26.08.2015 | Beratertipp

Zivilprozesskosten: Rückwärtsrolle des BFH zu Lasten der Steuerpflichtigen

Von Susanne Christ, Rechtsanwältin/Fachanwältin für Steuerrecht, Köln *

2011 hat der Bundesfinanzhof (BFH) den Abzug von Zivilprozesskosten als außergewöhnliche Belastungen unter Aufgabe der bis dahin geübten ständigen Rechtsprechung grundsätzlich bejaht. Nun ist er mit Urteil vom 18.6.2015 wieder zur alten Rechtsprechung zurückgekehrt (Az. VI R 17/14). Diese Kehrtwende hat Bedeutung für alle noch offenen Verfahren der Veranlagungszeiträume bis 2013.

Das "Hin und Her" des BFH geht damit zu Lasten der Steuerpflichtigen, die auf die geänderte Rechtsprechung von 2011 vertrauten. (Foto: © helmutvogler - Fotolia.com)

Weshalb der BFH nunmehr zu seiner früheren Rechtsprechung zurückkehrt, ist nicht ganz nachvollziehbar. Umstritten ist, ob die Kosten eines Zivilprozesses zwangsläufig entstehen und ob sie zu den Kosten der allgemeinen Lebensführung zählen. Hatte der BFH in seiner Entscheidung vom 12.05.2011 (Az. VI R 42/10, STB Web berichtete) noch die Auffassung vertreten, dass u.a. wegen des Gewaltmonopols des Staates und des ungewissen Ausganges eines Verfahrens die Beteiligten zwangsläufig mit den Prozesskosten konfrontiert würden, vertritt er nunmehr wieder - wie zuvor - die gegenteilige Auffassung. Er stellt aktuell darauf ab, dass es aus Gründen, die den Steuerpflichtigen nicht zwangsläufig treffen, zu dem dann zwangsläufigen Gerichtsverfahren komme. Auch wenn das Gerichtsverfahren einen Steuerpflichtigen zwangsläufig treffe, die Ursache für das Verfahren sei nicht zwangsläufig, und zwar auch dann nicht, wenn der Steuerpflichtige Beklagter ist. Nur ausnahmsweise könnten Prozesskosten als zwangsläufig eingestuft werden, und zwar dann, wenn der Prozess

  • existenziell wichtige Bereiche oder
  • den Kernbereich menschlichen Lebens

berühre. Das ist etwa bei Scheidungsverfahren der Fall, denn niemanden könne zugemutet werden, wegen der damit verbundenen Prozesskosten auf eine Scheidung zu verzichten.

Erbauseinandersetzungen in der Regel nicht existentiell wichtig

Anders ist es bei Erbstreitigkeiten. Im aktuellen Fall musste der BFH entscheiden, ob die Kosten einer gerichtlichen Auseinandersetzung als außergewöhnliche Belastungen abziehbar sind, die im Zusammenhang mit der Ausstellung eines Erbscheins entstanden waren. Der Erbschein stellt den Nachweis über die Erbenstellung der im Erbschein benannten Person dar. Die Klägerin begehrte einen auf sie lautenden Erbschein und berief sich auf ein von ihrer Mutter verfasstes handschriftliches Testament; ihr Bruder zweifelte die Echtheit des Testamentes an, im sich anschließenden Prozess wurde u.a. ein graphologisches Gutachten, das neben den eigentlichen Verfahrenskosten noch erhebliche zusätzliche Kosten auslöste, erstellt. Das Verfahren endete in einem Vergleich, so dass die Klägerin, obwohl sie dann den begehrten Erbschein erhielt, erhebliche Verfahrenskosten zu tragen hatte. Diese wollte sie als außergewöhnliche Belastungen abziehen. Der BFH entschied, dass das Verfahren, bei dem es um die Ausstellung eines Erbscheins zugunsten der Klägerin ging, nicht den existentiell wichtigen Bereich der Klägerin betraf und verwehrte so den Abzug der Kosten als außergewöhnliche Belastungen.

Praktische Auswirkungen der Entscheidung

Nach Änderung der Rechtsprechung des BFH im Jahre 2011 hat nicht nur die Finanzverwaltung mit einem Nichtanwendungserlass reagiert, sondern auch der Gesetzgeber, der die Voraussetzungen für den Abzug von außergewöhnlichen Belastungen verschärfte. Seit 2013 sind Prozesskosten aufgrund ausdrücklichen gesetzlichen Verbots gemäß § 33 Abs. 2 Satz 4 EStG nur noch als außergewöhnliche Belastungen abziehbar, wenn der Steuerpflichtige Gefahr läuft, ohne den Prozess seine Existenzgrundlage zu verlieren oder seine lebensnotwendigen Bedürfnisse nicht mehr befriedigen zu können. Somit hat die aktuelle Kehrtwende des BFH für die Veranlagungszeiträume ab 2013 keine Bedeutung.

Ärgerlich an der Kehrtwende des BFH ist aber für die vorangegangenen Veranlagungszeiträume, dass sich aufgrund der 2011 vorgenommenen Änderung der Rechtsprechung zahlreiche Steuerpflichtige motiviert sahen, die Anerkennung der Prozesskosten als außergewöhnliche Belastungen klageweise geltend zu machen. Diese Verfahren machen, soweit diese noch nicht rechtskräftig entschieden wurden, vor dem Hintergrund der jetzt vollzogenen Kehrtwende keinen Sinn mehr; die dadurch verursachten Kosten haben in aller Regel die Steuerpflichtigen zu tragen. Das "Hin und Her" des BFH geht damit zu Lasten der Steuerpflichtigen, die auf die geänderte Rechtsprechung vertrauten.

Praxistipp: Vielfach wurden diese Verfahren wegen des beim BFH anhängigen Verfahrens ruhend gestellt; diese dürften aufgrund der Entscheidung des BFH in Kürze wieder aufgenommen werden. Hier sollten die Betroffenen - auch um nicht noch weitere unnötige Kosten entstehen zu lassen - eine Rücknahme der Klage in Erwägung ziehen.

 

* Über die Autorin:

Susanne Christ ist Rechtsanwältin und Fachanwältin für Steuerrecht. Sie führt eine eigene Steuer- und Wirtschaftskanzlei in Köln und ist die Sprecherin des Erbrechtsausschusses des Kölner Anwaltsvereins. Susanne Christ ist langjährige Fachautorin der Haufe Mediengruppe und Dozentin in den Bereichen Einkommen-, Umsatz- und Erbschaftssteuer. Sie schreibt auch regelmäßig Fachartikel und Kommentare bei STB Web. 

E-Mail: s.christ@netcologne.de



(STB Web)

Hinweis: Beachten Sie bitte das Datum dieses Artikels. Er stammt vom 26.08.2015, sodass die Inhalte ggf. nicht mehr dem aktuellsten (Rechts-) Stand entsprechen.