18.12.2013 | Kommunikation

Selbstmanagement und Kommunikation: Mit Diplomatie zum Ziel

Von Stéphane Etrillard, Trainer und Berater, Düsseldorf *

Diplomatie wird häufig missverstanden als ein softer und defensiver Kommunikationsstil, bei dem um des lieben Friedens willen einfach ein paar mehr Zugeständnisse gemacht werden. Diplomaten verfolgen im Gegenteil allerdings eine sehr klare Linie und setzen ganz klare Grenzen. Sie wissen genau, wo ihr Verhandlungsspielraum endet, welches Verhalten sie nicht mehr tolerieren, was ihnen wichtig ist, wann ihre Integrität auf dem Spiel steht und wie weit sie dem anderen entgegenkommen können oder wollen. – Und sie handeln entsprechend.

Foto: Stéphane Etrillard

Ein guter Diplomat kennt zuallererst seine persönlichen Werte und Grenzen. Dabei geht es sowohl um konkrete inhaltliche Grenzen (zum Beispiel: Wie viel Miete kann/will ich maximal bezahlen? Welcher Urlaubsort kommt für mich überhaupt nicht infrage? etc.) als auch um persönliche und emotionale Grenzen (zum Beispiel: Welche Klischeevorstellungen/Vorurteile kann ich nicht tolerieren? Welche meiner ethischen Überzeugungen kann ich keinesfalls übergehen? Wann fühle ich mich ungerecht behandelt? etc.). Das Wissen um die eigenen Grenzen ist allerdings nur dann von Bedeutung, wenn man diese Grenzen auch einhält und gegenüber anderen durchsetzt, sich also entsprechend der eigenen Wertvorstellungen und der eigenen Grenzen verhält. Die Kunst besteht nun darin, integer und konsequent zu agieren, ohne dabei die Beziehung zum Gegenüber zu gefährden. Das ist insbesondere dann schwierig, wenn der andere zu unfairen Mitteln greift.

Unfaires Verhalten ist in einer guten Beziehung tabu

Der (un)faire Umgang miteinander stellt für viele Menschen eine Grenze dar, die in Beziehungen, Gesprächen, Auseinandersetzungen nicht überschritten werden darf. Manipulationsversuche, Angriffe unter der Gürtellinie, Hinterhältigkeit, emotionale Erpressung, respektloser Umgang, Kampfrhetorik, Rücksichtslosigkeit und ähnliche Verhaltensweisen sind deshalb in einer guten Beziehung tabu. Zumindest lautet so der Anspruch. Tatsächlich treten all diese Dinge immer wieder auf, in beruflichen wie in privaten Beziehungen und Gesprächen. Sei es, weil einer der Beteiligten sich nicht anders zu helfen weiß, Stärke demonstrieren will oder weil er glaubt, dadurch einen Vorteil in einer Auseinandersetzung zu erlangen, oder sei es auch, weil er die Gefahr für die Beziehung nicht erkennt.

Gefährlich sind unfaire Strategien und Verhaltensweisen vor allem, weil sie sich nicht auf der sachlichen Ebene der Auseinandersetzung abspielen, sondern direkt die Beziehungsebene angreifen. Es wird sehr persönlich, wenn es unfair wird. Und für die meisten Menschen ist es sehr schwierig, mit einem solchen persönlichen Angriff souverän umzugehen. Sie reagieren häufig verärgert, verletzt und verunsichert darauf, denn sie fühlen sich als Person infrage gestellt. Da fällt es schwer, die eigenen Emotionen unter Kontrolle zu halten und nicht gleich zum Gegenangriff auszuholen. Wer diplomatisch geschickt vorgehen will, braucht daher Strategien, die eine Eskalation verhindern und gleichzeitig den anderen in seine Schranken weisen, ohne die Beziehungsebene weiter zu belasten.

Abgrenzen: "Bin ich tatsächlich gemeint?"

Doch bevor wir dazu kommen, möchte ich noch einen anderen Gesichtspunkt ansprechen, der häufig übersehen wird, obwohl er vermutlich vielen Auseinandersetzungen die Schärfe nehmen könnte. Es handelt sich um die Klärung der Frage "Bin ich tatsächlich gemeint?". – Wenn das unfaire Verhalten des Gegenübers uns verletzt oder anderweitig aus der Fassung zu bringen droht, lohnt es sich zu hinterfragen, ob wir tatsächlich das Ziel des Angriffs sind oder ob da etwas anderes dahintersteckt. Sie kennen das doch sicher von sich selbst: Im Büro war es stressig, es gab Streit mit einem Kollegen, Sie müssen seinen Fehler ausbaden und dann fragt Ihre Teenager-Tochter zu Hause bei Ihrer Rückkehr ins traute Heim als Allererstes, ob Sie ihr nicht eine neue Hose für die Party am Wochenende spendieren können. Wie wird Ihre Reaktion wohl aussehen? Es ist nicht unwahrscheinlich, dass Sie sich aufbrausend darüber beschweren, dass Ihre Tochter ständig neue Klamotten haben will und dass es doch wahrhaftig wichtigere Dinge im Leben gibt als so eine doofe Party, auf der ihre angeblichen Freunde doch nur auf die neuesten Markenklamotten gucken. – Ist mit diesem Angriff nun wirklich die Tochter gemeint? Oder doch eher der Kollege, der Ihnen schon den ganzen Arbeitstag vermiest hat?

Wenn Sie Glück haben und Ihre Teenager-Tochter bereits über etwas diplomatisches Geschick verfügt, dann wird sie Sie mit ruhiger Stimme fragen: „Mama, was ist denn mit dir los? War die Arbeit stressig? Soll ich dir einen Tee machen?“ – Doch wahrscheinlicher ist, dass sie Ihnen ein zorniges und lautes „Du bist total ungerecht!“ entgegenschleudert, womit der verbale Zweikampf eröffnet wäre.

Was dieses Beispiel zeigen soll, ist klar: Nicht immer gilt das unfaire (Kommunikations-)Verhalten tatsächlich dem Angesprochenen. Es kann viele Gründe dafür geben. Sie entziehen sich manchmal nur unserer Kenntnis, sodass wir fälschlicherweise annehmen, das ungehörige Verhalten des anderen hätte etwas mit uns zu tun. Wer sich dessen bewusst ist, kann oft schon von vornherein vermeiden, dass er sich überhaupt angegriffen fühlt, und viel gelassener reagieren.

Konsequent agieren, klare Grenzen ziehen

Gelassenheit bedeutet jedoch nicht, alles stoisch hinzunehmen. Es geht vielmehr darum, Ruhe zu bewahren, im eigenen Verhalten Konsequenz zu zeigen und Grenzen zu setzen. Das beginnt bereits damit, dass man über verbale Angriffe, Respektlosigkeiten oder gar Manipulations- und Lenkungsversuche nicht einfach hinwegsieht, sondern diese entlarvt, sobald man sie erkannt hat. So zeigen Sie Ihrem Gegenüber deutlich, dass er eine entscheidende Grenze überschritten hat. Wenn Sie jedoch zögern und Ihren Gesprächspartner erst einmal gewähren lassen, bis es Ihnen irgendwann dann doch zu bunt wird, provozieren Sie unter Umständen, dass er es immer wieder versucht.

Ein deutlicher Wink mit dem Zaunpfahl bewegt viele Gesprächspartner bereits, es nicht weiter zu versuchen. Es gilt also, unverzüglich und unmissverständlich zu signalisieren: "Ich merke, was du vorhast. Lass es sein, es führt zu nichts." Schwierig ist das vor allem im beruflichen Umfeld. Professionelle Beziehungen, zumal wenn die Beteiligten verschiedenen Hierarchieebenen angehören, sind in der Regel fragiler und anfälliger für Störungen als gefestigte private Freundschaften. Trotzdem gibt es auch hier Möglichkeiten, unfaires Verhalten aufzudecken und diesem Einhalt zu gebieten, wie zum Beispiel:

  • Wer sich nicht auf das Spiel auf der persönlichen Ebene oder auf Provokationen einlässt, sondern konsequent bei der Sache bleibt, zeigt deutlich, dass er den sachlichen und fairen Umgang miteinander bevorzugt.
  • Konsequent auf unfaire Mittel zu verzichten, markiert deutlich, wo die eigenen Grenzen liegen.
  • Bei verbalen Provokationen und Unverschämtheiten ist demonstrative Höflichkeit ein deutliches Signal.
  • Das Gleiche gilt für ein betont ruhiges Auftreten, wenn der andere gerade so richtig aufdreht.
  • Mit gezielten Fragen kann der Gesprächspartner zur sachlichen Auseinandersetzung und einer konstruktiven Gesprächsführung zurückgeführt werden. (Angriff: "Ach, mit Ihnen kann man doch gar nicht reden, Sie kennen doch nicht einmal die aktuellen Zahlen!" – Antwort: "Wie sehen diese Zahlen denn konkret aus?") So wird deutlich, dass die Sache und die Suche nach einer Lösung im Zentrum stehen und stehen bleiben sollen.
  • Um die inakzeptablen Strategien des Gegenübers offen anzusprechen, eignet sich am besten ein Sprung auf die Metaebene. So lassen sich die Spielregeln für die Auseinandersetzung thematisieren und festlegen.

Die diplomatischen und diskreten Vorgehensweisen geben dem Gegenüber zudem die Gelegenheit zum Rückzug, ohne klein beigeben zu müssen oder (vor Dritten) das Gesicht zu verlieren. Das macht es ihm häufig leichter, sein eigenes Fehlverhalten ohne viel Aufhebens zu korrigieren.

Keine Belehrungen von oben herab

Überhaupt nicht zu empfehlen sind hingegen Belehrungen von oben herab wie "Bitte zügeln Sie Ihr Temperament!" oder "Ich verbitte mir diesen Tonfall!". Sie provozieren den Zurechtgewiesenen eher noch, als dass sie ihn zur Räson bringen. Sie wirken nur auf der persönlichen Ebene, sind anmaßend und greifen die Person des Gegenübers an, was eine entsprechende Abwehrreaktion und in der Folge eine Eskalation provozieren würde. Das gilt im Übrigen auch für die etwas netter klingenden ironischen Varianten solcher Sätze ("Na, da ist heute aber einer mit dem falschen Fuß aufgestanden!"), die trotz der humorigen Formulierung sehr verletzend sein können.

Bei aller Diplomatie und Gelassenheit wird es trotzdem immer wieder auch Menschen geben, die sich von nichts und niemandem beeindrucken lassen und unbeirrt auf unfaire Methoden setzen. Dann hilft nur eines: der Gesprächs- oder sogar Beziehungsabbruch. Er sagt am deutlichsten: Bis hierhin und nicht weiter! Der Gesprächsabbruch – und erst recht der Beziehungsabbruch – sollte allerdings nur als allerletztes Mittel gewählt werden, wenn alle anderen Versuche einer konstruktiven und fairen Auseinandersetzung gescheitert sind. Dann allerdings ist Konsequenz gefragt.

Mit Bestimmtheit Nein sagen

Doch nicht immer sind es so offensichtliche Dinge wie unfaire oder manipulierende Verhaltensweisen, die eine konsequente Grenzziehung erfordern. Manchmal ist es auch eine freundlich gestellte Bitte um einen Gefallen, die mit einem klaren Nein beantwortet werden muss. Sei es die wiederholte Bitte einer Kollegin, für sie den Telefondienst zu übernehmen, damit sie etwas früher gehen kann, oder die zu häufige Bitte einer Freundin, als Babysitter einzuspringen – wer immer nur Ja sagt, bürdet sich mit der Zeit zu viele Aufgaben auf, fühlt sich früher oder später ausgenutzt und ärgert sich dann auch noch über sich selbst.

Auch fürs Neinsagen sind also diplomatische Qualitäten gefragt. Ziel ist dabei, einerseits klar und unmissverständlich Nein sagen zu können und andererseits den Fragenden nicht vor den Kopf zu stoßen, sodass die Beziehung unbelastet bleibt. Besser und diplomatischer als fadenscheinige Ausreden, Ausflüchte und vage Antworten ("Kann ich noch nicht genau sagen.") sind folgende Möglichkeiten:

  • Sagen Sie nur das zu, was Sie auch tatsächlich halten können und wollen.
  • Zeigen Sie auch bei einer Absage Verständnis für das Anliegen.
  • Formulieren Sie Ihr Nein direkt und unmissverständlich.
  • Begründen Sie Ihr Nein plausibel und wahrheitsgemäß.
  • Wenn möglich, verbinden Sie Ihr Nein mit einer eingeschränkten Zusage. So können Sie eventuell eine Teilaufgabe übernehmen oder stehen für einen bestimmten Zeitraum zu Verfügung.
  • Knüpfen Sie Ihre Zusage bei Bedarf an eine Gegenleistung, um chronischen Bittstellern zu signalisieren, dass Sie sich nicht ausnutzen lassen.

Das heißt natürlich nicht, dass Sie nun jedes Anliegen ausschlagen sollen, nur damit Sie als konsequente Person wahrgenommen werden. Entscheidend ist vielmehr, dass Sie bei aller Hilfsbereitschaft Ihre eigenen Bedürfnisse und Interessen nicht vernachlässigen und das dem Fragenden verdeutlichen, ohne sein Anliegen abzuwerten. Für Ihre Beziehung zum Fragenden ist es sogar vorteilhafter, ausgewählte Bitten oder Anfragen mit echtem Engagement zu erfüllen, anstatt auf viele oder wiederholte Anliegen nur halbherzig oder widerwillig einzugehen. – Bei besonders hartnäckigen Mitmenschen kann bei der Absage auch eine Portion Schlagfertigkeit ganz nützlich sein.

 

* Über den Autor:

Stéphane Etrillard ist internationaler Keynote Speaker und zählt zu den meistgefragten und besthonorierten Top-Wirtschaftstrainern im deutschsprachigen Raum. Der mehrsprachige Vortragsredner gilt als führender europäischer Experte für "persönliche Souveränität". Stéphane Etrillard, Kosmopolit französischen Ursprungs lebt in der Kulturmetropole Berlin. In seiner Freizeit beschäftigt er sich leidenschaftlich mit Philosophie, Literatur und Klaviermusik und lernt mit großer Begeisterung das Klavierspielen. Zu seinen Klienten zählen Manager aus Top-Unternehmen, mittelständische Unternehmer und Politiker sowie viele Menschen, die sich bei ihm neue Impulse holen, um ihre Kommunikation noch souveräner und ihr Leben erfolgreicher zu gestalten.

www.etrillard.com



(STB Web)



Hinweis: Beachten Sie bitte das Datum dieses Artikels. Er stammt vom 18.12.2013, sodass die Inhalte ggf. nicht mehr dem aktuellsten (Rechts-) Stand entsprechen.