08.11.2011 | Studie

Urteile deutscher Arbeitsgerichte konjunkturabhängig?

Kommentar von Viola C. Didier

In einer Studie der TU Darmstadt will man herausgefunden haben, dass Urteile deutscher Arbeitsgerichte abhängig von der wirtschaftlichen Lage der jeweiligen Region seien.  

Je geringer die Arbeitslosigkeit am Standort des Gerichts, desto wahrscheinlicher sei eine Entscheidung gegen den Arbeitnehmer, besagt eine Studie des Wirtschaftswissenschaftlers Michael Neugart von der TU Darmstadt. "Unsere Ergebnisse weisen darauf hin, dass Arbeitsrichter das Schutzbedürfnis von Arbeitnehmern je niedriger bewerten, desto besser die wirtschaftliche Situation in der Region ist - und umgekehrt", sagt Neugart.

Arbeitsrechtlich versierte Praktiker vermag dieses Ergebnis nicht wirklich zu verwundern. Schließlich haben Arbeitsrichter in jeder Bestandsstreitigkeit eine umfangreiche Interessenabwägung vorzunehmen, wenn es um die Wirksamkeit einer Kündigung geht. Gerade die konkreten Chancen des gekündigten Arbeitnehmers am Arbeitsmarkt sind hier ein gewichtiger Gesichtspunkt, den die Arbeitsgerichte berücksichtigen müssen.


Sozialauswahl ist Pflicht

Justitia ist blind – das deutsche Arbeitsrecht jedoch schaut bei der Sozialauswahl genau hin (Foto: Thorben Wengert / pixelio.de)

Neugart und Ko-Autor Helge Berger berechneten im Rahmen einer ökonometrischen Studie den Einfluss verschiedener Faktoren auf die Entscheidungen deutscher Arbeitsrichter. Dabei stellten sie fest, dass die Richter dazu tendieren würden, zugunsten klagender Arbeitnehmer mit Kindern zu entscheiden, während Alter, Dauer der Betriebszugehörigkeit, Familienstand oder Geschlecht einen deutlich geringeren Einfluss auf die Erfolgsaussichten einer Klage hatten.

Vergegenwärtigt man sich, dass die Arbeitsgerichte bei betriebsbedingten Kündigungen eine Sozialauswahl anhand bestimmter Kriterien vornehmen müssen, schwindet die vermeintliche Brisanz des Untersuchungsergebnisses: Schreibt doch der Gesetzgeber im Kündigungsschutzgesetz explizit vor, dass eine Kündigung wegen dringender betrieblicher Erfordernisse sozial ungerechtfertigt ist, wenn der Arbeitgeber bei der Auswahl des Arbeitnehmers die Dauer der Betriebszugehörigkeit, das Lebensalter, die Unterhaltspflichten und die Schwerbehinderung des Arbeitnehmers nicht oder nicht ausreichend berücksichtigt hat. Differenzierungen wegen des Geschlechts oder des Familienstandes hingegen sind ohnehin unzulässig.  

Zum Hintergrund: Für die Studie wurden 221 Arbeitsrechtsprozesse zwischen 2003 und 2006 an 33 Arbeitsgerichten in zwölf Bundesländern ausgewertet. Diese geringe Zahl untersuchter Urteile ist dem Umstand geschuldet, dass man ausschließlich Fälle klagender Arbeitnehmer einer großen Elektronik-Handelskette, die betriebsbedingt gekündigt worden waren, untersucht hat, um eine homogene Datenbasis für eine vergleichende Studie zu schaffen.


(TU Darmstadt  / STB Web)

Hinweis: Beachten Sie bitte das Datum dieses Artikels. Er stammt vom 08.11.2011, sodass die Inhalte ggf. nicht mehr dem aktuellsten (Rechts-) Stand entsprechen.