26.07.2017 | Interview

Haftungsfalle Krisenmandant: Belehrungsschreiben an Krisen-Mandanten

Von Manuel Maurer / Interview mit RA/StB Cornelius Nickert *

Mit Urteil vom 26. Januar 2017 hat der BGH die Hinweispflichten von Steuerberatern auf drohende Insolvenz und damit verbundene Haftungsrisiken ausgeweitet (STB Web berichtete). Danach müssen mit der Erstellung eines Jahresabschlusses für eine GmbH beauftragte Steuerberaterinnen und Steuerberater den Mandanten auf einen möglichen Insolvenzgrund und die daran anknüpfende Prüfungspflicht des Geschäftsführers hinweisen, wenn entsprechende Anhaltspunkte offenkundig sind und sie annehmen müssen, dass die mögliche Insolvenzreife dem Mandanten nicht bewusst ist. Die Kanzlei Nickert hat dazu für Steuerberater ein Musterschreiben an betroffene Mandanten entwickelt und stellt dieses kostenfrei zum Download zur Verfügung. Wir verlinken am Ende dieses Beitrags.

Warum das BGH-Urteil richtig ist...

STB Web:
Der BGH hat das bislang nicht so streng gesehen, erachten Sie das Urteil für angemessen und richtig?

Foto: RA/StB Cornelius Nickert

Cornelius Nickert:
Auf jeden Fall. Der handelsrechtliche Jahresabschluss soll die Vermögens-, Finanz- und Ertragslage zutreffend abbilden, § 264 Abs. 2 HGB. Der Kaufmann soll sich einen Spiegel vor Augen halten, wie z. B. beim Hausarzt bei der Vorsorgeuntersuchung. Das Insolvenzrisiko ist das größte bzw. schwerwiegendste Risiko für den Unternehmer. Bei der ärztlichen Vorsorgeuntersuchung würde man es einer tödlichen Krankheit gleichsetzen können. Nun stellen sie sich bitte vor, Sie gehen zum Arzt und er verschweigt Ihnen eine tödliche, aber vielleicht noch behandelbare Krankheit mit dem Hinweis, seine Überprüfungspflicht würde sich nicht auf tödliche Erkrankungen erstrecken!

Im Übrigen hat sich der BGH nicht so deutlich artikuliert, wie es in der Vergangenheit – auch von mir – interpretiert wurde. Bei der damaligen Entscheidung hat er sich nämlich auf die Erstellung der Steuerbilanz bezogen. Diese hat aber gerade nicht die Funktion des handelsrechtlichen Jahresabschlusses, sondern soll lediglich die Besteuerungsgrundlage ermitteln.

Zu den Kernpunkten des Schreibens...

STB Web:
Sie haben dazu ein umfangreiches Belehrungsschreiben an betroffene Mandanten entwickelt, das Steuerberater zu ihrer Entlastung verwenden können. Was sind die Kernpunkte dieses Schreibens und wann sollte es zum Einsatz kommen?

Cornelius Nickert:
Das Belehrungsschreiben ist dreigeteilt: zum einen – und das dürfte der Hauptanwendungsfall sein – sollte es versendet werden, wenn das Rechnungswesen, und damit meine ich nicht nur den Jahresabschluss, sondern auch die unterjährige BWA, Liquiditätsengpässe aufzeigt oder ein Aktivkapital entstanden ist. Letzteres gilt aber nur bei Unternehmen, bei denen die Überschuldung tauglicher Insolvenzgrund ist.

Beim ersten Teil fordern wir unsere Mandanten auf, die tätigkeitsbezogene handelsrechtliche Fortführungsprognose, die Hauptpflicht des Steuerberaters im Rahmen der Bilanzierung ist, zu überprüfen. Der zweite Teil ist der Hinweis auf die insolvenzrechtliche Selbstprüfungspflicht (Nebenpflicht aus dem Steuerberatervertrag). Hier ist darauf zu achten, dass konkrete Tatsachen benannt werden, welche die Selbstprüfung auslösen. Der dritte Teil sind allgemeine Hinweise für den Fall, dass ein Insolvenzgrund festgestellt wird.

STB Web:
Um welche Mandanten geht es konkret, sind nur GmbHs betroffen? Was folgt aus dem Urteil ggf. für andere Rechtsformen?

Cornelius Nickert:
Die Pflicht, going concern zu prüfen, trifft alle Unternehmen, die nach HGB bilanzieren, § 252 Abs. 1 Nr. 2 HGB, also auch Einkaufleute, OHGs und KGs. Die Nebenpflicht zum Hinweis auf die Selbstprüfung trifft direkt nur Mandanten bei denen eine Insolvenzantragspflicht besteht. Wir belehren aber auch Einzelkaufleute, da bei ihnen über § 290 Abs. 1 Nr. 4 InsO eine „kalte“ Insolvenzantragspflicht besteht.

Warum Steuerberater manchmal erst spät reagieren...

STB Web:
Manchen Mandanten ist die drohende Insolvenzreife nicht bewusst, andere verdrängen sie vielleicht sogar und sehen das Glas halb voll, wo es nahezu leer ist. Kann sich eine solche Dynamik in der Wahrnehmung auch auf den Steuerberater übertragen oder was sind die Gründe, weshalb manche Steuerberater auf Anzeichen einer problematischen Entwicklung nicht oder erst spät reagieren?

Cornelius Nickert:
Negative Entwicklungen passieren oft schleichend. Der Mandant und auch der Steuerberater nehmen solche schleichenden Entwicklungen viel weniger wahr als einen Paukenschlag. Außerdem werden die Mandanten kreativ, verhandeln mit den Lieferanten, mit der Hausbank und reichen im Extremfall Eingangsrechnungen beim Steuerberater verspätet ein, um den Aufwand aus der BWA zu eliminieren oder reichen Ausgangsrechnungen erst bei Zahlungseingang ein, um die Umsatzsteuer nicht vorfinanzieren zu müssen. Der Steuerberater sollte auf solche Anzeichen sensibel reagieren und mit dem Mandanten in aller Klarheit die wahren Verhältnisse ermitteln.

Hinzuweisen ist auch auf ein Näheverhältnis des Mandanten zum Steuerberater oder Sachbearbeiter, welches geeignet ist, Wahrnehmungsverzerrungen herbeizuführen. Daher ist es empfehlenswert, in der Krise entweder ein Vieraugensystem einzurichten oder sogar die personelle Betreuung zu ändern.

Früherkennungssysteme und aktive Beratung...

STB Web:
Verweist das BGH-Urteil nicht auch auf die Notwendigkeit einer schon früh ansetzenden aktiveren, auch betriebswirtschaftlich orientierten Beratung?

Cornelius Nickert:
Für den Mandanten auf jeden Fall! Das Erfordernis, ein Früherkennungssystem einzurichten ist durch das KapCoRiLiG 1998 ins Gesetz aufgenommen worden. Zwar ist die Regelung im AktG kodifiziert. Sie hat aber ausweislich der RegE Ausstrahlungswirkung auf andere GmbHs (& Co. KGs).

Der Steuerberater ist aber nicht verpflichtet, eine derartige Beratung anzubieten. Auch ist eine solche Beratung im Rahmen des Jahresabschlusses nicht (als Hauptpflicht) geboten. Sinnvoll ist aber ein Hinweis auf die Verpflichtung.

Ob der Steuerberater eine solche optionale Beratung anbietet ist einer Frage seines Beratungsansatzes und seiner Risikoneigung.

STB Web:
Es fällt auf, dass sich Ihr Schreiben durchgehend an die männliche Mandantschaft richtet. Ist das ein sprachliches Versäumnis oder zeigt die Praxis tatsächlich, dass vor allem Männer von Insolvenz und ggf. auch Insolvenzverschleppung betroffen sind (eine Untersuchung der Wirtschaftsauskunftei Bürgel von 2016 legt dies jedenfalls nahe)?

Cornelius Nickert:
Das kommt wahrscheinlich daher, dass wir derartige Schreiben noch nicht an Frauen in Geschäftsführungspositionen versenden mussten. Vielleicht liegt dies daran, dass Frauen diesbezüglich sensibler und weniger risikoavers sind.

Download:

Für Steuerberater: Belehrungsschreiben an Krisen-Mandanten

RA/StB Cornelius Nickert ist Fachanwalt für Insolvenz- und Steuerrecht. Mit seiner interdisziplinär ausgerichteten Kanzlei unterstützt er auch Steuerberater, Wirtschaftsprüfer und Rechtsanwälte in Spezialfragen. Kontakt unter: https://kanzlei-nickert.de/beratung-fuer-berater.html

 

Hinweis: Beachten Sie bitte das Datum dieses Artikels. Er stammt vom 26.07.2017, sodass die Inhalte ggf. nicht mehr dem aktuellsten (Rechts-) Stand entsprechen.