22.08.2019 | Beratertipp

Der Pflichtteilsanspruch beim Berliner Testament zur Minderung der Erbschaftsteuer

DKB

Von Susanne Christ, Rechtsanwältin/Fachanwältin für Steuerrecht, Köln *

Zum letzten Beitrag "Berliner Testament: Nachteile der Vor- und Nacherbschaft gegenüber Übertragung unter Nießbrauchsvorbehalt" kam die Leserinnen-Frage auf, was eigentlich mit dem Pflichtteil der Kinder passiert, wenn ein Elternteil erstmal alles erbt. Daher setze ich die Beitragsreihe mit diesem Thema fort.

Nach dem Tod des ersten Elternteils steht den Kindern grundsätzlich ein Pflichtteilsanspruch zu, den sie aber geltend machen müssen. Wann ist das sinnvoll und was sollte dabei unbedingt beachtet werden? (Foto: © pictworks - Fotolia.com)

Erbschafsteuerlich gilt das Berliner Testament als Freibetragsvernichter, weil sich zunächst das gesamte Vermögen beider Eltern beim Tod des ersten Elternteils beim überlebenden Elternteil vereinigt. Nach dem Tod des zweiten Elternteils wird das Vermögen in voller Höhe von diesem Elternteil an die Kinder weitergeleitet, so dass die Kinder nicht den ihnen gegenüber dem zuerst verstorbenen Elternteil zustehenden Freibetrag in Anspruch nehmen können.

Trotz der erbschafsteuerlichen Nachteile erfreut sich das Berliner Testament jedoch großer Beliebtheit. Das hängt damit zusammen, dass es die Möglichkeit bietet, dass zu Lebzeiten der Eltern das den Eltern gehörende Vermögen bei den Eltern verbleibt und zugleich sich verbindlich festschreiben lässt, dass das Vermögen nach dem Tod der Elterngeneration auf die Kinder übergeht. Wer diese Ziele (Erhalt des Vermögens bei den Eltern unter gleichzeitiger Sicherstellung, dass später die eigenen Kinder das Vermögen erben) anstrebt, sollte dieses Ziel trotz erbschafsteuerlicher Nachteile auch verfolgen. Aber es gibt Möglichkeiten, die dadurch verursachten steuerlichen Nachteile abzumildern.

Übertragung zu Lebzeiten

Vielfach werden deshalb einzelne Vermögensgegenstände schon zu Lebzeiten beider Elternteile auf die Kinder übertragen. So werden vielfach Immobilien unter Nießbrauchsvorbehalt auf die Kinder übertragen und dadurch die Freibeträge beider Elternteile genutzt.

Testamentarische Gestaltungen

Auch bei einem Berliner Testament können Kinder bereits am Nachlass des zuerstversterbenden Elternteils beteiligt werden, etwa in dem ein Vermächtnis zugunsten der Kinder in das Testament aufgenommen wird.  

Beispiel: Die Eheleute Maike Schmidts (Vermögen 600.000 EUR) und Harald Müller (Vermögen 500.000 EUR) bestimmen, dass ihre beiden Kinder Antje und Harald nach dem Tod des Erstversterbenden im Vermächtniswege jeweils einen Betrag in Höhe von 150.000 EUR erhalten sollen; die Auszahlung soll bis zum Tod des zweitversterbenden Elternteils gestundet sein. Nach dem Tod von Harald Müller erhalten Antje und Stefan nach dieser Regelung von ihrem Vater jeweils einen Betrag von 150.000 EUR, für den sie, weil der persönliche Freibetrag in Höhe von 400.000 EUR dadurch nicht überschritten wird, keine Erbschafsteuer zahlen müssen. Ausgezahlt bekommen sie diesen Betrag aber erst beim Tod der Mutter. Bei dem späteren Tod der Mutter ist dieser Betrag, also insgesamt 300.000 EUR, als Verbindlichkeit von ihrem Vermögen abzuziehen, so dass die Kinder von ihr 1.100.000 EUR ./. 300.000 EUR = 800.000 EUR erben, also jeweils 400.000 EUR. Dafür müssen sie dann keine Erbschafsteuer zahlen, da der Freibetrag gegenüber der Mutter je Kind 400.000 EUR beträgt.

Rettungsmöglichkeit Pflichtteilsanspruch

In der Praxis werden die genannten Möglichkeiten häufig nicht genutzt, insbesondere, wenn die Mandantschaft bei Verfassen des Berliner Testamentes nicht fachlich beraten wurde, oder solche Gestaltungen ablehnen. Hier kann in bestimmten Fällen das Pflichtteilsrecht „rettend“ genutzt werden.

Achtung: Da manche die Geltendmachung des Pflichtteils als „Kriegserklärung“ verstehen, sollte vor Nutzung dieser Möglichkeit unbedingt darauf geachtet werden, dass alle Beteiligten, insbesondere der überlebende Elternteil, die Zusammenhänge auch wirklich verstehen. Denn Themen rund um das Erbe sind vielfach emotional sehr belastet; eine nur rationale Betrachtung kann zu erheblichen Missverständnissen führen, die ungewollt auch heftige Konflikte auslösen können. Hier ist also unbedingt behutsames und geduldiges Handeln gefragt.

Da beim Berliner Testament die Kinder nach dem Tod des ersten Elternteils (im Beispiel: Tod des Vaters) von diesem Elternteil enterbt sind, haben sie Anspruch auf den Pflichtteil. Pflichtteilsberechtigt sind Eheleute, Partnerinnen und Partner eingetragener Lebenspartnerschaften, Kinder und die Eltern, wenn keine Kinder vorhanden sind. Geschwister, Tanten und Onkel hingegen sind nicht pflichtteilsberechtigt. Beim Pflichtteil handelt es sich um einen schuldrechtlichen Anspruch gegen das Erbe auf Auszahlung eines Geldbetrages in Höhe der Hälfte des gesetzlichen Erbteils. Der Pflichtteilsanspruch muss geltend gemacht werden und verjährt in drei Jahren. Erbschafsteuerlich ist er nur von Bedeutung, wenn er auch geltend gemacht wurde. Nur der tatsächlich geltend gemachte Pflichtteil unterliegt der Erbschafsteuer und nur dann kann er auch als Nachlassverbindlichkeit abgezogen werden. Geltend gemacht ist ein Pflichtteilsanspruch, wenn er ernsthaft beansprucht wird.

Wie errechnet sich der gesetzliche Erbteil von Kindern 

Der gesetzliche Erbteil von Kindern beträgt ½ des Erbes, wenn der verstorbene Elternteil verheiratet war und im Güterstand der Zugewinngemeinschaft lebte, wenn also kein Ehevertrag geschlossen worden ist. Im Beispiel hätte der gesetzliche Erbteil von Antje und Stefan nach dem Tod des Vaters zusammen 250.000 EUR betragen, also jeweils 125.000 EUR.

Somit steht beiden ein Pflichtteilsanspruch von jeweils 72.500 EUR gegenüber dem Nachlass des Vaters zu. Um zumindest einen Teil des Freibetrages nach dem Vater zu retten, könnten Antje und/oder Stefan ihren Pflichtteil nach dem Tod des Vaters auch geltend machen. Daran kann sie grundsätzlich niemand hindern. Hätten Antje und Stefan den Pflichtteil geltend gemacht, wäre das Vermögen der Mutter um 2 x 72.500 EUR gesunken, also insgesamt 125.000 EUR, so dass sie bei ihrem Tod ihren beiden Kindern lediglich 975.000 EUR insgesamt, also jedem Kind jeweils 487.500 EUR vererbt hätte. Dann hätten Antje und Harald nach Abzug des persönlichen Freibetrages von 400.000 EUR lediglich 87.500 EUR der Erbschafsteuer unterwerfen müssen und nicht, wie in dem Fall, dass sie den Pflichtteil nicht geltend machen, jeweils 150.000 EUR.

In der Praxis bestehen aber oft Hemmungen, den Pflichtteil geltend zu machen, weil die Kinder nicht zu Lebzeiten des überlebenden Elternteils von diesem Geld fordern wollen. Soll der Pflichtteil zunächst nicht zur Auszahlung kommen, kann er auf den Tod des überlebenden Elternteils gestundet werden. Dann wird er erst im zweiten Todesfall fällig, d.h., der überlebende Elternteil „spürt“ die Belastung durch den geltend gemachten, aber gestundeten Pflichtteilsanspruch nicht.

Achtung! Strafklauseln im Berliner Testament unbedingt (!) beachten

Manche Berliner Testamente enthalten sog. Strafklauseln. Nach diesen werden Kinder auch für den zweiten Todesfall enterbt, wenn sie beim Tod des ersten Elternteils ihren Pflichtteil geltend machen. Ist eine solche Strafklausel im Berliner Testament enthalten, ist für die o.g. Gestaltungsmöglichkeit in der Regel kein Raum! Wird der Pflichtteil trotz Strafklausel geltend gemacht, droht die Enterbung auch beim Tod des zweiten Elternteils. Mit dieser Strafklausel soll verhindert werden, dass Kinder bereits beim ersten Todesfall gegen den Willen des überlebenden Elternteils den Pflichtteil geltend machen. Deshalb ist eine solche Strafklausel auch nicht zu empfehlen. Besser ist es, zu bestimmen, dass nur dann, wenn der Pflichtteil beim Tod des ersten Elternteils ohne Zustimmung des überlebenden Elternteils geltend gemacht wird, die Enterbung auch für den zweiten Todesfall gilt. Stimmt der überlebende Elternteil der Geltendmachung des Pflichtteils zu, bleibt das Erbrecht des Kindes erhalten. Deshalb sollte, wenn überhaupt, eine Strafklausel in das Berliner Testament aufgenommen werden soll, die modifizierte Strafklausel aufgenommen werden. Ob eine Strafklausel sinnvoll ist, hängt von den Umständen des Einzelfalles ab.

Fazit

Trotz der erbschafsteuerlichen Nachteile gibt es in der Praxis ein starkes Bedürfnis für ein sog. Berliner Testament. Bei geschickter Gestaltung zu Lebzeiten beider Eltern können die Nachteile gut kompensiert werden. Ist bereits ein Elternteil verstorben, ohne dass Gestaltungen zur Vermeidung von den erbschaftsteuerlichen Nachteilen getroffen wurden, kann ein Teil der Steuerlast durch die Geltendmachung des Pflichtteils nach dem Tod des ersten Elternteils vermieden werden. Um den überlebenden Elternteil nicht in Zahlungsschwierigkeiten zu bringen, kann der Pflichtteil auf den Tod der überlebenden Mutter oder des überlebenden Vaters gestundet werden. Vor Geltendmachung des Pflichtteils sollte aber unbedingt (!) geprüft werden, ob das Berliner Testament eine sog. Strafklausel enthält, also auch eine Enterbung für den zweiten Todesfall angeordnet ist, wenn beim ersten Todesfall der Pflichtteil geltend gemacht wird. Handelt es sich um eine sog. modifizierte Strafklausel, nach der eine Enterbung für den zweiten Todesfall nicht ausgesprochen wird, wenn der überlebende Elternteil der Geltendmachung des Pflichtteils zustimmt, sollte die Zustimmung so eingeholt werden, dass sie später noch nachgewiesen werden kann.

Auch wenn rechtlich nichts gegen die Geltendmachung eines Pflichtteils spricht, sollte von dieser Möglichkeit nur Gebrauch gemacht werden, wenn alle Beteiligten die Zusammenhänge auch wirklich verstehen. Denn der Erhalt des Familienfriedens ist wichtiger als die Ersparnis von Erbschafsteuer.

* Über die Autorin:

Susanne ChristSusanne Christ ist Rechtsanwältin und Fachanwältin für Steuerrecht mit eigener Steuer- und Wirtschaftskanzlei in Köln. Sie ist langjährige Fachautorin der Haufe Mediengruppe und bei STB Web sowie Dozentin in den Bereichen Einkommen-, Umsatz- und Erbschaftssteuer. E-Mail: s.christ@netcologne.de

 

Hinweis: Beachten Sie bitte das Datum dieses Artikels. Er stammt vom 22.08.2019, sodass die Inhalte ggf. nicht mehr dem aktuellsten (Rechts-) Stand entsprechen.