14.04.2015 | OLG Hamm

Gebot des fairen Verfahrens gilt in besonderem Maße im Arzthaftungsprozess

In einem Arzthaftungsprozess hat das zuständige Gericht in besonderem Maße für ein faires Verfahren zu sorgen, weil es typischerweise ein Informationsgefälle zwischen der ärztlichen Seite und dem Patienten gibt, das auszugleichen ist. Unter Hinweis auf diese rechtlichen Anforderungen hat das Oberlandesgericht (OLG) Hamm einen Arzthaftungsprozess zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landgericht Bielefeld zurückverwiesen.

Im Prozess klagte ein durch seines Eltern vertretenes Kind wegen einer behaupteten ärztlichen Fehlbehandlung anlässlich seiner Geburt mittels Kaiserschnitt auf Schadensersatz. Eine unzureichende ärztliche Betreuung seiner Mutter habe zu seiner mehrstündigen Sauerstoffunterversorgung geführt und bei ihm schwerwiegende geistige und körperliche Störungen verursacht.

Das Landgericht Bielefeld hat diverse Sachverständigengutachten eingeholt. Über die beim Kläger eingetretenen Folgen hat es zudem durch ein nur mündlich erstattetes Gutachten Beweis erhoben. Ein 3 Tage vor der letzten mündlichen Verhandlung durch den Kläger vorgelegtes privatärztliches Gutachten, das die Ergebnisse des gynäkologischen Gutachtens angreift, hat das Landgericht als verspätet zurückgewiesen. In seinem Urteil hat das Landgericht die Klage gegen das Krankenhaus und die beklagten Krankenhausärztinnen mangels feststellbaren Behandlungsfehlers abgewiesen. Den die Kindesmutter während der Schwangerschaft betreuenden Arzt hat es verurteilt, weil der Beklagte die Kindesmutter zu spät und ohne ausreichenden Hinweis auf Auffälligkeiten ins Krankenhaus eingewiesen habe.

Auf die Berufungen des Klägers und des verurteilten Arztes hat das OLG Hamm das erstinstanzliche Urteil aufgehoben (Urteil vom 30.01.2015, Az. 26 U 5/14). Das Verfahren ist nunmehr erneut vom Landgericht Bielefeld zu verhandeln und zu entscheiden.

Gegengutachten durfte nicht verwehrt werden

Die Entscheidung des Landgerichts verletze Verfahrensrechte des Klägers. Das vorgelegte Privatgutachten habe das Landgericht zu Unrecht zurückgewiesen. In einem Arzthaftungsprozess, in dem es typischerweise ein Informationsgefälle zwischen der ärztlichen Seite und den Patienten gebe, habe das Gericht in besonderem Maße für ein faires Verfahren Sorge zu tragen. Dazu gehöre es, einer medizinisch nicht sachkundigen Partei Gelegenheit zu geben, auch nach dem Vorliegen eines gerichtlichen Gutachtens unter Zuhilfenahme eines weiteren Mediziners zu schwierigen medizinischen Fragen noch einmal Stellung zu nehmen. Andernfalls wäre die Partei in den meisten Fällen nicht in der Lage, dem gerichtlichen Sachverständigen etwaige abweichende medizinische Lehrmeinungen vorzuhalten, auf mögliche Lücken der Begutachtung hinzuweisen und etwaige Widersprüche im Gutachten aufzuzeigen.

Verfahrensfehlerhaft sei es auch gewesen, zu den schwierigen medizinischen Fragen der beim Kläger eingetretenen Behandlungsfolgen nur ein mündliches Sachverständigengutachten einzuholen und kein schriftliches Gutachten anzufordern. Dies deswegen, weil Krankenunterlagen gefehlt hätten und der Sachverständige bestimmte Fragen ad hoc nicht habe beantworten können. In einem solchen Fall könne ein in einer Verhandlung nur mündlich erstattetes Gutachten allenfalls von einem medizinischen Sachverständigen sofort nachvollzogen werden, aber kaum von den weiteren Verfahrensbeteiligten einschließlich der Anwälte und des Gerichts.

(OLG Hamm / STB Web)

Hinweis: Beachten Sie bitte das Datum dieses Artikels. Er stammt vom 14.04.2015, sodass die Inhalte ggf. nicht mehr dem aktuellsten (Rechts-) Stand entsprechen.