20.06.2012 | Interview

Die elektronische Rechnung in der Praxis

Von Viola C. Didier *

Seit dem 1. Juli 2011 dürfen elektronische Rechnungen dank Steuervereinfachungsgesetz auch ohne digitale Signatur verschickt werden. Doch ist es tatsächlich so einfach, eine Rechnung nur als E-Mail zu versenden? Wie organisatorische und technische Hürden in der Praxis gemeistert werden können, erklärt Experte Thorsten Brand im Interview.

Der Versand elektronischer Rechnungen ist vor einigen Monaten wesentlich vereinfacht worden (STB Web berichtete). Digitale Signaturen oder spezielle Verfahren für den Datenaustausch sind nicht mehr notwendig. Dennoch bestehen nach wie vor große Unsicherheiten, wie man die E-Mail-Rechnung in der Praxis handhabt. Was zu beachten ist, weiß Diplom-Informatiker Thorsten Brand, Mitglied des Arbeitskreises Steuern und Recht des BITKOM (Bundesverband Informationswirtschaft, Telekommunikation und neue Medien e.V.).

STB Web:
Herr Brand, ist der elektronische Rechnungsversand in der Praxis jetzt tatsächlich so einfach oder gibt es noch zwingende Voraussetzungen, die beim Versand und Erhalt von Rechnungs-E-Mails zu beachten sind?

Thorsten Brand:

Foto: Thorsten Brand

Ja, da hat sich tatsächlich einiges vereinfacht. Man glaubt es kaum, wenn man die Gesetzesänderung und die Entwürfe des dazugehörigen BMF-Schreibens liest. Die Anforderungen an elektronische Rechnungen sind denen an Papierrechnungen gleichgestellt. Alle elektronischen Formate sind erlaubt, solange die Pflichtangaben einer Rechnung enthalten und lesbar sind. Auch die Rechnungsprüfung kann wie bisher erfolgen, es gibt keine besonderen Anforderungen. Eine Rechnung ist richtig, wenn Sie durch den Empfänger als richtig eingeschätzt wird. Nur bei der Aufbewahrung gilt die Anforderung, dass ein Ausdruck einer elektronischen Rechnung nicht ausreichend ist. Es muss eine elektronische Aufbewahrung nach GoBS (Grundsätze ordnungsmäßiger DV-gestützter Buchführungssysteme, Anm. d. Red.) erfolgen.

STB Web:
Für elektronisch erhaltene Rechnungen gilt also auch eine elektronische Archivierungspflicht? Welche Anforderungen an die elektronische Archivierung gibt es und wie bzw. womit sollte die elektronische Langzeit-Archivierung erfolgen?

Thorsten Brand:
Der Gesetzgeber schreibt hier keine festen technischen Verfahren vor. Die in der Vergangenheit in den Verlautbarungen zum Umsatzsteuerrecht enthaltene Anforderung des Einsatzes unveränderbarer Datenträger ist im aktuellen BMF-Schreiben nicht mehr enthalten. Es wird nur auf die GoBS verwiesen. Vollständigkeit, Richtigkeit, Ordnung und Unveränderbarkeit müssen sichergestellt werden. Dies kann mit Dokumenten-Management-Systemen sichergestellt werden, muss es aber nicht. Wenn ein Kleinstunternehmer ein E-Mail-Postfach nach Lieferanten strukturiert, die Löschberechtigungen entzieht und die Daten regelmäßig auf CD brennt, dann ist dies auch ausreichend und verhältnismäßig.

STB Web:
Elektronische Rechnungen sind für Unternehmen aller Größen vor allem ein Thema, um Kosten zu sparen und die Bearbeitung schneller abwickeln zu können. Was müssen Unternehmen beachten, die den elektronischen Rechnungsversand an Kunden jetzt einführen möchten?

Thorsten Brand:
Erst einmal eine Sache vorweg: Eine Pflicht zum Empfang oder Erhalt einer elektronischen Rechnung haben wir nicht. Zwar gibt es bei großen Unternehmen enorme Einsparungspotenziale, doch ist oft die Infrastruktur oder die Organisation noch nicht so weit, elektronische Rechnungen zu akzeptieren. Wenn man dies tun möchte, gilt es, sich mit den Lieferanten und Kunden abzustimmen. Es geht um technische Formate und Übertragungswege. Dies soll möglichst einfach und passend zu den eigenen Prozessen sein, allerdings kann man sich das nicht immer aussuchen. Wenn ein großer Lieferant die Rechnungen nur im Portal zum Download anbietet, kann man diesen als kleiner Kunden vermutlich nicht dazu bringen, die Rechnung als PDF per E-Mail zuzusenden.

STB Web:
Ganz konkret: In welcher Form versendet man am besten eine elektronische Rechnung – als Text-E-Mail, Word-Dokument oder PDF – und warum?

Thorsten Brand:
Die Rechnung muss lesbar sein, leicht übertragen und möglichst maschinell weiterverarbeitet werden können. Hier stellt eine PDF-Datei als Bildobjekt, welches die Pflichtangaben als zusätzliche strukturierte Datei enthält, eine sinnvolle Variante dar. Es ist nur ein Objekt, das leicht per E-Mail verteilt werden kann. Mit PDF-A hat man ein langzeitlich lesbares Format und die automatische Weiterverarbeitung ist durch die strukturierte Datendatei möglich. Somit erfüllt dies sowohl die Anforderungen von großen Unternehmen, die Wert auf automatische Weiterverarbeitung legen, als auch von Kleinstunternehmern, die einfache Formate und Techniken beim Austausch wünschen.

STB Web:
Und worauf muss man selbst bei elektronischen Rechnungen achten, die man von anderen erhält?

Thorsten Brand:
Man sollte versuchen, die Anzahl der technischen Varianten und Eingangskanäle zu beschränken – wenn dies möglich ist. Eine zentrale neue E-Mail-Adresse für den Empfang kann da sinnvoll sein. Gegebenenfalls ist dies dann auch der Zeitpunkt, über einen Prozess zur elektronischen Rechnungsfreigabe nachzudenken, da es nicht wirklich effizient ist, eine elektronische Rechnung zum Zwecke der Rechnungsprüfung auszudrucken. Auch über die Aufbewahrung sollte man sich Gedanken machen. Diese soll den Grundsätzen der Buchführung entsprechen, sodass eine unkontrollierte und löschbare Aufbewahrung im Dateisystem ohne weitere Regelungen nicht ausreichend ist. Sinnvoll ist es auch, die eigenen Festlegungen zu dokumentieren, um Dritten – also den Betriebsprüfern – darzustellen, dass der Prozess ordentlich ist.

STB Web:
Im Klartext heißt das, um die Vorsteuer bei elektronischen Rechnungen geltend machen zu können, muss der Rechnungsempfänger über ein "innerbetriebliches Kontrollverfahren" gewährleisten, dass die Echtheit der Herkunft, die Unversehrtheit des Inhalts und die Lesbarkeit der Rechnung sichergestellt sind. Wie muss eine solche Prüfungsdokumentation empfangener elektronischer Rechnungen aussehen, damit es beim Vorsteuerabzug keine Probleme gibt?

Thorsten Brand:
Verbindliche Standards gibt es hierzu nicht. Das ist gut und schlecht. Schlecht, weil man gegebenenfalls nicht genau weiß, was erforderlich ist und gut, weil man sich selbst nach bestem Wissen und Gewissen darum kümmern kann, ohne natürlich fahrlässig zu sein. Typische Inhalte einer Dokumentation sind bsp. Varianten an Rechnungen (Eingang, Ausgang, Gutschriften etc.), Formate (Scannen, E-Mails, Konvertierung), Dokumentation des Erfassungsprozesses (automatischer Import, insbesondere Scannen), Freigaberegeln und die Dokumentation der Freigabeprozesses. Auch sollte man auf die Anforderungen der GoBS eingehen, wie Sicherstellung der Vollständigkeit, Sicherstellung der Unveränderbarkeit, eindeutige Verknüpfung von Buchung zu Beleg sowie Aufbewahrung oder Vernichtung der Originaldokumente. Sonderthemen, wie Regelungen zu AGB oder Relevanz und Besonderheiten bei ausländischen Rechnungen könnte man auch noch erwähnen.

STB Web:
Woran lassen sich Dokumentsicherheit und Beweiswert festmachen?

Thorsten Brand:
Hier lässt der Gesetzgeber ja bewusst viele Varianten zu, schreibt technische Verfahren nicht vor und überlässt dies der Einzelprüfung. Grundlage dieser Prüfung ist aber die oben beschriebene Dokumentation, die den Dritten dazu in die Lage versetzen soll, die Umsetzung an Dokumentsicherheit und Beweiswert zu bewerten.

STB Web:
Wie funktioniert eigentlich das Zusammenspiel mit normalen Papierrechnungen in der Praxis?

Thorsten Brand:
Es wird versucht, die Prozesse zu vereinheitlichen. In Richtung Papier oder elektronisch, das kommt darauf an. Die Rechnungsprüfung einer elektronischen Rechnung in Papier ist zulässig und man darf diesen Ausdruck auch zusammen mit echten Papierrechnungen aufbewahren. Die elektronischen Rechnungen dann aber eben zusätzlich auch elektronisch. Besser ist es aber andersrum: Hat man einen elektronischen Freigabeprozess für elektronische Rechnungen und eine elektronische Aufbewahrung, dann kann man die noch vorhandenen Papierrechnungen scannen und in gleicher Weise verarbeiten.

STB Web:
Stichwort: Internationale Rechnungsbearbeitung – gibt es hier Besonderheiten?

Thorsten Brand:
Das ist ein kompliziertes Thema, was so mehr oder weniger die einzige kurze Antwort hierzu ist. Es gibt hier nicht einmal in der EU einheitliche Anforderungen. Teilweise dürfen die Dokumente nur im Inland des Staates aufbewahrt werden. Es gibt außerdem noch Länder, die Signaturen fordern oder die Papiererfassung nur mit national zertifizierten Produkten zulassen. Da hilft nur eines: Im Detail mit den Anforderungen des jeweiligen Landes auseinandersetzen. Was man hierbei dann oft feststellt: In Deutschland sind wir zu dem Thema mittlerweile gar nicht so schlecht aufgestellt.

STB Web:
Gerade im Hinblick auf die tatsächlichen Kosteneinsparungen im Vergleich zur Papierrechnung herrscht Unsicherheit. Wie lassen sich die Kosten schätzen und vergleichen?

Thorsten Brand:
Da gibt es beispielsweise von Wirtschaftsprüfern einige pauschale Kostenvergleiche, die man im Web finden kann. Ich bin fest davon überzeugt, dass die elektronischen Rechnungen ein enormes Potenzial besitzen. Neben Portokosten und schnellerer Rechnungsverarbeitung können Unternehmen den Aufwand für die Papiererfassung, die manuelle Kontierung und Beleglesungs-Umgebungen reduzieren.


Diplom-Informatiker
Thorsten Brand ist seit 1992 als produktneutraler Berater im Bereich ECM (Enterprise-Content-Management, Anm. d. Red.) tätig. Seine Schwerpunkte sind die Konzeption, Auswahl und Einführung von kundenspezifischen ECM-Lösungen sowie die organisatorische Einführungsbegleitung, rechtliche Fragen und Verfahrensdokumentationen. Er ist Mitglied des BITKOM Arbeitskreises ECM Compliance und im AWV Mitarbeiter der Arbeitsgruppe zur Erarbeitung der neuen GoBS (GOBIT). Thorsten Brand ist seit 2000 Senior-Berater bei der Zöller & Partner GmbH. 


* Autorin:

viola_didierViola C. Didier arbeitet in Stuttgart als freie Journalistin für Printmedien, Fachverlage, Online-Portale und Unternehmen. Ihre Spezialgebiete sind Recht und Steuern. Außerdem befasst sie sich mit den Themen Job und Karriere sowie Marketing, PR und Management. Viola C. Didier arbeitet darüber hinaus als freie Redakteurin und Fachlektorin. Die Juristin gründete 2003 das spezialisierte Redaktionsbüro RES JURA für Recht, Steuern und Wirtschaft.


(STB Web)



Hinweis: Beachten Sie bitte das Datum dieses Artikels. Er stammt vom 20.06.2012, sodass die Inhalte ggf. nicht mehr dem aktuellsten (Rechts-) Stand entsprechen.