100.000 EUR |
Eltern, Großeltern, Urgroßeltern, wenn Kind vorverstorben | §§ 16 Abs. 1 Nr. 4 i.Vm. § 15 Steuerklasse I Ziff. 4 ErbStG | 100.000 EUR |
Freibetrag für Eltern bei Erwerben unter Lebenden |
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Eltern/Voreltern, wenn Kind nicht vorverstorben (also bei Erwerben unter Lebenden) | § 16 Abs. 1 Ziff. 5 i.V.m. § 15 Abs. 1 Steuerklasse II Ziff. 1 ErbStG | 20.000 EUR (!) |
Der Beschluss des BFH zeigt, dass bei der Einstufung von Abkömmlingen in die erbschafsteuerlichen Steuerklassen nicht zwischen den Generationsfolgen unterschieden wird, wohl aber bei Zuweisung der persönlichen Freibeträge nach § 16 ErbStG. Urenkelkinder erhalten, zumindest wenn die zwischen den Urgroßeltern und ihnen liegenden Generationen noch leben, lediglich einen persönlichen Freibetrag von 100.000 EUR. Ob dieser erhöht wird, wenn die dazwischen liegenden Generationen vorverstorben sind, ist umstritten und auch durch den Beschluss des BFH nicht weiter geklärt worden.
In der Gestaltungsberatung sollte daher stets die Freibetragsgrenze für Urenkelkinder von 100.000 EUR im Blick behalten werden; soll das Urenkelkind einen höheren Wert als 100.000 EUR erhalten, sollte die Mandantschaft nachweisbar darauf hingewiesen werden, dass dann Erbschafts- oder Schenkungsteuer festgesetzt werden wird. Dieser Hinweis sollte, schon um eine Haftung auszuschließen, auch in Fällen gegeben werden, in denen Eltern/Großeltern vorverstorben sind, denn die analoge Anwendung des § 16 Abs. 1 Nr. 2 ErbStG bei vorverstorbenen Eltern/Großeltern ist umstritten.
* Über die Autorin:
Susanne Christ ist Rechtsanwältin und Fachanwältin für Steuerrecht mit eigener Steuer- und Wirtschaftskanzlei in Köln. Sie ist langjährige Fachautorin der Haufe Mediengruppe und bei STB Web sowie Dozentin in den Bereichen Einkommen-, Umsatz- und Erbschaftssteuer. Außerdem ist sie Mitautorin des Kommentars „Nachfolgebesteuerung“ (Schmid, Hrsg.), der 2019 im Nomos Verlag erschienen ist. E-Mail: s.christ@netcologne.de
Hinweis: Beachten Sie bitte das Datum dieses Artikels. Er stammt vom 29.10.2020, sodass die Inhalte ggf. nicht mehr dem aktuellsten (Rechts-) Stand entsprechen.