26.07.2017 | Wirtschaft, Arbeit, Leben

Minimalismus ­- was soll das?!

"If I had more time, I would`ve written a shorter letter." - Blaise Pascal

Manche kennen den Begriff Minimalismus über Kunst, Design und Architektur; andere durch Ratgeber-Artikel darüber, wie man den Keller, den Kleiderschrank oder besser gleich das ganze Haus ausmistet. Doch was steckt eigentlich hinter diesem durchaus attraktiven Schlagwort? Hat es überhaupt ernsthaften Tiefgang und inwiefern ist das Thema denn business-relevant?

Von Manuel Maurer, STB Web

(Foto: © Ivelin Radkov - Fotolia.com)

Zuallererst hat Minimalismus ganz allgemein etwas mit der Konzentration auf das Wesentliche zu tun: "Weniger ist mehr" ist ein geflügeltes Wort. Durch das Weglassen von Überflüssigem kann man zum Kern vordringen. Überall dort, wo nicht mehr alles mit unnützem Kram und Ablenkungen überdeckt ist, wo nicht auf jeder Hochzeit getanzt wird, entstehen Klarheit, Stil, Ruhe und Kraft.

Wachstum und Gewinnmaximierung...

Eine Kanzlei ist jedoch nicht deshalb schon minimalistisch, weil sie ihr Wirken in ein Gebäude minimalistischer Architektur verlegt oder sich minimalistische Kunstwerke ins Besprechungszimmer hängt. Das sind vor allem ästhetische Ausprägungen, die meist als ansprechend, interessant und irgendwie anders wahrgenommen werden. Doch eigentlich ist Minimalismus eine Geisteshaltung, die nach Unabhängigkeit von materiellen Werten und Freiheit im Denken und Handeln strebt; die sich abwendet von den sich immer noch hartnäckig haltenden Idealen des Wachstums und der Gewinnmaximierung.

Minimalisten wollen vielmehr möglichst unabhängig von Sachen und größeren Besitztümern sein, denn "nicht du hast das Haus, sondern das Haus hat dich", wie bereits H. D. Thoreau konstatierte. Minimalisten wollen frei sein von Sorgen, die sich durch ein Vermögen auftürmen, das immerzu weitere Zufuhr an Aufmerksamkeit, Zeit und weiteren finanziellen Mitteln einfordert.

Raffen und sichern...

"Mein Haus, mein Auto, mein Boot", das hat die Werbung nicht umsonst aufgegriffen, um sich unser Streben nach materiellem Wohlstand, Statussymbolen und der damit verbundenen Siegermentalität zunutze zu machen - um unser Wollen und den Konsum von Dingen, die wir möglicherweise gar nicht brauchen, weiter anzukurbeln. Ein Selbstläufer! Und nicht nur unser Erfolgsbegriff liegt in der Waagschale, sondern auch unsere Ängste und Sicherheitsansprüche. Absicherung spielt eine immense Rolle in unseren Köpfen und Geldbeuteln.

Minimalisten wollen jedoch nicht immerzu mehr Geld verdienen (müssen), um zu raffen und zu sichern, sondern sie überdenken ihre Bedürfnisse. "Ich brauche nicht viel, deshalb muss ich auch nicht viel arbeiten", sagt Ferguson, eine Romanfigur von Jack London. Dabei war Ferguson, ehe er Minimalist wurde, der geschäftsführende Herausgeber der größten Zeitung San Franciscos. Das war auf Dauer keine besonders gesunde Sache für ihn, weshalb er sein Leben radikal änderte.

Viele machen sich selbstständig, um dem Hamsterrad der Festanstellung zu entrinnen. Sie wollen selbst gestalten und bestimmen, sich nicht vorschreiben lassen, was sie wann, wo, wie und für wen tun. Doch unweigerlich wird die Gestaltungsfreiheit eingesetzt, um auch in der Selbstständigkeit genau die Strukturen zu reproduzieren, die man so idealistisch vermeiden wollte.

Permanente Erreichbarkeit und ein 12-Stunden-Arbeitstag...

Immer mehr Umsatz soll es sein, das heißt mehr fixe und variable Kosten, immer mehr Verpflichtungen, permanente Erreichbarkeit - und ein 12-Stunden-Arbeitstag: Es wird ein Apparat aufgebaut - auch privat (Haus, Auto, Boot) - der bedient werden will und betrieben werden muss, um immer weiter zu funktionieren. Die Ängste, dass er das einmal nicht mehr tut, steigen gleichmäßig an. Umsatz hingegen gezielt und kontrolliert zu reduzieren bzw. auf ein gesundes Maß einzupendeln, ist viel schwieriger, als ihn immerzu zu steigern.

Minimalisten verfolgen also ein ganz anderes Erfolgskonzept. Es geht um nicht weniger als um eine Neudefinition dessen, was Erfolg im Leben eigentlich ist. Und ganz profan geht es dabei auch einfach um mehr Zeit für andere Interessen: Reisen, Kochen, Lesen (keine Business-Ratgeber!), Sport, Musizieren, Gärtnern, Zeit mit Familie und Freunden ("quality time"), Meditieren, Lernen von Neuem. Auch das ist Wachstum!

Das ist übrigens ungefähr die Stelle der Gesamtentwicklung, an der man anfängt, sich für minimalistische Ratgeber zu interessieren. Man möchte mal wieder raus in die Natur, sehnt sich nach Entschleunigung und womöglich wird sogar der zugemüllte Keller angegangen. Und das ist zu jedem Zeitpunkt ein guter Anfang. Die dabei gewonnenen Erkenntnisse und Erfahrungen können auch auf die Kanzleiorganisation, das Marketing, die Mandantenstruktur und natürlich die eigene Arbeitsorganisation übertragen werden.

Wohlan!

Hinweis: Beachten Sie bitte das Datum dieses Artikels. Er stammt vom 26.07.2017, sodass die Inhalte ggf. nicht mehr dem aktuellsten (Rechts-) Stand entsprechen.