21.10.2015 | Beratertipp

Pflegefreibetrag bei der Erbschaftsteuer als Anerkennung für freiwillige Pflege

Von Susanne Christ, Rechtsanwältin/Fachanwältin für Steuerrecht, Köln *

Entgegen der Auffassung der Finanzverwaltung haben nach der Rechtsprechung auch nahe Verwandte Anspruch auf den Pflegefreibetrag. Worauf es dabei im Detail ankommt, zeigt der folgende Beitrag.

Der Gesetzgeber honoriert Pflegeleistungen auch bei der Erbschafsteuer, indem er bis zu 20.000 EUR von der Erbschafsteuer freistellt (vgl. § 13 Abs. 1 Ziff. 9 ErbStG). Voraussetzung ist, dass der Erwerber den Erblasser unentgeltlich oder gegen zu geringes (also unzureichendes) Entgelt pflegt oder ihm Unterhalt gewährt. Das vom Erblasser dem Pflegenden zugewendete Vermögen muss als angemessenes Entgelt für die Pflege- und Unterhaltsleistungen des Erwerbers anzusehen sein. Der Anspruch auf den Pflegefreibetrag ist ausgeschlossen, wenn der Pflegende unterhaltspflichtig ist.

Pflegefreibetrag nicht auf Erbfälle beschränkt

Dabei ist die Bewilligung des Pflegefreibetrags nicht auf Erbfälle beschränkt, auch wenn es in der Praxis zumeist Erbfälle sind, in denen der Freibetrag beansprucht wird. § 13 Abs. 1 Ziff. 9 ErbStG gilt auch bei Schenkungen und anderen Erwerben unter Lebenden. Bei Erwerben von Todes wegen kann der Pflegefreibetrag neben Erben auch von einem Vermächtnisnehmer in Anspruch genommen werden. Entscheidend ist, dass der Erwerber dem Erben oder Schenker gegenüber freiwillige Pflege- und/oder Unterhaltsleistungen erbracht hat.

Tatsächliche Höhe des Pflegefreibetrags hängt vom Umfang der Pflegeleistung ab - mehr als 20.000 EUR werden aber nicht bewilligt

Allerdings wird der Freibetrag nur dann in voller Höhe bewilligt, wenn der Wert der Pflege- oder/und Unterhaltsleistungen mindestens 20.000 EUR entspricht. Liegt der Wert unter 20.000 EUR, wird ein Freibetrag nur in Höhe des Wertes der Pflegeleistungen und/oder des Unterhalts bewilligt, wie die Formulierung in § 13 Abs. 1 Ziff. 9 ErbStG "bis zu 20.000 EUR" zeigt. Pflegeleistungen werden mit den üblichen Vergütungssätzen bewertet, die für am Ort der Pflegeleistungen für diese Pflegeleistungen aufzuwenden sind und sich an den Regelungen des Sozialgesetzes orientieren. Persönliche Erwartungen bleiben dabei unberücksichtigt.

Pflege wird definiert als die Sorge um das körperliche und geistige Wohl einer durch Krankheit, Behinderung, Alter oder aus einem sonstigen Grund hilfsbedürftigen Person; Unterhalt ist die Gewährung von Nahrung, Kleidung und Unterkunft. Sowohl höchstpersönliche Leistungen als auch Unterhaltsleistungen, also finanzielle Zuwendungen, berechtigen zur Inanspruchnahme des Pflegefreibetrages.

Der Pflegefreibetrag kann auch dann in Anspruch genommen werden, wenn ein Entgelt für die Pflegeleistung gezahlt wird, dieses Entgelt aber geringer ist als das, was üblicherweise für eine solche gezahlt werden muss. Allerdings ist dann das gezahlte Entgelt vom Wert der Pflegeleistung abzuziehen. Der Pflegefreibetrag wird dann nur in Höhe der Differenz, höchstens 20.000 EUR, gewährt.

Praxistipp - Pflegetagebuch führen: Zum Nachweis der erbrachten Pflege- und Unterhaltsleistungen, vor allem, wenn die Pflege lange andauert, sollten laufend Notizen und Aufzeichnungen über die Art und den Umfang der erbrachten Pflegeleistungen gefertigt und Belege gesammelt werden. Mit Hilfe eines solchen Pflegetagebuches lässt sich auch später der Umfang der Pflegeleistungen besser darstellen. Liegt das Nachlassvermögen unter den erbschaftsteuerlichen Freibeträgen, führt der Pflegefreibetrag nicht zu einer Ersparnis. Hier kann ggf. auf die Erstellung eines Pflegetagebuches verzichtet werden. Allerdings sollte beachtet werden, dass die bestehenden Regelungen und somit auch die Höhe der Freibeträge durch den Gesetzgeber jederzeit geändert werden können. Daher sollten die Pflege zumindest in groben Zügen stets schriftlich festgehalten werden. Solche Aufzeichnungen können auch - unabhängig von der Besteuerung - dazu beitragen, die eigenen Leistungen richtig einzuschätzen. Ohne solche Aufzeichnungen wird der tatsächliche Umfang der Pflege oft unterschätzt.

Unterhaltspflichten schließen Pflegefreibetrag aus

Der Pflegefreibetrag wird nur gewährt, wenn gegenüber dem Erblasser oder Schenker keine gesetzliche Unterhaltspflicht besteht. Wer kraft Gesetzes zum Unterhalt verpflichtet ist, erbringt dem Unterhaltsberechtigten gegenüber keine freiwilligen Leistungen, die Pflege- bzw. Unterhaltsleistungen stellen somit kein Opfer dar, dass mit dem Pflegefreibetrag belohnt werden soll. Pflegeleistungen stellen dann lediglich die Erfüllung einer gesetzlichen Pflicht dar.

Umstritten ist hier, ob zum Ausschluss des Pflegefreibetrags eine abstrakte Unterhaltsverpflichtung vorliegen muss, oder ob der Ausschluss nur dann erfolgt, wenn der Unterhaltsberechtigte auch tatsächlich unterhaltsbedürftig ist. Die Finanzverwaltung steht auf dem Standpunkt, dass schon eine abstrakte Unterhaltsverpflichtung ausreicht, um den Pflegefreibetrag nach § 13 Abs. 1 Ziff. 9 ErbStG ablehnen zu können, vgl. RE 13.5 Abs. 1 Satz 2 ErbStR 2011. Die Rechtsprechung sieht das - mit guten Argumenten - anders. So hat das niedersächsische FG bereits in zwei Entscheidungen festgestellt, dass nicht das Bestehen einer abstrakten Unterhaltsverpflichtung den Pflegefreibetrag ausschließt. Der Pflegefreibetrag ist nur dann ausgeschlossen, wenn eine konkret Unterhaltspflicht vorliegt (vgl. Niedersächsisches FG, Urteile vom 21. März 2015, Az. 3 K 35/15 und 20. April 2012, Az. 3 K 229).

Hinweis: Gegen das Urteil vom 20. April 2012 (Az. 3 K 229) des niedersächsischen FG hatte die Finanzverwaltung bei BFH unter dem AZ II R 22/12 Revision eingelegt, die sie später wieder zurücknahm. Aus diesem Grunde ist die Revision gegen das Urteil vom 21. März 2015 (Az. 3 K 35/15) vom FG gar nicht erst zugelassen worden.

Bedeutsam ist diese Frage vor allem dann, wenn die zu pflegende Person aufgrund eigenen Vermögens nicht unterhaltsbedürftig ist. In dem aktuellen Streitfall hatte eine Tochter ihre im Wachkoma liegende Mutter über mehr als elf Jahre auf eigene Kosten intensiv gepflegt. Die Mutter verfügte über ein Vermögen in Höhe von mehr als 1 Mill. EUR. Das der Mutter bewilligte Pflegegeld war auf das Konto der Mutter überwiesen worden und hatte dadurch den Wert des Nachlasses noch erhöht. Wegen der nach § 1601 BGB bestehenden Unterhaltspflicht von Kindern gegenüber Eltern hatte das Finanzamt den ansonsten unstreitig bestehenden Pflegefreibetrag abgelehnt. Anders das niedersächsische FG: mangels Unterhaltsbedüftigkeit der Mutter handele es sich um freiwillige Pflegeleistungen der Tochter.

Praxishinweis: Der Pflegefreibetrag in Höhe von maximal 20.000 EUR ist erst bedeutsam, wenn die persönlichen Freibeträge bereits verbraucht sind. Aufgrund der Höhe des persönlichen Freibetrags bei nahen Verwandten (Ehegatten/eingetragene Lebenspartner 500.000 EUR, Kinder 400.000 EUR) wird der Pflegefreibetrag in der Regel nur in solchen Fällen bedeutsam, in denen der Erblasser bzw. Schenker wegen des eigenen Vermögens nicht unterhaltsbedürftig ist. Ansonsten würden schon die persönlichen Freibeträge dazu führen, dass keine Erbschafsteuer entsteht. Das zeigt die große praktische Bedeutung der Streitfrage bei nahen Verwandten, die generell abstrakt unterhaltspflichtig sind. Deshalb ist es bedauerlich, dass der BFH dazu bislang noch keine Entscheidung getroffen hat. Es ist zu erwarten, dass die Finanzverwaltung auch zukünftig den Pflegefreibetrag ablehnen wird, wenn nur eine abstrakte Unterhaltspflicht besteht.

Zusammenfassung:

Der Pflegefreibetrag, der höchstens 20.000 EUR beträgt, orientiert sich nach den tatsächlich erbrachten Pflege- und Unterhaltsleistungen, die im Zweifel nachgewiesen werden müssen. Deshalb ist es wichtig, darüber Nachweise, etwa in Form eines laufend geführten Pflegetagebuchs, vorzuhalten.

Der Pflegefreibetrag steht nach der Rechtsprechung trotz der entgegenstehenden Verwaltungsrichtlinie auch Personen - etwa Ehegatten oder Kindern - zu, die abstrakt gegenüber der Person, der Unterhalt gewährt wurde und/oder die gepflegt wurde, unterhaltspflichtig sind, wenn diese Person aufgrund eigenen Vermögens nicht unterhaltsbedürftig ist. Der Pflegefreibetrag nach § 13 Abs. 1 Ziff. 9 ErbStG ist ausgeschlossen, wenn konkret eine Unterhaltspflicht wegen Bedürftigkeit besteht. Honoriert werden sollen durch den Pflegefreibetrag nur freiwillige Leistungen.

* Über die Autorin:

Susanne Christ ist Rechtsanwältin und Fachanwältin für Steuerrecht. Sie führt eine eigene Steuer- und Wirtschaftskanzlei in Köln und ist die Sprecherin des Erbrechtsausschusses des Kölner Anwaltsvereins. Susanne Christ ist langjährige Fachautorin der Haufe Mediengruppe und Dozentin in den Bereichen Einkommen-, Umsatz- und Erbschaftssteuer. Sie schreibt auch regelmäßig Fachartikel und Kommentare bei STB Web. 

E-Mail: s.christ@netcologne.de

 

Hinweis: Beachten Sie bitte das Datum dieses Artikels. Er stammt vom 21.10.2015, sodass die Inhalte ggf. nicht mehr dem aktuellsten (Rechts-) Stand entsprechen.