29.10.2020 | Insolvenz & Sanierung

Die optimalen Verhaltensweisen bei Feststellung einer handelsrechtlichen Überschuldung

Gastbeitrag von Thomas Uppenbrink *

Die Corona-Situation macht für Unternehmen, die erst jetzt den 2019er Jahresabschluss erstellen lassen und dort eine buchmäßige Überschuldung ausweisen, die Erstellung einer positiven Fortbestehensprognose noch schwieriger, da ja eine unbeständige Zukunfts- und Liquiditätslage vorliegt. Erschwerend kommt hinzu, dass die Aussetzung der Insolvenzantragspflicht wegen Zahlungsunfähigkeit zum 31.09.2020 für die Geschäftsführung von Kapitalgesellschaften ausgelaufen ist. Der folgende Beitrag zeigt die optimalen Verhaltensweisen von Steuerberater*innen bei Feststellung einer handelsrechtlichen Überschuldung auf.

Thomas Uppenbrink
Foto: Thomas Uppenbrink ist Insolvenzverwalter und Sanierungsberater

Mit seinem Urteil vom 26. Januar 2017 (Az. IX ZR 285/14, STB Web berichtete) hat der BGH die Anforderung an StB / WP / vBP erheblich ausgeweitet, was deren Haftungsrisiken stark erhöht. Daher ist nach Feststellung einer buchmäßigen Überschuldung sofort und ohne Zeitverzug die Geschäftsführung, noch im Rahmen der Vor- und Aufbereitung des Jahresabschlusses, über den festgestellten Sachverhalt (auch schriftlich) in Kenntnis zu setzen. Der Jahresabschluss darf – ohne Vorlage einer positiven Fortbestehensprognose – unter Going-concern-Bedingungen nicht erstellt werden; ein Arbeitsstopp ist unverzüglich einzuhalten.

Positive Fortbestehensprognose erforderlich

Die Geschäftsführung (oder fachkundige Dritte, die beauftragt werden) hat einzuschätzen, ob im Rahmen der Erstellung einer positiven Fortbestehensprognose die Fortführung der Unternehmenstätigkeit möglich ist (positive Fortbestehensprognose, Zahlungsfähigkeitsprognose auf Basis von 24 Monaten, zwei aufeinander folgende Jahre).

Die Fortführungsfähigkeit des Unternehmens betrifft die wirtschaftliche Lebensfähigkeit und stellt in erster Linie eine Zahlungsfähigkeitsprognose dar, die aus einer realistischen Liquiditätsplanung sowie einer integrierten Erfolgs- und Vermögensplanung abzuleiten ist. Der Schwerpunkt liegt rein auf der Zahlungsfähigkeit des Unternehmens für die nächsten 24 Monate.

Ist die Geschäftsführung nicht in der Lage als gesetzliche Vertretung der Gesellschaft ihren Verpflichtungen hinsichtlich der Vorlage einer Fortbestehensprognose nachzukommen, ist zwingend ein fachkundiger Dritter zu beauftragen.

Fortbestehensprognose auf keinen Fall selbst erstellen

StB / WP / vBP sollten auf keinen Fall die positive Fortbestehensprognose selbst erstellen, weil sie in diesem Falle, neben einer möglichen Interessenkollision (Aufstellung eines Gutachtens für eigene Zwecke), bei Falsch- oder Fehlplanung sich möglicherweise später einem Haftungsszenario ausgesetzt sehen (falsche, fehlerhafte Fortbestehensprognose, einhergehend mit Erstellung eines Jahresabschlusses unter Going-Concern-Werten).

Grundsätzlich gilt, dass bei Risiken, die den Fortbestand des Unternehmens gefährden können, Steuerberater*innen sich vor erstmaliger und auch wiederholter Auftragsannahme eine Einschätzung verschaffen müssen, ob die Geschäftsführung bereit ist, bei Bedarf die positive Fortbestehensprognose vorzulegen oder ein Dritter mit der laufenden Prüfung und Anpassung beauftragt wird.

Eine von der Geschäftsführung vorgelegte Fortbestehensprognose dürfen StB / WP / vBP allerdings dann nicht zugrunde legen, wenn sie sofort als unplausibel oder untauglich angesehen wird. Regelmäßig untauglich ist die Fortführungsprognose insbesondere dann, wenn die Prognose für eine fachkundige Person nicht nachvollziehbar ist oder die Ausführungen dem eigenen Kenntnisstand wiedersprechen; StB, WP, vBP gelten gleichwohl immer als sachverständig.

Wichtig: StB / WP / vBP dürfen niemals an erkannten, unzulässigen Wertansätzen oder Darstellungen mitwirken.

Hinweis- und Warnpflicht für StB / WP / vBP

Die Hinweis- und Warnpflicht für StB / WP / vBP ist dann zwingend zu berücksichtigen, wenn sie im Rahmen ihres Auftrages einen Insolvenzgrund (Zahlungsunfähigkeit nach § 17 Abs. 2 InsO, drohende Zahlungsunfähigkeit nach § 18 InsO sowie Überschuldung nach § 19 InsO) erkennen oder ernsthafte Anhaltspunkte für mögliche Insolvenzgründe erkennbar sind und angenommen werden müssen, die (mögliche) Insolvenzreife der Geschäftsleitung aber nicht bewusst ist. Da die Geschäftsleitung der Mandantschaft häufig im Zweifel behaupten wird, dass der Steuerberater sehr wohl den Insolvenzgrund kannte und die Nichtkenntnis des Mandanten gesehen hat bzw. Unkenntnis vermuten konnte, müssen StB / WP / vBP deshalb immer die beschriebenen Hinweise und Warnungen entsprechend dokumentieren und der Geschäftsleitung zur Verfügung stellen, am besten mit Nachweis.

Kommen StB / WP / vBP im Rahmen ihrer Prüfung, zum Beispiel bei der Vorlage einer positiven Fortbestehensprognose durch die Geschäftsleitung, zu der Erkenntnis, dass die Einschätzung der Geschäftsführung unrichtig oder abweichend zu ihrer fachkundigen Prüfung ist, so haben sie auf die Unrichtigkeit der angewandten Grundsätze der Unternehmensfortführung hinzuweisen. Daneben ist es mittlerweile verpflichtend, dass dann Vorschläge zur Änderung/Anpassung zu unterbreiten sind und auf die entsprechende Umsetzung zu achten ist.

Wann das Mandat niederzulegen ist

Ist die positive Fortbestehensprognose nach Prüfung unrichtig, unschlüssig oder schlichtweg überambitioniert und verlangt die Geschäftsführung trotzdem die Erstellung der Bilanz zu Fortführungswerten, sollte das Mandat unter Nennung des tatsächlichen Sachverhalts sofort niedergelegt werden. Für StB / WP / vBP empfiehlt es sich, dass sie sich Quellen und Informationen über die Zulässigkeit der Annahme der Fortbestehensprognose (Liquiditätsplanung) von der Geschäftsführung schriftlich geben lassen. Gerade dann, wenn schon bekannt ist, dass die Branche in Schwierigkeiten ist und allgemein zugängliche Wirtschaftsdaten auf Rezession oder Marktprobleme hinweisen.

Bescheinigungen oder Testate dürfen ebenfalls dann nicht erteilt werden, wenn trotz schwerwiegender Einwendungen Forderungen in die Liquiditätsplanung eingeplant werden, die bekanntermaßen mit hohem Ausfallrisiko verbunden sind oder zum Beispiel laufende Prozesse im debitorischen oder kreditorischen Bereich nicht mit der nötigen Risikobetrachtung eingeplant werden. Mit dem Blick eines konservativen Sachverständigen sind StB / WP / vBP verpflichtet, die Fortbestehensprognose bzw. Liquiditätspläne dann anzuzweifeln oder als nichtig zu erklären, wenn dem tatsächliche oder rechtliche Gegebenheiten entgegenstehen. Auch in diesem Fall ist das Mandat niederzulegen.

Können Jahresabschlüsse aufgrund fehlerhafter positiver Fortbestehensprognosen – oder diese eben nicht konservativ und marktkonform – aufgestellt werden, ist das Mandat sofort niederzulegen, oder alternativ (wenn es der Auftrag hergibt) der Jahresabschluss unter Zerschlagungswerten aufzustellen. Hierbei ist zu beachten, dass auch eine Arbeitsbilanz mit Going-Concern-Werten nicht außer Haus gegeben werden darf, wenn die entsprechende gesetzliche Problematik der handelsrechtlichen Überschuldung bekannt ist und keine weiteren Maßnahmen zur Neutralisierung der Insolvenzantragspflicht vonseiten der Geschäftsführung erfolgte.


Über den Autor:

Thomas UppenbrinkThomas Uppenbrink ist Insolvenzverwalter und Sanierungsberater. Er ist geschäftsführender Gesellschafter der Thomas Uppenbrink & Collegen GmbH in Hagen (www.uppenbrink.de) und außerdem Inhaber der Autax-Consilium – Weiterbildung für Steuerberater und Wirtschaftsprüfer. E-Mail: info@uppenbrink.de.

Hinweis: Beachten Sie bitte das Datum dieses Artikels. Er stammt vom 29.10.2020, sodass die Inhalte ggf. nicht mehr dem aktuellsten (Rechts-) Stand entsprechen.