27.08.2020 | Unternehmensführung

»Allen Respekt vor den Fridays for Future – aber jetzt müssen die Alten ran«

Von Alexandra Buba / Interview mit Susanne Henkel

Dass nachhaltiges Wirtschaften eine krisensicherere Alternative zur grenzenlosen Wachstumsideologie darstellt, ist vielen durch Corona erstmals deutlich geworden. Dennoch arbeitet schon eine ganze Reihe mittelständischer Unternehmen seit Jahrzehnten unter anderen Vorzeichen als der Mainstream. Eine der Vorreiterinnen ist die Richard Henkel GmbH aus Forchtenberg in Baden-Württemberg. Geschäftsführerin Susanne Henkel erklärt im Interview mit STB Web, weshalb und wie sich dies betriebswirtschaftlich auswirkt.

STB Web:
Frau Henkel, Steuerberater*innen sind häufig nicht darauf gepolt, ihren Mandant*innen nachhaltiges Wirtschaften zu predigen. Wie finden Sie das?

Susanne Henkel:
Gerade vor dem Hintergrund des neuen Ausbaus der CO2-Besteuerung sehe ich es geradezu als ihre Pflicht an, ihre Mandantschaft rechtzeitig auf das Machbare hinzuweisen!

STB Web:
Sie kümmern sich bereits seit den neunziger Jahren um Umweltschutz in ihrem Betrieb, ließen sich 1997 erstmals danach zertifizieren. Weshalb?

Foto: Susanne Henkel

Susanne Henkel:
Unser Unternehmen liegt hier in einer wunderschönen Landschaft, an einem Berghang, vorbei fließt ein Fluss – wir wollten schlicht nicht, dass hier etwas Negatives von uns ausgeht. Natürlich haben wir als Betrieb immer einen ökologischen Fußabdruck, aber der muss möglichst klein sein. Seit wir uns um das Thema kümmern, konnten wir 70 Prozent CO2 einsparen – und dabei haben wir noch nicht einmal Photovoltaik auf dem Dach.

STB Web:
Sie verarbeiten Stahl, stellen daraus Liegen überwiegend für Bäder, Reha-Einrichtungen und Wellness her. Wie haben Sie eine solche Einsparung innerhalb eines klassischen Produktionsbetriebs geschafft?

Susanne Henkel:
Durch viele einzelne Maßnahmen, die Ideen dazu kamen oft aus dem Netzwerk. Anfang der 90er Jahre haben sich hier Unternehmen im Netzwerk Hohenlohe solidarisiert, weil wir eine Sondermülldeponie verhindern wollten. Das ist uns gelungen – ganz einfach, indem wir nichts mehr produziert haben, was dort hin gemusst hätte.

In den darauffolgenden Jahren wollten wir mehr tun: Zahlen, Daten und Fakten als Grundlage schaffen, um zu sehen, wo wir Energie einsparen können. Am Ende ist eine ganze Menge zusammengekommen. Auch ein zweites Netzwerk namenes WIN-CHARTA gibt es mittlerweile, in dem sich 200 baden-württembergische Unternehmen zusammen geschlossen haben.

'Was du net verbrauchsch, des musch au net zahle', sagt der Schwabe.

STB Web:
Die sich alle für den Klimaschutz engagieren?

Susanne Henkel:
Ja, zum Teil aus idealistischen Gründen – wir müssen die „Scholle“ retten, auf der wir leben – aber auch aus wirtschaftlichen: „Was du net verbrauchsch, des musch au net zahle“, sagt der Schwabe. Und so halten wir es. 

STB Web:
Wie sieht das konkret in Ihrem Betrieb aus? 

Susanne Henkel:
Wir haben zum Beispiel bereits 2007 bei der Druckluft auf das Pufferverfahren umgestellt – allein das spart 48 Prozent Energie ein. Außerdem haben wir stark an der Materialmenge gearbeitet, die wir verbrauchen. Heute setzen wir in einer Anlage einen Stahl ein, der dank seiner Eigenschaften für unsere Technik nur zwei statt zehn Millimeter dick sein muss. Das spart in der Verarbeitung, aber auch schon beim Lieferanten: Der sitzt in Schweden und produziert Stahl seit 2020 CO2-frei mit dem Ziel 2035 komplett CO2-frei zu sein. Nur zum Vergleich: Thyssen hat gerade Millionen Fördergelder bekommen, um dies bis 2050 zu schaffen. 

STB Web:
Was läuft da schief?

Susanne Henkel:
Das Denken! Und das Wollen, auf allen Ebenen. Ich habe auch mit unserem Anlagenbauer gesprochen, als ich das neue Material einführen wollte. Da hieß es dann: 'Ach Frau Henkel, da müssten wir ja alle Maße ändern, das geht nicht.' Daraufhin haben wir die Anlage selbst gebaut. Und das 2013, also 7 Jahre Chance ungenutzt gelassen im Anlagenbau!

Wir brauchen ein ganz anderes Bewusstsein für diese Themen, das schon in der Schule beginnt. Auch die Lehrenden müssen sich fortbilden, bis hin zu denen an den Hochschulen. Hier war es in Heilbronn zum Beispiel die Wirtschaft, die einen Lehrstuhl für Effizienz geschaffen hat, und nicht die Politik.

STB Web:
Doch die junge Generation denkt doch vielfach anders, oder?

Susanne Henkel:
Wir haben tatsächlich sehr viele veränderungswillige und neugierige junge Menschen in diesem Land. Die kommen häufig mit sehr guten Ideen in die Firmen und stoßen dann auf Mauern: Die Dinge, die sie vorschlagen, werden einfach nicht gemacht. Wenn ich Vorträge an der FH halte, fragen die Jungen mich dann, was sie tun sollen. 

STB Web:
Und was raten Sie ihnen?

Den Jungen rate ich bisweilen, ein Wochenende in den Wald zu gehen.

Susanne Henkel:
Ein Wochenende in den Wald zu gehen und sich zu fragen, ob sie dort, wo sie gerade arbeiten, weiter bleiben wollen. Man braucht ja Erfolgserlebnisse.

STB Web:
Umweltschutz ist ja nur ein Teil des nachhaltigen Wirtschaftens, Wachstumsneutralität ein anderer. Sie setzen längst beides um – wie kamen Sie etwa dazu, mehr zu reparieren, obwohl ihnen dabei Umsatz verloren geht? 

Susanne Henkel:
Schon während meines Studiums wurde ich durch Professor Gert von Kortzfleisch, der auch Mitglied im Club of Rome war und die Grenzen des Wachstums aufzeigte, dazu geschult. Ich startete in unserem Familienunternehmen und dies zuerst im Drei-Schicht-Betrieb. Als uns dann völlig unvermittelt und buchstäblich von heute auf morgen ein Großkunde verließ, der allein eine Schicht belegt hatte, haben wir angefangen umzudenken.

STB Web:
Inwiefern?

Susanne Henkel:
Wir haben uns gefragt, ob wir das wirklich so wollen. Zwar konnten wir damals alle Mitarbeiter*innen anderweitig beschäftigen, aber das Schichtmodell wurde beendet; unsere Angestellten haben heute ein deutlich entspannteres und planbareres Leben. Seitens der Kunden und Lieferanten suchen wir uns in beiden Geschäftsbereichen – Oberflächenbeschichtung und Möbelfertigung – diejenigen aus, die von der Einstellung, vom Anstand – sprich: Compliance – her zu uns passen. Dazu kam die Motivation für das wichtige Feld Redesign. Und tatsächlich arbeiten wir jetzt seit Jahren viele Liegen auf, denn Wertiges wird nicht weg geschmissen. Das sehen mittlerweile auch viele Kunden so.

Umsatzwachstum sagt nichts über den Ertrag aus!

STB Web:
Wie wirkt sich das betriebswirtschaftlich aus?

Susanne Henkel:
Wir verdienen immer noch genug, dass es sich lohnt, jeden Morgen aufzustehen und in die Firma zu fahren. Umsatz ist ja nicht gleich Ertrag. Oft wird vergessen, hierauf zu achten! Machen wir weniger Umsatz, haben wir auch weniger Kosten. Und durch die vielen schon umgesetzten Maßnahmen der Energie- und Material-Effizienz haben wir diese obendrein schon so reduziert, dass unterm Strich sogar mehr Ertrag bleibt – selbst in schlechteren Zeiten. Ein weiterer Punkt: Mit verbesserten Prozessen erreichen wir die Reduzierung von Produktionsflächen. Wir bauen keine neuen Hallen. Im Gegenteil, vermutlich werden wir sogar bald eine abreißen.

STB Web:
Tatsächlich geht es um Weniger, das nicht wehtut...

Susanne Henkel:
Ja, genau so ist. Schauen Sie nach Afrika oder Asien, da wollen wir ja nicht einfach nur hinreisen, sondern uns vielleicht auch fragen, wie es den Menschen dort geht. Die wollen auch ihren Anteil an Ressourcen, an Arbeit und Lebenswert und am Planeten. Das ist legitim und fair. Gleiches Recht für alle! Wir brauchen nicht alles, was wir in der Vergangenheit hatten – oftmals geht es uns bei einem bewussteren Umgang mit den Dingen kein bisschen schlechter. Etwas, das die Coronakrise auch zeigt: die Wertigkeit auch von kleinen Dingen. Wir haben keine Zeit mehr: Es ist fünf nach zwölf, und bei allem Respekt vor den Fridays for Futures, jetzt müssen die Alten ran!


Susanne HenkelSusanne Henkel ist Geschäftsführerin der Richard Henkel GmbH (www.richard-henkel.de) aus Forchtenberg mit 42 Beschäftigten. Sie leitet das Unternehmen gemeinsam mit ihrem Bruder Kai. Das schon 1922 gegründete Unternehmen ist in den Bereichen Stahlrohrmöbel und Oberflächentechnik tätig. Ehrenamtlich engagiert Susanne Henkel sich auch mit Vorträgen an Hochschulen und Verbänden für den Umweltschutz.

Alexandra BubaDas Gespräch führte Alexandra Buba. Sie ist freie Journalistin und spezialisiert auf die Themen der Steuerberatungsbranche (www.medientext.com) und schreibt regelmäßig für die STB Web-Redaktion.

 

Hinweis: Beachten Sie bitte das Datum dieses Artikels. Er stammt vom 27.08.2020, sodass die Inhalte ggf. nicht mehr dem aktuellsten (Rechts-) Stand entsprechen.