20.02.2019 | Rezension

"Ich bin Firmenanwalt und trage nichts zu dieser Welt bei"

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Rezension zu David Graeber: "Bullshit Jobs – vom wahren Sinn der Arbeit" 

Von Alexandra Buba *

Der US-amerikanische Aktivist und Anthropologe David Graeber behauptet, dass fast die Hälfte der Berufstätigen in der westlichen Welt mit Bullshit-Jobs beschäftigt ist: Freudlos, sinnfrei und verschämt gehen sie Aufgaben nach, deren Erledigung unnötig bis schädlich ist. Er belegt dies mit zahllosen Bespielen in seinem Buch "Bullshit Jobs – Vom wahren Sinn der Arbeit." Den einzigen Weg zu echter Freiheit skizziert er dafür nur knapp.

Foto: David Graeber, © Annette Hauschild, Berlin

"Im Frühjahr 2013 sorgte ich unabsichtlich für eine kleine internationale Sensation." Wer ein Buch mit einem solchen Satz beginnt, der ist sich seiner Sache sicher, soviel ist gewiss. Dabei dient das Unterfangen nicht der Eitelkeit, sondern verfolgt ein weitaus hehreres Ziel: "Hass, Vorbehalte und Misstrauen [sind] zu dem Leim geworden, der die Gesellschaft zusammenhält. Das ist ein katastrophaler Zustand. Ich möchte ihn beenden." Und weiter: "Es wäre mir lieb, wenn mein Buch zu einem Pfeil wird, der ins Herz unserer Zivilisation zielt."

Der dies schrieb, ist David Graeber, Jahrgang 1961, US-amerikanischer Ethnologe und Publizist, dafür bekannt, anarchistische Positionen zu vertreten. Bis vor zehn Jahren an der Eliteuniversität Yale tätig, verdient er inzwischen sein Geld in London und lehrt dort an der anthropologischen Fakultät der London School of Economics. Im vergangenen Sommer erschien sein zweites Buch "Bullshit Jobs - Vom wahren Sinn der Arbeit" auf deutsch, ihm war der Bestseller "Schulden. Die ersten 5.000 Jahre" vorausgegangen.

Basis für das aktuelle Buch ist ein Artikel in einer amerikanischen Zeitschrift; aus den Leserreaktionen darauf – "der kleinen internationalen Sensation" – erwuchs eine Basis an Berichten, auf die das Buch aufbaut. Graebers Kernthese ist bereits im Titel zusammengefasst: Eine riesige Anzahl von Jobs ist völlig sinnlos; diejenigen, die sie ausüben, wissen dies und leiden darunter, ohne darüber sprechen zu können. All das vergifte letztlich das gesellschaftliche Klima und verursache eine "Narbe, die sich quer über unsere kollektive Seele zieht".

Warum werden so viele sinnlose Aufgaben abgearbeitet?

Möglicherweise ist dem tatsächlich so. Laut Autor jedenfalls lassen sich Bullshit Jobs überall finden. Der öffentliche Dienst ist zwar Graebers erste Zielscheibe – etwa in Form eines finnischen Steuerbeamten, der 48 Stunden tot an seinem Schreibtisch saß, ehe es jemand bemerkte – doch bei weitem nicht seine einzige. Denn die Frage, ob ein Job bullshit ist oder nicht, hängt nicht von einer bestimmten Branche oder einzelnen Firma ab. So ist etwa die Zahl der administrativen Jobs in der Privatwirtschaft seit den siebziger Jahren doppelt so stark angewachsen wie im öffentlichen Sektor. 

Graeber identifiziert daher fünf Haupttypen von Bullshit-Arbeitern: die "Lakaien" oder "Speichellecker", wozu er Pförtner ebenso wie Callcenter-Mitarbeiter zählt, danach die "Schläger" aus Marketing und PR, die "Flickschuster", die sich weniger durch bestimmte fixe Berufsbilder als vielmehr durch Ausbessern der Schäden anderer Bullshitler bestimmen, und dann die "Kästchenankreuzer", die überwiegend in Behörden zu finden sind. Ganz am Ende stehen die "Aufgabenverteiler" – unnötige Vorgesetzte, ohne deren Existenz die Dinge genauso funktionieren würden.

Neben dieser Klassifizierung nimmt Graeber oftmals seine Lieblingsfeinde Finanzwirtschaftler und Firmenjuristen ins Visier und zitiert einen solchen: "Ich bin Firmenanwalt (Steueranwalt, um genau zu sein.) Ich trage nichts zu dieser Welt bei und fühle mich ständig vollkommen elend. [...] Ob man nun an Intelligent Design oder Evolution glaubt: Der Mensch wurde nicht zum Arbeiten gemacht. Für mich ist das alles nur Habgier, unterstützt durch aufgeblasene Preise für Notwendiges."

Generell will Graeber mit Leserbriefen ein Massenphänomen Bullshit-Jobs belegen, referiert aber auch auf durch seine Veröffentlichungen inspirierte Umfragen, wonach ein großer Teil der Menschen offenbar selbst nicht an die Sinnhaftigkeit der eigenen Berufstätigkeit glaubt, Größenordnung: rund 40 Prozent.

Doch wie kommt ein solches Phänomen zustande?

David Graeber: "Bullshit Jobs – vom wahren Sinn der Arbeit", Verlag: Klett-Cotta.

Folgt man seiner These nun, kommt man nicht umhin, genau wie der Autor selbst, zu fragen, wie eine solch verquere Weltordnung wohl zustande kommen könnte. "Es ist, als würde sich irgendjemand sinnlose Tätigkeiten ausdenken, nur damit wir alle ständig arbeiten." Eigentlich als Problem alter sozialistischer Ordnungen erkannt, findet Graeber die Ursache des Phänomens am Ende doch in der Weltverschwörung, auch wenn er diese explizit ausschließt, da sie nur durch Tun, nicht aber durch Unterlassen zustande kommen könnte: "Die herrschende Klasse hat gemerkt, dass eine glückliche, produktive Bevölkerung, der viel Freizeit zur Verfügung steht, eine tödliche Gefahr ist", so glaubt er. Natürlich sei dieses System nie bewusst gestaltet worden, sondern aus einem Jahrhundert des Ausprobierens erwachsen.

Das Unbehagen an einer Gesellschaft, wie sie in postkapitalistischer Zeit in der ersten Welt – und nur von dieser ist in dem Buch im Übrigen überhaupt die Rede – als Pseudo-Leistungsgesellschaft existiert, ist nachvollziehbar. Allerdings springt Graeber wohl zu kurz, wenn er als Ursache aller Probleme allein in Arbeitswelt ausmacht, die genauso gut nur Symptom sein könnte. Außerdem gilt: Wie reich ist eine Gesellschaft, die sich den Luxus erlauben kann, ihre Mitglieder in sinnlosen Tätigkeiten zu beschäftigen, ihnen dadurch Zeitvertreib, Broterwerb und Status zu verleihen? Wenn nicht an Geist, dann doch zumindest an Geld.

Jammert der Autor also auf hohem Niveau? Muss Erwerbsarbeit überhaupt Sinn stiften? Was sagt es über die Mitglieder einer Gesellschaft aus, wenn es scheinbar so wenig Anderes gibt, in dem sie die Sinnhaftigkeit ihres Daseins noch suchen können? Diese Fragen stellt Graeber indes nicht.

Moralische Verwirrung kippt Selbstwertgefühl

Wohl aber will er wissen, warum es nun so ein großes Problem ist, wenn man sein Tagwerk mit sinnloser Arbeit verrichtet. Ein "kompliziertes Gefühl", sei es, das einen Callcenter-Mitarbeiter beschleicht, wenn er gezwungen ist, Menschen etwas aufzuschwatzen, das sie nicht brauchen. Leicht nachvollziehbar ist, dass es wenig Freude macht, anderen berufsmäßig zu schaden, doch das gilt ja nicht für alle Bullshitler. Bei den meisten herrsche "moralische Verwirrung", meint Graeber. Das sinnfreie Tun mit dem Wohlanstrich des Anständigen sei ein permanenter Angriff auf ihr Selbstwertgefühl; mit einem Schwenk auf die Entwicklungspsychologie erkennt er gar eine Attacke auf die Identität als solche.

Von seiner eigenen Tätigkeit – als Anthropologieprofessor – schreibt Graeber indes, sie würden "viele Leser der Boulevardpresse" für den Inbegriff der Vergeudung öffentlicher Mittel halten. Das führt zur eigentlichen Kernfrage: Was darf als objektives Maß für gesellschaftlichen Wert gelten? Ein solches gebe es nicht, findet Graeber. Daher kann er in seinem missionarischen Eifer letztlich auch darauf verzichten, die konkrete politische Realität verändern zu wollen, wenngleich er am Ende des Buches für ein bedingungsloses Grundeinkommen eintritt, dies aber lediglich "ein Beispiel für ein Programm zur Entkopplung von Arbeit und Bezahlung" nennt.

In erster Linie will Graeber zum Nachdenken anregen, wie eine wirklich freie Gesellschaft – in all ihrem Reichtum – aussehen könnte. Das gelingt ihm zweifelsohne. Lässt man sich auf seine Thesen ein, so bleibt zu konstatieren, dass die Freiheit für alle sich freilich bei den bestehenden Herrschaftsverhältnissen tatsächlich schwerlich im Konsens einstellen wird. Als wichtigster Verdienst des Buchs darf indes gelten, dass all jene, die tatsächlich unter ihrem Beruf leiden, nun wissen, dass sie damit nicht allein sind, und aufhören dürfen, sich Individualversagen vorzuwerfen.

Bibliographischer Hinweis:

David Graeber: Bullshit Jobs - vom wahren Sinn der Arbeit
Klett-Cotta; Auflage: 4. Druckaufl. (13. Januar 2019)
Aus dem Englischen von Sebastian Vogel
(Orig.: Bullshit Jobs, a Theory)
464 Seiten, gebunden mit Schutzumschlag
ISBN: 978-3-608-98108-7

 

Alexandra Buba* Alexandra Buba ist freie Journalistin und spezialisiert auf die Themen der Steuerberatungsbranche (www.medientext.com). Sie schreibt regelmäßig für die STB Web-Redaktion.


Hinweis: Beachten Sie bitte das Datum dieses Artikels. Er stammt vom 20.02.2019, sodass die Inhalte ggf. nicht mehr dem aktuellsten (Rechts-) Stand entsprechen.