28.11.2018 | Bundesfinanzhof

Zur tarifbegünstigten Veräußerung einer freiberuflichen Einzelpraxis

Die tarifbegünstigte Veräußerung einer freiberuflichen Einzelpraxis setzt nach dem BFH voraus, dass der Steuerpflichtige die wesentlichen vermögensmäßigen Grundlagen entgeltlich und definitiv auf einen anderen überträgt. Hierzu muss der Veräußerer seine freiberufliche Tätigkeit in dem bisherigen örtlichen Wirkungskreis wenigstens für eine gewisse Zeit einstellen.

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Die "definitive" Übertragung des Mandantenstamms lasse sich allerdings erst nach einem gewissen Zeitablauf abschließend beurteilen, so der BFH in seinem Urteil vom 21.8.2018 (Az. VIII R 2/15) weiter. Sie hänge von den objektiven Umständen des Einzelfalls ab, die das FG als Tatsacheninstanz zu würdigen habe. Neben der Dauer der Einstellung der freiberuflichen Tätigkeit seien insbesondere die räumliche Entfernung einer wieder aufgenommenen Berufstätigkeit zur veräußerten Praxis, die Vergleichbarkeit der Betätigungen, die Art und Struktur der Mandate, eine zwischenzeitliche Tätigkeit des Veräußerers als Arbeitnehmer oder freier Mitarbeiter des Erwerbers sowie die Nutzungsdauer des erworbenen Praxiswerts zu berücksichtigen.

Im Streitfall veräußerte der Kläger seine Einzelkanzlei an eine Steuerberatungsgesellschaft. Gegenstand des Kaufvertrags war neben dem mobilen Praxisinventar auch der gesamte Mandantenstamm des Klägers. Der Kläger verpflichtete sich, an der Mandatsüberleitung mitzuwirken und darüber hinaus neue Mandate für die erwerbende Gesellschaft zu akquirieren. Gleichzeitig schloss er mit der Gesellschaft eine befristete freiberufliche Tätigkeitsvereinbarung, nach der er seine bisherigen und neu akquirierten Mandanten im Namen und für Rechnung der Gesellschaft beraten sollte.

Wiederaufnahme der Einzelpraxis

Eine Außenprüfung kam zu dem Ergebnis, dass der Gewinn aus der Veräußerung der Steuerberatungskanzlei als nicht begünstigter, laufender Gewinn zu erfassen sei. Denn der Kläger hatte seine Tätigkeit für die Gesellschaft – offenbar nach einem Zerwürfnis mit der Gesellschaft – aufgegeben und unter Mitnahme des überwiegenden Teils seiner Mandanten wieder eine Einzelpraxis eröffnet. Einspruch und Klage blieben erfolglos.

Nach dem Urteil des FG stellte sich die ursprüngliche Übertragung der wesentlichen Praxisgrundlagen im Nachhinein als eine bloße Unterbrechung der bisherigen freiberuflichen Tätigkeit des Klägers dar, so dass die Voraussetzungen für eine tarifbegünstigte Praxisübertragung nachträglich entfielen. Dies folge daraus, dass der Kläger nach 22 Monaten in derselben Stadt unter Mitnahme des wesentlichen Teils seines ehemaligen Mandantenstamms (ca. 50 bis 60 Prozent des ehemaligen Umsatzvolumens) und teilweiser Wiedereinstellung des früheren Personals wieder im Rahmen einer Einzelpraxis als Steuerberater tätig geworden sei. Hinzu komme, dass er in der Zwischenzeit als freier Mitarbeiter der Gesellschaft tätig gewesen sei und im Rahmen dieser Tätigkeit seine ursprünglichen Mandanten ebenfalls weiter beraten habe. Unter diesen Umständen sei eine Karenzzeit von 22 Monaten nicht ausreichend.

Zur besonderen Natur des Wirtschaftsguts Mandantenstamm

Dem schloss sich der BFH an. Dass der Veräußerer als Arbeitnehmer oder als freier Mitarbeiter im Auftrag und für Rechnung des Erwerbers tätig werde, sei zwar grundsätzlich unschädlich. Darüber hinaus sei es auch unschädlich, wenn der Steuerpflichtige seine bisherige freiberufliche Tätigkeit nur in einem geringen Umfang fortführe. Vielmehr gehe es sich um eine Auslegung des Begriffs der "Veräußerung des Vermögens" in § 18 Abs. 3 EStG unter Berücksichtigung der besonderen Natur des Wirtschaftsguts Mandantenstamm. Die für die Veräußerung des gesamten Vermögens erforderliche definitive Übertragung des Mandantenstamms könne letztlich nur nach einem gewissen Zeitablauf abschließend beurteilt werden.

Dies gelte insbesondere für freiberufliche Tätigkeiten, die in einem besonderen Maß personenbezogen seien und bei denen sich deshalb die persönlichen Beziehungen des Erwerbers zu den bisherigen Mandanten des Veräußerers erst entwickeln bzw. festigen müssten. Dadurch sei der Mandantenstamm ein "flüchtiges" Wirtschaftsgut, dessen dauerhafte und endgültige Übertragung auf den Erwerber verhindert werden könne, indem der Veräußerer seine freiberufliche Tätigkeit fortführe bzw. wieder aufnehme. Dies gelte unabhängig davon, dass es in jedem Fall die Entscheidung der Mandanten bleibe, von wem sie sich weiter beraten lassen.

Zeitspanne von 22 Monaten im Streitfall nicht ausreichend

Im Streitfall sei es wegen der Wiedereröffnung der Einzelpraxis nach 22 Monaten nicht zu einer definitiven Übertragung des Mandantenstamms auf den Erwerber und damit auch nicht zu einer tarifbegünstigten Praxisveräußerung gekommen. Der fortdauernde Kontakt des Klägers zu seinen bisherigen Mandanten hatte zur Folge, dass die definitive Übertragung des Mandantenstamms auf die Gesellschaft i.S. einer Festigung der persönlichen Mandatsbeziehungen längere Zeit in Anspruch nahm. Jedenfalls unter Berücksichtigung dieser Besonderheit reichte die Zeitspanne von 22 Monaten bis zur Wiedereröffnung der Einzelpraxis im Streitfall nicht aus, um zu einer definitiven Übertragung des Mandantenstamms zu führen.

Dass der Kläger im Streitfall allein deshalb wieder im Rahmen einer Einzelpraxis tätig geworden ist, weil es im Januar 2010 zu einem Zerwürfnis mit der Gesellschaft kam, spielte entgegen der Auffassung des Klägers keine Rolle. Maßgebend sei allein, dass die Zeitspanne von 22 Monaten im konkreten Streitfall nicht ausreichte, um zu einer definitiven Übertragung des Mandantenstamms zu führen.

(Urteilszusammenfassung von Manuel Maurer, STB Web)

Hinweis: Beachten Sie bitte das Datum dieses Artikels. Er stammt vom 28.11.2018, sodass die Inhalte ggf. nicht mehr dem aktuellsten (Rechts-) Stand entsprechen.