21.10.2015 | Interview

Wie arbeitet eigentlich der Bundesfinanzhof?

von Alexandra Buba **

Über 3.000 Verfahren arbeitet der Bundesfinanzhof pro Jahr ab, etwa ein Viertel davon sind Revisionen, der Rest Nichtzulassungsbeschwerden. Kontakt zu den Parteien ist dabei nicht vorgesehen, und auch Berater bekommen höchstens in einer mündlichen Verhandlung einmal einen Richter zu Gesicht. Stattdessen dominiert die Aktenbearbeitung. STB Web sprach mit BFH-Richter Dr. Eckart Ratschow über Arbeitsweise und Abläufe am obersten deutschen Finanzgericht.

Foto: Kleiner Einblick in die "heiligen Hallen" des BFH. (© Bundesfinanzhof)

STB Web:
Herr Dr. Ratschow, treffen BFH-Richter den Großteil ihrer Entscheidungen im Umlaufverfahren?

Dr. Ratschow *:
Bei den Nichtzulassungsbeschwerden ist das tatsächlich so, hier kommen die drei beteiligten Richterinnen und Richter nur zusammen, wenn einer Beratungsbedarf anmeldet. Das kommt eher selten vor. Über Revisionen entscheidet der BFH in der Besetzung mit fünf Berufsrichtern grundsätzlich aufgrund einer mündlichen Verhandlung, jedenfalls aber in einem Sitzungstermin.

STB Web:
Entscheidungsgrundlage ist ja immer der Bericht, den der berichterstattende Richter im Vorfeld verfasst. Wie funktioniert das?

Foto: Richterbüro am BFH
(© Bundesfinanzhof)

Dr. Ratschow:
Beim BFH bekommt der Berichterstatter eine Akte erst dann, wenn sie "ausgeschrieben" ist, das bedeutet, dass darin bereits alle Schriftsätze der Kläger- und Beklagtenvertreter enthalten sind. Um den Austausch der Schriftsätze, die Einhaltung von Fristen und dergleichen kümmert sich zuvor die Senatsgeschäftsstelle. Man könnte insofern also direkt anfangen, wären da nicht schon so viele andere Akten auf dem Schreibtisch, die auch dringend auf die Erledigung warten.

Verbindliche Vorgaben, wie, wann oder wo der Richter seinen Bericht verfasst, gibt es wegen der Unabhängigkeit der Richter nicht. Ich nutze dazu mein schönes Büro hier im BFH. Nach meiner Ernennung bin ich nach München gezogen; andere Kollegen handhaben dies anders.

Tatsächlich verbringe ich den Großteil der Arbeitszeit mit der jeweiligen Akte an meinem Schreibtisch. An das gründliche Lesen schließt sich in der Regel eine umfangreiche Literaturrecherche an. Denn auch wenn wir alle spezialisiert sind, müssen wir die aktuellen Diskussionen und Meinungen zum jeweiligen Problem genau kennen.

STB Web:
Auch dazu verlassen Sie Ihr Büro eher selten...

Dr. Ratschow:
Wir haben im BFH eine hervorragende Bibliothek. Aber es stimmt schon, die Anlässe, in die Bibliothek zu gehen, werden tatsächlich weniger, da inzwischen glücklicherweise auch sehr viele Hilfsmittel in elektronischer Form direkt am Arbeitsplatz zur Verfügung stehen.

STB Web:
Wie sieht so ein Bericht aus?

Dr. Ratschow:
Er ist häufig umfangreicher als das, was später in der Urteilsbegründung steht. Der Bericht soll ja nicht nur die Grundlage für die Entscheidung sein, die der Berichterstatter für zutreffend hält, sondern auch für die vertiefte Diskussion mit den vier Senatskollegen. An deren Ende kann dann auch mal ein anderes Ergebnis stehen.

"Wir sind nicht die Polizei"

STB Web:
Aber gibt nicht die gefestigte Rechtsprechung einen sehr engen Rahmen für die Entscheidungen vor?

Dr. Ratschow:
Das kommt darauf an. Gerichtsentscheidungen, auch die des BFH, binden zunächst einmal nur die Beteiligten. Jeder neue Fall kann im Prinzip wieder anders entschieden werden. Aber Sie haben natürlich Recht, die vom BFH aufgestellten Grundsätze sollen die Rechtsanwendung vereinheitlichen. Ein ständiges Hin- und Her darf es deshalb nicht geben.

Das bedeutet aber nicht, dass wir nur auf die strikte Einhaltung der von uns aufgestellten Grundsätze achten. Wir sind nicht die Polizei. Auch eine gefestigte Rechtsprechung muss regelmäßig überprüft werden. Selbst wenn sich die Gesetze nicht geändert haben, die tatsächlichen Verhältnisse können sich ändern. Darauf muss das Recht reagieren.

Der BFH hat auch die Aufgabe, das Recht fortzubilden. Insofern sind uns die Finanzgerichte stets einen Schritt voraus. Neue Entwicklungen kommen dort früher an als beim BFH. Von den Finanzgerichten kommen deshalb auch wichtige Anregungen zur Fortentwicklung des Steuerrechts, die wir natürlich aufgreifen. Wenn eine von der höchstrichterlichen Rechtsprechung abweichende Ansicht gut begründet ist, müssen wir uns der Diskussion stellen und darauf antworten.

"Eine Richtungsentscheidung will sehr gut überlegt sein"

STB Web:
Aber es gibt schon einen gewissen Anteil an Fällen, bei denen Sie gleich wissen, wie diese vermutlich entschieden werden, oder?

Dr. Ratschow:
Man kann sicherlich klare und unklare Fälle unterscheiden. Klare Fälle sind die, deren Lösung ziemlich eindeutig ist. Die gibt es. Aber in der Regel wird schon über Fragen gestritten, die man so oder auch anders entscheiden könnte. Am Ende der Beratung steht also häufig eine echte Auswahlentscheidung. Deren Ausgang ist im Voraus regelmäßig schwer zu prognostizieren, selbst für Insider. Diese Fälle sind aus der Richtersicht das Salz in der Suppe, denn eine Richtungsentscheidung will sehr gut überlegt sein. Ein eindeutiges richtig oder falsch gibt es vor allem bei Verfahrensfragen.

STB Web:
Haben Sie überhaupt jemals Kontakt zu den Parteien?

Dr. Ratschow:
Selten, höchstens wenn die Klagepartei einmal in der mündlichen Verhandlung anwesend ist und sich persönlich äußert. Dies ist aber eigentlich nicht vorgesehen, denn vor dem BFH herrscht Vertretungszwang. Der tiefere Grund dafür ist, dass der BFH als Revisionsgericht grundsätzlich keine Tatsachen feststellen darf. Wir beurteilen nur die rechtlichen Fragen und zwar aufgrund der Tatsachen, die das Finanzgericht festgestellt hat. Wenn wir der Meinung sind, dass die tatsächlichen Feststellungen nicht ausreichen, verweisen wir eine Sache an das Finanzgericht zurück und stellen auch dann keine Tatsachen selbst fest.

STB Web:
Hat sich die Praxis der Finanzgerichte in den vergangenen Jahren verändert?

Dr. Ratschow:
Nein, das glaube ich nicht. Wenn man die Zahlen betrachtet, lässt sich allerdings feststellen, dass sich im vergangenen Jahr der Prozentsatz der zu Gunsten der Steuerpflichtigen getroffenen Entscheidungen beim BFH erhöht hat. So betrug er in 2014 für alle Verfahren 21 Prozent gegenüber 17,5 Prozent im Vorjahr. Bei den Revisionen lag der Erfolgsanteil bei 42 Prozent zu 40 Prozent in 2013, bei den Nichtzulassungsbeschwerden sind es 17 Prozent zu 13,5 Prozent in 2013.


* Zur Person:

Dr. Eckart Ratschow ist Richter im IX. Senat, der sich u.a. mit Fällen aus den Bereichen Vermietung und Verpachtung und privaten Veräußerungsgeschäften befasst. Vor seiner Ernennung im Jahr 2008 war er als Richter am Finanzgericht Schleswig-Holstein sowie als wissenschaftlicher Mitarbeiter im Bundesministerium der Justiz und am BFH tätig. Begonnen hat der 49-jährige seine Justizkarriere als Richter beim Amtsgericht Reinbek.


** Das Interview führte:

Alexandra Buba, Nürnberg, ist freie Journalistin und spezialisiert auf die Themen der Steuerberatungsbranche. Ihr besonderer Schwerpunkt sind Management- und IT-Themen.

Weitere Informationen unter: www.medientext.com

 

 



Hinweis: Beachten Sie bitte das Datum dieses Artikels. Er stammt vom 21.10.2015, sodass die Inhalte ggf. nicht mehr dem aktuellsten (Rechts-) Stand entsprechen.