24.04.2019 | Kanzleimanagement

Digitalisierung: Schritt für Schritt ist out

Von Alexandra Buba / Interview mit WP/StB Dr. Markus Kreher *

Die KPMG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft AG hat im Rahmen einer Studie analysiert, wie es um den Stand der Digitalisierung im Rechnungswesen in Deutschland/Österreich/Schweiz bestellt ist. WP/StB Dr. Markus Kreher, Partner der KPMG AG, hat sich aber nicht nur damit intensiv beschäftigt, sondern weiß auch, wie Transformation heute gestaltet werden muss und wie sich Berater dabei am besten profilieren können.

STB Web:
Herr Dr. Kreher, wie ist es generell um die Digitalisierung der Rechnungswesenabteilungen bestellt?

Dr. Markus Kreher
Foto: Dr. Markus Kreher

Dr. Markus Kreher:
Der Stand ist sehr unterschiedlich; einzelne Unternehmen sind schon sehr weit, andere stehen eher noch am Anfang. Generell lässt sich feststellen, dass auch hier gilt: die größeren sind schneller als die kleineren. Ausnahmen bestätigen diese Regel, und zwar insbesondere dann, wenn das Geschäftsmodell sehr an der Digitalisierung ausgerichtet ist. Das sehen wir zum Beispiel an Brainlab - einer eigentlich eher kleinen Firma, die bereits weitestgehend end-to-end-digitalisiert arbeitet. Ein weiterer Befund unserer Studie ist, dass sich das Tempo momentan ganz klar erhöht.

STB Web:
Woran liegt das?

Dr. Markus Kreher:
Der Druck wächst. Früher fehlten vor allem die qualifizierten Mitarbeiter, heute kommt in fast jedem Unternehmen der Kostendruck hinzu. 

STB Web:
Was sind die aktuell wichtigsten Aufgaben, vor denen Unternehmen bei der Transformation ihrer Rechnungswesen-Prozesse stehen? 

Dr. Markus Kreher:
Tatsächlich geht es immer noch viel darum, aufzuräumen. Stammdaten müssen harmonisiert, Prozesse standardisiert und angeglichen werden. Hinzu kommt ein gut Teil Change Management: Die Unternehmen müssen ihre Mitarbeiter dazu befähigen, mit der Digitalisierung und veränderten Arbeitsprozessen klarzukommen. 

STB Web:
Wie passt das zu der Tatsache, dass das Umsetzungstempo bei Digitalisierungsprojekten zunimmt?

Dr. Markus Kreher:
Das können Sie nicht mehr in Schritten machen! Nach dem Motto, jetzt setzen wir erst einmal ein Stammdatenprojekt auf, dann analysieren wir unsere Prozesse und so weiter. Und ganz am Ende sehen wir dann, welche Softwarelösung wir dafür finden. So lief das vor zehn oder 15 Jahren - ist aber heute out. Stattdessen müssen Sie jetzt mit flexiblen Projektstrukturen agil arbeiten, bei denen vieles parallel läuft.

STB Web:
Womit haben die Unternehmen aktuell die größten Schwierigkeiten?

Dr. Markus Kreher:
Das Ganze ist im Grunde kein Softwareproblem, sondern der Teufel liegt im Detail der end-to-end-Prozesse. Es ist keine Seltenheit, dass Unternehmen eine zweistellige Anzahl an Systemen einsetzen - für jeden Zweck ein eigenes Tool. Ich kenne Kunden, die arbeiten mit 180 ERP-Systemen. Das liegt nicht daran, dass sie unstrukturiert oder konzeptlos agierten, sondern vielmehr an der Tatsache, dass sie in der Vergangenheit gewachsen sind, vielleicht Firmenteile gekauft oder Vertriebsniederlassungen im Ausland eröffnet haben. Dadurch sind heterogene IT-Landschaften entstanden, die nicht gut miteinander interagieren.

STB Web:
Was ist die Lösung?

Dr. Markus Kreher:
Nicht immer die Vereinheitlichung. Das liegt daran, dass dies die kleinsten Gesellschaften in einer Gruppe überfordert. Wenn Sie ein komplexes ERP-System einsetzen sollen - das Sie gar nicht benötigen - gehen Sie oft schon bei der IT-Umlage in die Knie. Da ergibt es häufig mehr Sinn, wenn kleinere Einheiten bestehend aus vielleicht nur vier oder fünf Vertriebsmitarbeitern bei MS oder Datev verbleiben.

STB Web:
Wie kann eine End-to-End-Digitalisierung dann aber funktionieren?

Dr. Markus Kreher:
Die Unternehmen regeln das heute häufig über sogenannte Data-Lake-Lösungen. Dabei geht es darum, dass ein sehr großer Datenspeicher die Daten aus den unterschiedlichsten Quellen in ihrem Rohformat aufnimmt. Auf diese Weise stehen sie dann für verschiedene Anwendungen lesbar zur Verfügung und können verarbeitet werden.

STB Web:
Welche Rolle spielt die Cloud?

Dr. Markus Kreher:
Wir sehen, dass das Thema Datensicherheit hier immer stärker in den Hintergrund tritt. Viele Unternehmen haben inzwischen erkannt, dass die Daten auch oder gerade in ihrem eigenen Unternehmen ebenfalls nicht sicher sind. Dort können sie um ein Vielfaches leichter gehackt werden als dies in einem professionellen Rechenzentrum großer Anbieter - die inzwischen übrigens alle europäische Clouds anbieten - der Fall ist. Denn dort kümmern sich Tausende Softwareingenieure allein um die Sicherheit. Und das können selbst große Konzerne kaum leisten.

STB Web:
Welche neuen Berufsbilder und Aufgaben kommen dadurch auf die Rechnungswesenabteilungen zu?

Dr. Markus Kreher:
Die gesamte Organisation verändert sich gerade insofern, als dass die strikte Trennung von IT- und Fachabteilung aufgehoben wird. Immer häufiger sitzen auch Techniker im Accounting oder übernehmen Moderations- oder Übersetzungsaufgaben. Sie erklären, warum ein „noch Mehr“ an Zahlungsbedingungen, die sich vielleicht im ERP-System zwar programmieren ließen, mit erheblichen Folgekosten verbunden wäre. Das verschlankt am Ende die Prozesse.

Mitarbeiter im Rechnungswesen müssen künftig genau das können: Das System verstehen und abschätzen, wo für Geschäftsspezifika bestimmte Ausprägungen notwendig sind, und wo der Standard genügt. Früher haben sie einfach die IT-Abteilung mit etwas beauftragt - dadurch dauerten Projekte aber dann auch bis zu zehn Jahre.

STB Web:
Wie finden die Unternehmen diese Mitarbeiter?

Dr. Markus Kreher:
Der Weg geht ganz klar über die zusätzliche Qualifizierung der Buchhaltungsmitarbeiter, da umgekehrt der Markt für IT-Fachkräfte viel enger ist.

STB Web:
Wo sehen Sie die Rolle des steuerlichen Beraters in diesem Prozess?

Kreher:
Diese ist äußerst vielfältig: Zunächst kann er sich einbringen, indem er Erfahrungen von einem Mandanten zum anderen trägt. Außerdem kann er mit seinen Kapazitäten aushelfen, wenn das Rechnungswesen im Unternehmen an Grenzen stößt. Zum dritten kann er Change Management-Prozesse moderieren, da sein Wort bei den Mitarbeitern im Mandantenunternehmen besonders viel Gewicht hat. Wenn er es versteht, kann er außerdem bei der Auswahl der Systeme beratend mitwirken.

STB Web:
Gibt es einen Kernaspekt, auf den sich jeder Berater fokussieren kann?

Kreher:
Äußerst erfolgreich wird derjenige sein, der es versteht, seinen Mandanten individuell in der Fülle der Möglichkeiten, Digitalisierungsprozesse anzugehen, die jeweils passende Lösung vorzuschlagen. Machbar ist vieles: Etliche fangen mit der Qualifizierung der Mitarbeiter an, andere mit den Systemen oder Prozessen - hier den unternehmensindividuell richtigen Weg aufzuzeigen, ist die Kernaufgabe des Beraters.

 

Zur Person 

Dr. Markus KreherDr. Markus Kreher ist Diplom-Kaufmann, Wirtschaftsprüfer und Steuerberater. Als Partner im Audit der KPMG AG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft in München verantwortet er den Bereich Finance Advisory und verfügt über 20 Jahre Erfahrung in der Beratung mittelständisch geprägter Unternehmen, Familienunternehmen und Corporates (DAX30-Umfeld).

Alexandra BubaDas Gespräch führte Alexandra Buba. Sie ist freie Journalistin und spezialisiert auf die Themen der Steuerberatungsbranche (www.medientext.com). Alexandra Buba schreibt regelmäßig für die STB Web-Redaktion.


(STB Web)

Hinweis: Beachten Sie bitte das Datum dieses Artikels. Er stammt vom 24.04.2019, sodass die Inhalte ggf. nicht mehr dem aktuellsten (Rechts-) Stand entsprechen.