27.02.2014 |

Kleinanleger treffen häufig falsche Entscheidungen

Private Kleinanleger unterschätzen einer Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin) zufolge systematisch die Verlustrisiken von Finanzprodukten. Dies liegt in erster Linie daran, dass Anleger den Zinseszinseffekt – also das Wiederverzinsen von in der Vergangenheit erhaltenen Zinsen und damit einhergehende exponentielle Wachstumsprozesse – außer Acht lassen. Im Fall eines möglichen Verlusts schätzen sie den Wert einer Investition deshalb zu hoch ein.

Insgesamt 303 Studenten haben in einem Verhaltensexperiment des DIW-Ökonom Christian Zankiewicz Investitionsentscheidungen getroffen. Das Ergebnis: Bis zu 98 Prozent der Teilnehmer haben den Endwert ihrer Investition überschätzt. Erhielten die Teilnehmer zuvor Erklärungen zum Zinseszinseffekt, beurteilten sie den Ertrag ihrer Investition hingegen überwiegend richtig. "Eine bloße Erinnerung an den Zinseszinseffekt reicht oft schon aus, um privaten Kleinanlegern realistischere Einschätzungen des Anlagerisikos zu ermöglichen", folgert Zankiewicz. 

Je länger der Anlagezeitraum, desto schlechter die Einschätzung der Anleger

Das Experiment fand in Kooperation mit der Berliner Humboldt-Universität an der Technischen Universität Berlin (TU) und am University College in London statt. An der TU Berlin konfrontierten die Tester die 128 Teilnehmer mit einer hypothetischen Investition: Das Startkapital lag bei 10.000 Euro, der Wert konnte im Fall positiver Zinsen in einer Periode um 70 Prozent steigen oder im Fall negativer Zinsen um 60 Prozent fallen. Beide Fälle waren dabei gleich wahrscheinlich. Die Krux an der Sache: Eine Abwertung um 60 Prozent lässt sich bei weitem nicht durch eine einzige 70-prozentige Aufwertung kompensieren, da der Wert der Investition beispielsweise nach einem Verlust in der ersten Periode bei nur noch 4.000 Euro liegt. Die Wertentwicklung einer solchen Anlage hat also einen Abwärtstrend. Der Medianendwert – der Endwert, den eine Investition in der Hälfte aller Fälle höchstens abwirft – liegt in diesem Beispiel nach zwölf Jahren bei 989 Euro. Missachtet ein Anleger den Zinseszinseffekt und betrachtet die absolute Wertänderung der ersten Periode (in diesem Beispiel plus 7.000 Euro oder minus 6.000 Euro) als konstant, kommt er nach zwölf Jahren auf einen Medianendwert von 16.000 Euro – und überschätzt den Wert seiner Investition somit drastisch.

Für die Kontrollgruppe, die nicht über den Zinseszinseffekt aufgeklärt wurde, ermittelten die Forscher in der ersten Runde für 98 Prozent der Teilnehmer Medianendwerte von über 2.000 Euro, in der fünften und letzten Runde immer noch für 86 Prozent. In der Untersuchungsgruppe, deren Teilnehmer vor der Investitionsentscheidung gezielt auf den Zinseszinseffekt aufmerksam gemacht wurden, ordneten hingegen 70 Prozent den Medianendwert bereits in der ersten Runde korrekt ein. Ein zweites Experiment mit 175 Studenten am University College in London ergab, dass sowohl eine Erhöhung der Wertschwankungsbreite als auch eine Verlängerung des Zeithorizonts einer Anlage die Überschätzung der Medianendwerte noch deutlich verstärkt. Auch in einer weiteren Untersuchungsgruppe, deren Teilnehmer zusätzlich mit einem realen Finanzprodukt – genauer gesagt sogenannter Exchange Traded Funds (ETFs) – konfrontiert wurden, überschätzten rund 70 Prozent den Medianendwert, wenngleich es keinen Unterschied zwischen verschiedenen Schwankungsbreiten gab.

Politik und Schule sind gefordert

Die Ergebnisse des Verhaltensexperiments bestätigen die Hypothese, dass Anleger bei ihrer Investitionsentscheidung statt einer korrekten Zinseszinsrechnung eine linearisierte Vereinfachung der Rechnung vornehmen und potentielle Verluste somit stark unterschätzen. Nach Ansicht des Autors sollten Anlageberater ihre Kunden künftig gezielt auf diesen Effekt hinweisen müssen. Auch die Bereitstellung realistischer Endwertberechnungen für unterschiedliche Anlagehorizonte könnte für mehr Klarheit beim Anleger sorgen. "Viele Menschen legen ihre Ersparnisse in lang laufende Altersvorsorgeprodukte an und machen davon in nicht unerheblichem Ausmaß ihre künftige finanzielle Lebenslage abhängig", sagt Christian Zankiewicz. "Die Politik sollte entsprechende Hinweise in Produktinformationsblättern daher zwingend vorschreiben."

Auch der Schulunterricht müsse über die Vermittlung mathematischer und vor allem statistischer Grundkenntnisse einen verstärkten Beitrag leisten, so Zankiewicz. Statistische Maße wie der Median sowie ökonomische Wachstumsprozesse sollten eine größere Rolle im Unterricht spielen. "Schüler brauchen dieses Know-how, um im späteren Verlauf ihres Lebens Investitionsentscheidungen treffen, Kreditangebote korrekt einschätzen und Inflation oder Wirtschaftswachstum eigenständig und kritisch bewerten zu können."


(DIW / STB Web)



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